Riga, Berlin Mit Spannung seit Wochen erwartet, hat die ukrainische Gegenoffensive mittlerweile möglicherweise begonnen. Einen entsprechenden Bericht veröffentlichte die US-Zeitung Washington Post am Donnerstag unter Berufung auf vier Angehörige der ukrainischen Streitkräfte.
Diese hätten erklärt, ukrainische Truppen intensivierten ihre Angriffe an der Front im Südosten des Landes. Die besagten Informanten könnten nicht namentlich genannt werden. Sie sind demnach nicht autorisiert, Entwicklungen auf dem Schlachtfeld in der Öffentlichkeit zu erörtern, heißt es in dem entsprechenden Bericht. Das ukrainische Militär weist den Bericht allerdings zurück.
„Uns liegen keine derartigen Informationen vor“, sagt ein Sprecher des ukrainischen Generalstabs der Nachrichtenagentur Reuters. Zu Angaben auf der Basis von anonymen Quellen nehme man nicht Stellung.
Russland gibt an, einen ukrainischen Angriff in der Region Saporischschja abgewehrt zu haben. Ukrainische Einheiten hätten laut Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu in der Nacht versucht, die Front in der südukrainischen Region zu durchbrechen.
Vier verschiedene Angriffsversuche seien jedoch abgewehrt worden, zitiert die russische Nachrichtenagentur Interfax Schoigu. Die Ukrainer hätten hohe Verluste erlitten und seien gezwungen gewesen, sich zurückzuziehen. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben bisher nicht. Unterdessen hätten die Überschwemmungen in der Südukraine laut ukrainischer Seite dazu geführt, dass sich russische Truppen in den betroffenen Gebieten teilweise um bis zu 15 Kilometer zurückzogen, wie eine Militärsprecherin sagte.
Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms
Nach ukrainischer Sicht haben russische Truppen durch die Zerstörung des Damms Verluste hinnehmen müssen, US-Militäranalysten stützen diese Ansicht. Die Besatzer seien nicht auf die Folgen der Sprengung des Staudamms vorbereitet gewesen und hätten deshalb Soldaten, Ausrüstung und Militärtechnik verloren, teilte der Generalstab am Donnerstag in Kiew mit. Es gebe tote, verletzte und vermisste russische Soldaten. Wie viele Menschen, Zivilisten und Militärangehörige, möglicherweise ihr Leben verloren haben, ist noch unklar.
Auch Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) stellten fest, dass durch die Wassermassen, die aus dem Stausee entwichen sind, russische Verteidigungsstellungen in der Frontlinie vernichtet worden seien.
Ursache für die Überflutung war die Zerstörung des Kachowka-Staudamms am Dienstag, für die die Ukraine Russland verantwortlich macht. Der Staudamm liegt in von russischen Truppen besetztem Gebiet am Fluss Dnipro. Russland hingegen sieht die Schuld bei der Ukraine. Deren Präsident Wolodimir Selenski strebt eine internationale Untersuchung des Dammbruchs an.
In einem Interview sagte er, wenn die Ukraine die Kontrolle über den Staudamms zurück habe, werde sie internationale Experten einladen, um den Vorfall zu untersuchen.
>> Lesen Sie hier: Staudamm-Zerstörung stürzt Hunderttausende in Not
Zudem wird diskutiert, ob Fehler bei der Instandhaltung durch die russischen Besatzungstruppen die Ursache für die Katastrophe sein könnte. Die oppositionsnahe russische Recherchegruppe CIT (Conflict Intelligence Team) schreibt von einer „verbrecherischen Nachlässigkeit der Besatzer“. Die russische Armee hätte schon seit vergangenem November den Abfluss von Wasser aus dem Stausee nicht mehr reguliert und so ein Zerbersten der Mauer in Kauf genommen.
Druck auf Moskau erhöht sich
Militärisch schade die Katastrophe Russland mehr als der Ukraine, wie ein Sicherheitsexperte zu bedenken gibt. So wurden Teile der Verteidigungsanlagen auf russischer Seite durch die Flut zerstört.
Kachowka-Staudamm: Gegenseitige Schuldzuweisungen nach Zerstörung
Wenn das Wasser abgeflossen sei, vergrößere sich zudem der Raum, über den die Ukraine die Rückeroberung ihres Landes angehen können. Nach wenigen Tagen könnte der Boden getrocknet sein und gepanzerte Fahrzeug tragen, so der Experte.
Letztlich vergrößert sich damit der Frontverlauf, den die in die Defensive geratenen russischen Streitkräfte sichern müssen. Mit der Ausweitung der Kämpfe über eine breite Front erhöht sich letztlich der Druck auf Russland.
Moskaus Armeen verlieren zudem Raum, um in ihrem Rückraum zu manövrieren. In den vergangenen Tagen hat die Ukraine Munitions- und Treibstoffdepots sowie Einheit zur Flugabwehr und elektronischen Kriegsführung weit hinter der Front durch die Beschuss mit Artillerie und Raketen zerstört.
Selenski besucht Ortschaften
Unterdessen besuchte Präsident Selenski am Donnerstag einige Betroffene Ortschaften. „Wir werden helfen und alles wieder aufbauen, das wieder aufgebaut werden muss“, sagte er in der Region Cherson. Russlands Präsident Wladimir Putin hingegen wolle nicht selbst in die Überschwemmungsgebiete reisen, wie Kremlsprecher Dmitri Peskow mitteilte.
Auch die wirtschaftlichen Folgen der Überschwemmung werden immer deutlicher. Nach Abgaben der staatlichen Schifffahrtsverwaltungsstelle der Ukraine vom Donnerstag ist der über die Ufer getretene Dnipro nun streckenweise unpassierbar, der Fluss ist eine wichtige Exportroute für Agrarprodukte.
„Er ist die Hauptverkehrsader der Flussschifffahrt in der Ukraine. Und die Kachowka-Schleuse war die letzte Dnipro-Schleuse, die alle Schiffe auf das offene Meer hinausließ“, erklärte die Behörde am Donnerstag. Nun sei das Tor für ukrainische Exporte blockiert. Rund 50 Schiffe sind im Kachowka-Stausee gestrandet, wo der Wasserspiegel sinkt.
So berichtet das Handelsblatt über den Ukraine-Krieg:
Außerdem droht der Ukraine nach Angaben der Regierung ein mehrere Milliarden Tonnen schwerer Ernteausfall. Zehntausende Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche seien überschwemmt worden, teilt das Agrarministerium mit, und mindestens 500.000 Hektar Land würden ohne Bewässerung veröden.
Mit Agenturmaterial.
<< Den vollständigen Artikel: Ukraine-Krieg: Start der ukrainischen Gegenoffensive: Ukrainisches Militär weist Berichte zurück >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.