Kiew Das russische Verteidigungsministerium hat nach eigenen Angaben vor dem Hintergrund eines andauernden Streits mit der Söldnertruppe Wagner eine erste Privatarmee unter Vertrag genommen. Das Dokument sei zwischen dem Ministerium und der Spezialeinheit Achmat unterzeichnet worden, heißt es in einer Pressemitteilung der Behörde am Montag. Achmat gilt als Privatarmee des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow.
Am Wochenende hatte das Verteidigungsministerium angekündigt, bis zum 1. Juli alle auf Moskauer Seite kämpfenden Privatarmeen unter seine Befehlsgewalt nehmen zu wollen. Vorausgegangen waren monatelange Kompetenzstreitigkeiten mit der Söldnerarmee Wagner des Oligarchen Jewgeni Prigoschin, die für Moskau im Raum der ostukrainischen Stadt Bachmut aktiv war.
Allerdings hat sich Prigoschin dieser Anweisung schon mit der Begründung widersetzt, dass Verteidigungsminister Sergej Schoigu kaum in der Lage sei, die regulären Truppen ordentlich zu führen. Wagner werde daher keine Verträge mit Schoigu unterzeichnen. Es könne sein, dass Wagner dann keine Waffen und Munition erhalte – doch nur so lange, bis das Ministerium die Hilfe der Privatarmee brauche.
Kadyrow und Prigoschin galten lange Zeit als Tandem im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und kritisierten gemeinsam Generalstab und Verteidigungsministerium wegen der ihrer Ansicht nach falschen Taktik und eines zu weichen Vorgehens. Allerdings haben sich der Söldnerchef und der Tschetschenenführer zuletzt öffentlich zerstritten.
Während Prigoschin den Tschetschenen vorwarf, sie seien auf dem Schlachtfeld nicht zu sehen, sondern drehten hauptsächlich Tik-Tok-Videos, machte Kadyrow sein Gegenüber für die hohen russischen Verluste vor Bachmut verantwortlich.
Selenski verurteilt Schüsse auf Rettungsboote
Die ukrainische Staatsführung hat Russland tödliche Schüsse auf Rettungsboote mit fliehenden Zivilisten im gefluteten Kriegsgebiet Cherson vorgeworfen. „Sogar Tiere haben mehr Moral als Sie, russischer Staat“, sagte Präsident Wolodimir Selenski in seiner am Sonntag in Kiew verbreiteten allabendlichen Videobotschaft. „Russische Terroristen beschießen weiter Evakuierungswege, Evakuierungspunkte, Boote, die die Menschen wegbringen.“
Ein solches Boot mit 21 Menschen war laut ukrainischen Behörden am Sonntag von Russen beschossen worden, während die Zivilisten sich aus dem russisch besetzten Teil des Gebiets Cherson im Süden des Landes in Sicherheit bringen wollten. Drei Menschen seien getötet und zehn verletzt worden. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig bestätigen.
Erst habe Russland den Kachowka-Staudamm gesprengt, dann die Menschen in dem Überschwemmungsgebiet ihrem Schicksal überlassen, und nun werde auch noch auf sie geschossen, wetterte Selenski. Er sagte, Vertreter des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag hätten sich in Cherson selbst ein Bild von der Lage gemacht und mit der Untersuchung der Katastrophe begonnen. Das rechte Ufer des Dnipro-Flusses ist unter ukrainischer Kontrolle.
„Diese Untersuchung ist sehr wichtig für die Sicherheit der ganzen Welt“, sagte Selenski. Eine Bestrafung Russlands sei Voraussetzung dafür, dass sich dieses Böse in der Welt nicht wiederhole. Selenski zufolge sind bisher etwa 4000 Menschen gerettet worden. Dutzende Städte und Dörfer seien noch überschwemmt, am schlimmsten sei die Lage weiter im russisch besetzten Teil des Gebiets Cherson auf der linken Dnipro-Uferseite. Die Evakuierung dauere an.
Nach der Zerstörung des Staudamms am vergangenen Dienstag wurde die Zahl der Hochwasseropfer mit inzwischen 14 angegeben, davon acht in dem von Russland kontrollierten Teil des Gebiets Cherson. Allein dort gelten noch 35 Menschen als vermisst, darunter sieben Kinder.
Zwar sinkt das Hochwasser inzwischen, aber die Folgen des Dammbruchs sind verheerend. Experten sprechen von einer schweren Umweltkatastrophe. Russland weist jegliche Verantwortung zurück und behauptet, ukrainische Kräfte hätten den Staudamm mit Raketen beschossen.
IAEA besorgt über Wasserstand des Stausees beim AKW Saporischschja
Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA dringt nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms auf einen breiteren Zugang zur Umgebung des Kernkraftwerks Saporischschja. Der Wasserstand des Damms sei am Wochenende zwar etwa einen Tag lang stabil gewesen, erklärt IAEA-Chef Rafael Grossi. „An anderen Stellen des riesigen Stausees sinkt der Pegel jedoch weiter, was zu einer möglichen Differenz von etwa zwei Metern führt.“ Die Höhe des Wasserspiegels sei ein wichtiger Parameter für die weitere Funktionsfähigkeit der Wasserpumpen. Das Wasser aus dem Stausee wird IAEA-Angaben zufolge zur Kühlung der sechs Reaktoren der Anlage und zur Lagerung abgebrannter Brennelemente verwendet.
Ukrainer verkünden Befreiung von Orten im Gebiet Donezk
Nach Militärangaben aus Kiew befreiten ukrainische Soldaten im größtenteils von Russland besetzten Gebiet Donezk die Orte Blahodatne und Makariwka. Es gebe auch Vorstöße um die Stadt Bachmut, teilte Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar am Sonntagabend in Kiew mit. Von russischer offizieller Seite gab es dazu zunächst keine Stellungnahme. Die russische Armee behauptet seit Tagen, sie wehre die ukrainische Offensive ab.
Allerdings meldeten auch kremlnahe russische Militärblogger, dass Blahodatne aufgegeben worden sei, weil Moskaus Kämpfer dort eine Einkesselung befürchtet hätten. Demnach wurde zudem das Dorf Neskutschne eingenommen. Auch das Dorf Lobkowe im Gebiet Saporischschja soll von russischer Besatzung befreit worden sein. Die ukrainischen Streitkräfte führen seit Tagen unter anderem in den Regionen Donezk und Saporischschja massive Angriffe, um ihre besetzten Gebiete zu befreien.
Die russischen Truppen hätten inzwischen Kampfeinheiten aus dem Gebiet Cherson abgezogen, um so Kontingente an anderen Teilen der Front etwa im Gebiet Saporischschja und in Bachmut zu verstärken, meinte Vize-Ministerin Maljar. Sie bekräftigte ihre Überzeugung, dass Russland den Kachowka-Staudamm absichtlich zerstört habe, um das Gebiet Cherson zu fluten und so ungangbar für die ukrainischen Offensivkräfte zu machen. Ziel Moskaus sei es gewesen, auf diese Weise eigene Kräfte freizumachen für andere Einsätze.
Die Flut nach dem Dammbruch zerstörte allerdings auch russische Verteidigungsstellungen. Ziel der ukrainischen Seite soll es laut russischen Militärbloggern gewesen sein, nach Absinken des Hochwassers leichter in den nicht von ihr kontrollierten größeren Teil des Gebiets Cherson vorzustoßen.
Nordkoreas Machthaber Kim will enger an Russland rücken
Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un sichert dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine verstärkte Zusammenarbeit zu. Er rufe zu einer „engeren strategischen Zusammenarbeit“ auf, sagt Kim in der von der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA veröffentlichten Botschaft. Er reiche Putin fest die Hand, „entsprechend dem gemeinsamen Wunsch beider Völker, das große Ziel des Aufbaus eines mächtigen Landes zu erreichen.“ Kim verteidigt auch Putins Einmarsch in die Ukraine und sichert ihm „volle Unterstützung und Solidarität zu“. „Die Gerechtigkeit wird siegen, und das russische Volk wird der Geschichte des Sieges weiterhin Ruhm hinzufügen.“
So berichtet das Handelsblatt über den Ukraine-Krieg:
Selenski erweitert Sanktionsliste
Präsident Selenski teilte in seiner Videobotschaft mit, dass er weitere 178 Menschen auf eine Sanktionsliste gesetzt habe, die „dem Bösen dienen, zu dem der russische Staat geworden ist“. Es gehe um Verantwortliche, die Freiheiten zerstört hätten und eine Schlüsselrolle spielten bei Repressionen in den besetzten Gebieten der Ukraine und in Russland selbst. Jeder „Komplize der russischen Diktatur“ werde zur Verantwortung gezogen, versprach er.
Zugleich wies Selenski auf Erfolge im Krieg gegen Russland hin. So seien einmal mehr durch Verhandlungen 95 ukrainische Kämpfer aus russischer Gefangenschaft freigekommen. Er lobte auch das offensive Vorgehen der ukrainischen Streitkräfte gegen die russischen Besatzer. Bei einer Großoffensive will Selenski die besetzten Gebiete des Landes befreien lassen – einschließlich der schon 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Dabei gab es erste Geländegewinne.
Was am Montag wichtig wird
Bundeskanzler Olaf Scholz und Polens Staatschef Andrzej Duda werden in Paris vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu einem Abendessen empfangen, bei dem es vor allem um die weitere Unterstützung des ukrainischen Abwehrkriegs und die Vorbereitung des im Juli geplanten Nato-Gipfels in Vilnius gehen soll.
Macron werde erst mit dem polnischen Präsidenten zusammentreffen, nach Scholz’ Ankunft würden die Beratungen dann zu dritt fortgesetzt, teilte der Élysée mit. Absehbar werde es um militärische Unterstützung der Ukraine für eine erfolgreiche Gegenoffensive gehen sowie um humanitäre Hilfe, gerade nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms. Thema seien auch Sicherheitsgarantien, die der Ukraine langfristig gewährt werden können, um ihre Souveränität und territoriale Integrität zu schützen.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg reist zu einem zweitägigen Besuch nach Washington, wo er am Montag zu einem Gespräch mit US-Präsident Joe Biden und Außenminister Antony Blinken im Weißen Haus erwartet wird.
Mehr: Die aktuellen Entwicklungen finden sie in unserem Newsblog zum Ukraine-Krieg
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