Berlin Gesetzlich Versicherte und ihre Arbeitgeber müssen sich auf weiter steigende Belastungen einstellen. Schon ab Juli haben Millionen Beschäftigte weniger Netto vom Brutto – dann steigt der Beitrag für die Pflegeversicherung spürbar an. Im Januar 2024 dürfte das Nettogehalt dann erneut sinken, da auch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) teurer werden soll. So zumindest hat es Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nun angekündigt.
Insgesamt könnten die Sozialabgaben für kinderlose Arbeitnehmer bis auf 41,8 Prozent ansteigen. Die lange Zeit geltende Grenze von 40 Prozent ist damit deutlich überschritten. Berechnungen des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim zeigen, welche Kosten auf Durchschnitts- und Besserverdiener zukommen.
Hintergrund ist, dass den Kassen 2024 erneut ein Defizit droht. Der GKV-Spitzenverband erwartet eine Lücke von 3,5 Milliarden bis sieben Milliarden Euro. Ohne Eingriffe resultierte daraus rechnerisch ein Anstieg beim durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 0,2 bis 0,4 Prozentpunkten.
Die genaue Höhe des Zusatzbeitrags für die 58 Millionen Mitglieder der Kassen und 15,9 Millionen beitragsfrei Mitversicherte legen die Kassen jeweils selbst fest, sie können vom Durchschnitt abweichen. Der gesamte Beitrag umfasst daneben den allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Lohns, den sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen.
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Mit welchen Kosten Durchschnittsverdiener rechnen müssen
Für einen Durchschnittsverdiener mit einem Bruttomonatslohn von 3500 Euro würde sich der Beitrag dadurch im Jahr um 84 Euro (0,2 Prozentpunkte) bis 168 Euro erhöhen, der Arbeitgeber übernimmt die Hälfte.
Hinzu kommt ab Juli bereits der um 0,35 Prozentpunkte steigende Beitragssatz für die Pflegeversicherung, Kinderlose zahlen sogar 0,6 Prozentpunkte mehr.
Für kinderlose Arbeitnehmer und deren Betrieb bedeutet das im Schnitt eine Mehrbelastung von insgesamt 252 Euro pro Jahr. Wer Kinder hat, zahlt weniger. Insgesamt aber erhöht sich die Beitragslast für Arbeitgeber und -nehmer im kommenden Jahr so um bis zu 420 Euro.
Mit welchen Kosten Besserverdiener rechnen müssen
Besserverdiener erwarten deutlich höhere Belastungen. Wird die Beitragsbemessungsgrenze im kommenden Jahr wie üblich an die Lohnentwicklung angepasst, müsste sie laut ZEW von heute 59.850 Euro Bruttomonatslohn auf 63.600 Euro steigen. Das allein ist ein Plus von 5,6 Prozent, welches sich aus der Nominallohnsteigerung im Jahr 2022 ergibt.
Hinzu kommen die höheren Beiträge. Wer über der Beitragsbemessungsgrenze verdient, muss 2024 rund 127 Euro (0,2 Prozentpunkte) bis 254 Euro mehr zahlen, die Hälfte trägt auch hier der Arbeitgeber. In der Pflegeversicherung zahlen kinderlose Arbeitnehmer und ihre Betriebe rund 382 Euro mehr, insgesamt sind es also bis zu 636 Euro mehr.
Wie stark die Beiträge in Lauterbachs Amtszeit gestiegen sind
Seit Lauterbach Minister ist, wird sich die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung damit im Jahr 2024 im Extremfall um rund 1049 Euro für Besserverdienende und deren Arbeitgeber verteuert haben, für Durchschnittsverdiener immerhin um 693 Euro.
Bereits zum Jahresbeginn 2023 stieg der Zusatzbeitrag in der GKV um durchschnittlich 0,3 Prozentpunkte, außerdem stieg der Beitrag in der Pflegeversicherung im Jahr 2022 für Kinderlose um 0,35 Prozentpunkte. Letzteres beschloss die Vorgängerregierung.
Kritik an steigenden Beiträgen
ZEW-Forscher Nicolas Ziebarth nennt die steigenden Beiträge „problematisch“ – insbesondere mit Blick auf die hohe Inflation und vorherige Beitragssprünge. Er empfiehlt Verbrauchern, Vergleichsportale zu nutzen und in eine billigere Krankenkasse zu wechseln. Die Politik wiederum müsse die Ausgaben in den Blick nehmen. Auch FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer sagte, Menschen und Betrieben gerade jetzt Mehrbelastungen aufzubürden, sei der falsche Weg.
Immer nur die Beitragszahlenden abzukassieren, grenzt an Arbeitsverweigerung. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände wiederum monierte, „immer nur die Beitragszahlenden abzukassieren, grenzt an Arbeitsverweigerung“. Nötig seien Strukturreformen, sonst werde es für Beschäftigte und Arbeitgeber bei gleichen Leistungen immer teurer.
Es gibt Alternativen
Neben den von Ökonomen und der FDP geforderten Ausgabenkürzungen sprechen sich insbesondere die Kassen dafür aus, dass sich der Bund stärker an den Kosten für die Bürgergeld-Empfänger beteiligt. Dies würde die GKV um bis zu zehn Milliarden Euro entlasten.
Im Gespräch ist auch eine gesonderte Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, sodass untere Einkommen von höheren Beiträgen verschont blieben.
Eine Berechnung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, über die das Handelsblatt berichtete, ergab, dass sich Beitragssatzsteigerungen vermeiden ließen, wenn die Grenze auf das Niveau der jetzigen Versicherungspflichtgrenze von rund 65.000 Euro Bruttojahreseinkommen steigen würde. Sie beschreibt, ab welchem Einkommen Arbeitnehmer in die private Krankenversicherung wechseln dürfen.
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Für den Schritt spricht sich unter anderem Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink aus. So trügen Menschen mit hohem Einkommen stärker zur Finanzierung bei, sagte sie. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sagte, ein höherer Beitrag träfe in der Inflation vor allem Menschen mit kleinen Einkommen. Arbeitgeberverbände sprechen sich vehement gegen eine höhere Grenze aus, um weitere Belastungen zu vermeiden.
Mehr: Der Kassen-Patient ist bei Lauterbach wieder der Dumme – ein Kommentar
<< Den vollständigen Artikel: Beitragserhöhungen: Wie viel Lauterbachs Krankenkassen-Pläne jeden Versicherten kosten >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.