Brüssel Rund einen Monat vor dem Nato-Gipfel in Litauen ringen die 31 Mitgliedstaaten der Militärallianz noch immer um Kompromisse bei strittigen Topthemen. Zum Abschluss eines zweitägigen Treffens der Verteidigungsminister in Brüssel blieben am Freitag zahlreiche Fragen unbeantwortet. So ist weiter unklar, wie die unterschiedlichen Ansichten zu einem neuen Ziel für die Höhe der Verteidigungsausgaben unter einen Hut gebracht werden können. Zudem spalten der Umgang mit dem Beitrittswunsch der von Russland angegriffenen Ukraine und die Suche nach einem Nachfolger für Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Auch neue Verteidigungspläne für die Abwehr von möglichen russischen Angriffen konnten die Minister nicht wie ursprünglich geplant billigen. Grund waren nach Angaben aus Bündniskreisen Änderungswünsche der Türkei, die insbesondere Griechenland nicht akzeptieren wollte. Die beiden Länder haben unter anderem wegen des Zypernkonflikts seit Jahrzehnten miteinander Probleme.
In der Diskussion um die Verteidigungsausgaben geht es vor allem um die Frage, wie das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel weiterentwickelt werden soll. Dieses sieht aktuell vor, dass sich alle Bündnisstaaten bis 2024 dem Richtwert annähern, mindestens zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung auszugeben.
Verteidigungsminister Boris Pistorius sagte am Freitag, Deutschland werde das Ziel 2024 erreichen und dann auch halten. Als „Basis“ sollte die zwei Prozent vorerst aber nicht gelten. Als Grund nannte er Schwierigkeiten anderer Staaten und den Wunsch, nicht erneut Zielvorgaben für einen Zehnjahreszeitraum zu machen.
Andere Länder sprachen sich hingegen in Brüssel erneut für ein deutlich anspruchsvolleres Ziel bei den Verteidigungsausgaben aus. So forderte der estnische Minister Hanno Pevkur, die Zielvorgabe auf 2,5 Prozent anzuheben.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin machte deutlich, dass er davon ausgeht, dass beim Gipfel in Vilnius das Ziel vereinbart wird, mehr als zwei Prozent auszugeben. Die zwei Prozent wären demnach die neue Untergrenze.
Schwierige Suche nach einem Stoltenberg-Nachfolger
Offiziell nicht auf der Tagesordnung stand bei dem Treffen der Verteidigungsminister die Frage, wer Nachfolgerin oder Nachfolger von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg werden soll. Dessen Vertrag läuft Ende September aus.
Am Rande wurde allerdings deutlich, dass es bislang keinerlei Hinweise darauf gibt, dass sich die Nato-Staaten auf einen anderen Kandidaten einigen können. Als Anwärter galten zuletzt die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und der britische Verteidigungsminister Ben Wallace. Beide sind nicht unumstritten.
Als Argument gegen Wallace wird in EU-Staaten genannt, dass er nie Staats- und Regierungschef war und nicht aus einem EU-Land kommt. Gegner Frederiksens verweisen darauf, dass der wichtige Nato-Posten nicht erneut mit jemandem aus dem Norden besetzt werden sollte. Als Alternative wurde zuletzt auch der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez genannt. Er könnte nach der Parlamentswahl im kommenden Monat einen neuen Job benötigen.
Stoltenberg betonte am Freitag erneut, dass er keine weitere Amtszeit anstrebe. Er schloss allerdings auch nicht aus, im Zweifelsfall noch bis zum Jubiläumsgipfel zum 75-jährigen Bestehen im Amt zu bleiben. Dieser wird im kommenden Juli in Washington organisiert. Stoltenberg wäre dann knapp zehn Jahre im Amt.
Kompromiss für Ukraine in Sicht
Deutliche Meinungsunterschiede wurden beim Ministertreffen auch beim Umgang mit den Nato-Beitrittshoffnungen der Ukraine deutlich. Als ein weiterer Kompromiss in der Frage zeichnet sich derzeit ab, dass sich alle Mitgliedstaaten damit einverstanden erklären, vor einer möglichen Aufnahme nicht auf das übliche Heranführungsprogramm zu bestehen. Auch er sei dafür offen, sagte Pistorius in Brüssel.
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Ein Verzicht auf den Aktionsplan zur Mitgliedschaft (Membership Action Plan – Map) gilt als zusätzliche Möglichkeit, der Ukraine beim bevorstehenden Nato-Gipfel in Vilnius entgegenzukommen. Der als Gast eingeladene ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erhofft sich da eigentlich eine konkrete Einladung für den Beitritt.
Länder wie Deutschland und die USA wollen diese aber im Gegensatz zu Staaten wie Litauen nicht aussprechen. Als Grund gelten Sorgen vor einer unberechenbaren Reaktion Russlands, das mit seinem Krieg gegen die Ukraine einen Nato-Beitritt des Landes zu verhindern versucht.
Neues Format für die Zusammenarbeit mit der Ukraine
Bereits am Mittwoch hatten die Nato-Staaten in einem schriftlichen Verfahren ein neues Format für die Zusammenarbeit mit der Ukraine beschlossen. Es sieht vor, die bestehende Nato-Ukraine-Kommission zu einem Nato-Ukraine-Rat aufzuwerten.
Dies soll es ermöglichen, mit dem von Russland angegriffenen Land auf Augenhöhe Schlüsselfragen der Sicherheit zu diskutieren und auch gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Die Kommission wurde vor allem eingerichtet, um mit der Ukraine Reformen zu diskutieren, die für einen Beitritt zur westlichen Militärallianz notwendig sind.
Pistorius sagte am Freitag, der Rat werde erstmals am Rande des Nato-Gipfels am 11. und 12. Juli in Litauen tagen. Die Ukraine bekomme nun einen gleichberechtigten Platz am Tisch der Allianz und sei nicht mehr nur Gast.
Das sei ein deutliches Zeichen, dass man die Zukunft der Ukraine in der Nato sehe. Zugleich sei aber allen Beteiligten auch klar, dass sich die Aufnahme eines Landes, das sich im Krieg befindet, schlicht und ergreifend verbiete. „Das muss allen klar sein, weil dann die Nato unmittelbar Kriegspartei wäre“, sagte er mit Blick darauf, dass die Ukraine dann unter Berufung auf Artikel 5 des Bündnisvertrags militärischen Beistand von den Alliierten verlangen könnte.
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