Berlin Politiker der Ampelkoalition fordern angesichts der teils drastisch gestiegenen Fernwärmepreise ein Einschreiten des Bundeskartellamts. Das Kartellamt müsse auch im Fernwärmebereich darauf achten, dass der Wettbewerb gewahrt bleibe. „Aus diesem Grund sollte eine neue Sektoruntersuchung durchgeführt werden“, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der Liberalen im Bundestag, Reinhard Houben, dem Handelsblatt.
Mit der sogenannten Sektoruntersuchung kann das Bundeskartellamt ganze Branchen untersuchen, wenn „starre Preise oder andere Umstände“ vermuten lassen, dass der Wettbewerb dort nicht mehr richtig funktioniert. Auch die SPD-Energiepolitikerin Nina Scheer sieht notfalls Handlungsbedarf. „Wenn Anhaltspunkte für außergesetzliche, fehlende Preistransparenz gegeben sind, muss dem nachgegangen werden“, sagte Scheer dem Handelsblatt.
Der Grünen-Wirtschaftspolitiker Dieter Janecek äußerte die Erwartung, dass die Versorger auf die sinkenden Großmarktpreise der letzten Wochen reagieren und diese Kostensenkungen „zeitnah“ an die Haushalte weitergeben. „Falls dies nicht geschieht, sollten die Kartellbehörden tätig werden.“
Die Koalitionspolitiker reagieren damit auf Hinweise des Verbrauchzentrale-Bundesverbands (VZBV). VZBV-Chefin Ramona Pop attestierte den Fernwärmeversorgern erhebliche Mängel bei der Preisgestaltung und rief die zuständigen Aufsichtsbehörden im Bund und in den Ländern zum Handeln auf. „Die Kartellämter sollten beim Thema Fernwärme ganz genau hinschauen“, sagte Pop dem Handelsblatt.
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Untersuchungen ihres Verbands zum Fernwärmemarkt hätten „unglaubliche“ Preisunterschiede gezeigt. Die Preissteigerung der Anbieter betrug demnach zwischen 28 und 92 Prozent. „Die Verbraucherzentralen berichten von teils horrenden Nachzahlungen für 2021, manche Fernwärmekunden zahlen das Doppelte, dementsprechend auch erhöhte Abschläge in 2022“, sagte Pop.
Mieterbund kritisiert Dezember-Soforthilfe für Fernwärmekunden als zu spät
Das Bundeskartellamt hatte zuletzt im Jahr 2012 eine „Sektoruntersuchung Fernwärme“ durchgeführt. Die Behörde hatte seinerzeit bei einigen Fernwärme-Anbietern Hinweise auf Preismissbrauch gefunden. Im Abschlussbericht der Untersuchung war von „klaren wettbewerblichem Defiziten auf den Fernwärmemärkten“ die Rede. Der Preisunterschied zwischen einzelnen Netzgebieten betrage in einigen Fällen mehr als 100 Prozent.
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Aus Sicht von Verbraucherschützerin Pop hat sich die Lage nicht wirklich verbessert. Mieterinnen und Mieter seien den Preisforderungen und Konditionen der Versorger „weitgehend ausgeliefert“. Weder könnten sie sich gegen eine „übermäßige“ Preiserhöhung zur Wehr setzen, noch könnten sie ihr ausweichen.
Zwar hat der Bundestag krisenbedingt vor Kurzem eine milliardenschwere Dezember-Soforthilfe für Gas- und Fernwärmekunden beschlossen. Der Deutsche Mieterbund bemängelte indes, dass betroffene Mieterinnen und Mieter davon viel zu spät profitieren.
„Die meisten Mieterinnen und Mieter werden mit Erdgas und Fernwärme versorgt, hier wirkt die Dezember-Entlastung aus 2022 erst im Laufe des Jahres 2023 im Rahmen der Nebenkostenabrechnung der Mieter“, sagte der Präsident des Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. Die Regelungen seien außerdem viel zu kompliziert und gerade für Mieter kaum transparent.
Erschwerend kommt aus Sicht der Verbraucherschützerin Pop hinzu, dass die Preisgestaltung der Fernwärmeversorger weiterhin kaum nachvollziehbar sei. Die Anbieter agierten „völlig intransparent“, kritisierte die VZBV-Chefin. Bei rund einem Drittel der von ihrem Verband untersuchten Netze seien „keine vollständigen Angaben“ zu Preisen und der jeweiligen Preiszusammensetzung auf den Webseiten der Anbieter zu finden gewesen.
Jede siebte Wohnung in Deutschland wird mit Fernwärme beheizt
Dabei müssen Fernwärmeversorger seit Oktober 2021 bestimmte Angaben zu ihren Preisen in leicht verständlicher Form im Internet veröffentlichen. Nicht nur über den Preis müssen die Versorger ihre Kunden informieren, sondern auch über Netzverluste, also wie viel Prozent der Wärme auf dem Weg von der Erzeugung bis in die Gebäude im Rohrnetz verloren geht. Der VZBV ermittelte indes, dass die gesetzliche Pflicht zur Veröffentlichung der Netzverluste in zwei Dritteln der Fälle nicht umgesetzt worden sei.
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Der Befund ist für betroffene Verbraucher auch deshalb misslich, weil viele keine Möglichkeit haben, auf günstigere Anbieter umzusteigen. Bei Fernwärme gibt es in vielen Regionen keine Konkurrenz und teils sogar die rechtliche Verpflichtung zum Anschluss an ein bestimmtes Netz, falls man diese Energieform wählt.
Helfen können in der Regel nur sogenannte Missbrauchsverfahren des Kartellamts. Bei überhöhten Preisen in der Branche dienen sie dem Schutz der Verbraucher. Bei überregional tätigen Energieunternehmen liegt die Zuständigkeit beim Bundeskartellamt. Sofern ein Versorger ausschließlich in einem Bundesland tätig ist, sind die Landeskartellbehörden zuständig. In der Regel fallen Beschwerden über die Höhe und Ausgestaltung der Fernwärmepreise auch in die Länderzuständigkeit.
Gemessen an der Bedeutung der Fernwärme hätten Missbrauchsverfahren eine große Relevanz. Immerhin jede siebte Wohnung in Deutschland wird mit Fernwärme beheizt. Es ist damit die drittwichtigste Heizungsart nach Gas- und Ölkesseln.
Die mehr als 500 Fernwärme-Erzeuger sind meist Stadtwerke
Fernwärme heißt so, weil das Wasser für Heizung und Wasserhahn nicht zu Hause erhitzt wird, sondern durch meist unterirdische Leitungen aus einem Heizkraftwerk kommt, das in der Regel ganze Straßenzüge oder Stadtviertel zentral versorgt. Viele Großsiedlungen sind darunter, die allermeisten Nutzer sind Mieter.
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Die mehr als 500 Erzeuger sind meist Stadtwerke, aber auch große Versorger wie RWE, Eon, EnBW und Vattenfall bieten Fernwärme an. Die Kommunen können Anwohner verpflichten, sich an das Fernwärmenetz anzuschließen.
Der FDP-Politiker Houben wies darauf hin, dass Fernwärme einen Beitrag zum klimafreundlichen Heizen leiste und deshalb auch einen guten Ruf habe. „Die Anbieter von Fernwärme sollten diesen nicht durch hohe und intransparente Preise aufs Spiel setzen”, sagte er.
Auch der Grünen-Politiker Janecek ermahnte die Versorger. Zwar hätten sie im Spätsommer zu teilweise stark überhöhten Preisen Gas am Markt einkaufen müssen und geben nun diese Kostensteigerungen an die Haushalte weiter. „Allerdings dürfen die Versorger die Situation nicht ausnutzen und überzogene Preissteigerungen durchsetzen.“
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