London, Riga Westliche Regierungen wollen möglichst viel Geld privater Investoren in den Wiederaufbau der Ukraine leiten. Das ist das Ziel einer internationalen Geberkonferenz in London, die an diesem Mittwoch beginnt. „Die Vision des Privatsektors, dem Land beim Wiederaufbau und der Erholung zu helfen, muss genauso groß sein wie die Tapferkeit der Ukraine auf dem Schlachtfeld“, forderte der britische Premierminister Rishi Sunak vor Beginn der „Ukraine Recovery Conference“.
Großbritannien ist zusammen mit der Ukraine der Gastgeber für rund 1000 Delegierte aus mehr als 60 Ländern. Dabei sind auch rund 100 Vertreter von Unternehmen. Die EU-Kommission stellte am Dienstag bereits 50 Milliarden Euro an neuen Finanzhilfen verteilt auf mehrere Jahre in Aussicht. Das soll sowohl staatliche wie private Geldgeber motivieren, mehr zu tun.
„Die öffentlichen Gelder reichen für einen Wiederaufbau nicht“, hieß es vorab aus der deutschen Delegation, die von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) angeführt wird. Aber es gebe großes Interesse gerade auch bei deutschen Unternehmen, sich langfristig in der Ukraine zu engagieren.
Wie lassen sich Risiken abfedern?
Doch die Risiken sind enorm, wie die Sprengung des Kachowa-Staudamms Anfang Juni noch einmal deutlich machte. Nicht nur der Staudamm wurde zerstört, sondern ganze Städte unterhalb des Dammes.
Die Regierungen versuchen nun, diese Risiken mit staatlichen Ausfallgarantien für Exporte und Investitionen abzumildern. Von britischer Seite wurde die Idee einer „Kriegsrisikoversicherung“ ins Spiel gebracht, die etwa die finanziellen Verluste durch unmittelbare Kriegshandlungen reduzieren soll. Organisieren sollen das große Banken und Rückversicherer.
Auf deutscher Seite hält man die Umsetzung einer Kriegsrisikoversicherung jedoch für „schwierig“. Größere Chancen werden dem sogenannten „Ukraine Business Compact“ eingeräumt. Dort können sich internationale Unternehmen melden, die sich am Wiederaufbau der Ukraine beteiligen. Im Einzelfall können darüber Absicherungen durch Staaten organisiert werden.
Eine weitere Form der Absicherung organisiert die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Im Februar einigte sich die EBRD mit der Multilateral Investment Guarantee Agency (MIGA) auf ein 200 Millionen Dollar großes Paket, von dem auch die Ukraine profitieren soll. „Die MIGA-EBRD-Partnerschaft wird die notwendige Handelsfinanzierung in der Ukraine … in einer Zeit des steigenden wirtschaftlichen Drucks und der erhöhten geopolitischen Risiken für Handel, Lieferketten und wichtige Importe erleichtern“, sagte damals MIGA-Vizechef Hiroshi Matano. Die EBRD will darüber hinaus bis Ende 2023 rund drei Milliarden Euro in der Ukraine investieren, um den Wiederaufbau voranzubringen.
Das Interesse privater Investoren ist geweckt. Die beiden US-Finanzinstitute JP Morgan und Blackrock wollen zusammen mit der Regierung in Kiew eine „Wiederaufbau-Bank“ gründen, über die öffentliches Startkapital in Projekte geschleust wird, die dann von privaten Investoren mitfinanziert werden sollen.
Kiew verspricht Korruptionsbekämpfung
Länder wie Großbritannien oder Dänemark wollen ihre finanzielle Hilfe zunächst auf sogenannte „Vorzeigeprojekte“ konzentrieren, um dort möglichst attraktive Bedingungen für die Unternehmen zu schaffen. In Berlin hält man davon jedoch nichts. „Das ist nicht unser Ansatz“, sagte eine Diplomatin. Besser sei es, die Zentralregierung in Kiew zu unterstützen.
Gleichzeitig will man in Berlin besonders darauf achten, dass Hilfsgelder nicht durch Korruption versanden. „Der Wiederaufbau muss von einem Reformprozess in der Ukraine begleitet werden, und dabei sind Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität ganz wichtig“, hieß es aus Kreisen der beteiligten Bundesministerien.
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Die Regierung in Kiew weiß das. „Die Rolle der Regierung hat seit der umfassenden russischen Invasion deutlich zugenommen“, sagte der Wirtschaftsberater Wolodimir Selenskis, Alexander Rodnyansky. Das sei eine „natürlich Entwicklung“ in jedem großen Konflikt.
Man müsse aber nach dem Sieg „zu unserer Agenda der wirtschaftlichen Liberalisierung zurückkehren. Der Erholungsprozess des Landes werde weder einfach noch erfolgreich sein, wenn der Privatsektor systematisch vom Staat verdrängt werde.
USA überweisen eingefrorene Gelder
Vor der Konferenz wurde wieder die Forderung laut, die eingefrorenen Guthaben vermögender Russen und der russischen Zentralbank im Ausland für wen Wiederaufbau verfügbar zu machen. Die USA haben im Mai bereits eine erste Tranche von beschlagnahmten russischen Vermögen an die Ukraine überwiesen. Kanada hat den Zugriff auf Vermögenswerte sanktionierter Russen vereinfacht.
Die ukrainische Regierung will, dass Europa nachzieht. „Es muss Russland sein, das zur Rechenschaft gezogen wird und zahlen muss“, sagte Wladislaw Vlasiuk, Sanktionsberater von Selenski, in einem Interview mit der britischen Wochenzeitung Observer. „Die Vermögenswerte, die sich in Großbritannien und in anderen Ländern befinden, sind leicht zugänglich“, betonte er, „wir möchten, dass diese beschlagnahmt und für den Wiederaufbau in die Ukraine geschickt werden“.
In London ist man jedoch skeptisch. „Die damit verbundenen rechtlichen Probleme sind sehr komplex“, hieß es aus Kreisen der britischen Regierung. Man werden das Thema deshalb auf der Konferenz nicht in den Fokus rücken, auch wenn die politische Forderung nach Reparationszahlungen gerechtfertigt sei. Auch in der EU tut man sich schwer damit.
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Die Regierung in London tut sich trotz mehrerer Initiativen immer noch schwer, die Vermögen russischer Oligarchen in Großbritannien überhaupt erst einmal einzufrieren. Insbesondere die Trusts würden von der „Economic Crime and Corporate Transparency Bill“ der Regierung nicht ausreichend erfasst und dienten weiterhin als Versteck für „schmutziges Geld“, kritisiert das Londoner „Committee for Legislation Against Moneylaudering in Properties by Kleptocrats“ (ClampK).
Die Ukraine will hoch hinaus
Das Geld würde dringend gebraucht. Die Schätzungen, wie viel Geld die Ukraine benötigt, bewegen sich im Bereich von mehreren Hundert Milliarden Dollar. Der Präsident der Europäischen Investitionsbank (EIB), Werner Hoyer, sprach sogar von mehr als einer Billion. Wahrscheinlich ist die Summe höher als das, was die USA nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrem Marshall-Plan für den Wiederaufbau Europas zur Verfügung stellten.
Allein den Kachowkaer Staudamm und das dazugehörige Wasserkraftwerk wieder aufzubauen, kostet laut Uno mehr als eine Milliarde Dollar.
In diesem Jahr brauche die Ukraine insgesamt etwa 14 Milliarden Dollar, heißt es aus der deutschen Delegation. In Kiew schätzt man den kurzfristigen Bedarf viermal so hoch ein.
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Das liegt auch daran, dass die ukrainische Regierung ehrgeizigere Ziele verfolgt. Bis 2032 will das Land eine jährliche Wachstumsrate von über sieben Prozent erreichen, mehr als 750 Milliarden Dollar an Investitionen einsammeln, im Weltbank-Index für Humankapital in den Top 25 landen und den CO2-Ausstoß – gemessen an den Emissionen im Jahr 1990 – um 65 Prozent reduzieren.
Wie viel sich davon umsetzen lässt, wird auch von der deutschen Bundesregierung abhängen, die bereits zugesagt hat, im kommenden Jahr die nächste Geberkonferenz für die Ukraine auszurichten.
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