Jun 27, 2023
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Lieferketten : China warnt vor Politisierung des Welthandels

Written by Sabine Gusbeth


Tianjin, Brüssel, Berlin Die Bestrebungen westlicher Länder, ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu verringern, treffen auf die Gegenwehr der chinesischen Führung. Chinas Ministerpräsident Li Qiang warnte auf einer Wirtschaftskonferenz davor, den Begriff des Risikos zu einem „ideologischen Instrument“ zu machen.

In der EU wie in den USA wird derzeit daran gearbeitet, die Abhängigkeit von der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zu reduzieren, aus Sorge, das autoritäre Land könnte diese als Druckmittel missbrauchen. Dazu sollen Lieferketten so organisiert werden, dass sie zur Not auch ohne chinesische Komponenten auskommen können. Diese Strategie wird als „Derisking“ bezeichnet, zu Deutsch in etwa: Risikominderung.

China lehne eine „künstliche Politisierung von Wirtschafts- und Handelsfragen entschieden ab“, stellte Li am Dienstag bei seiner Eröffnungsrede der Sommeredition des Weltwirtschaftsforums in Tianjin klar und reagierte damit auf Pläne der EU-Kommission in Brüssel.

Behördenchefin Ursula von der Leyen hatte vergangene Woche eine Strategie zur Wirtschaftssicherheit vorgestellt, die darauf ausgerichtet ist, politische Risiken in den ökonomischen Beziehungen zu China zu verringern. Noch in diesem Jahr will die Kommission einen Gesetzesvorschlag ausarbeiten, der erstmals eine staatliche Prüfung von bestimmten Investitionen in China ermöglichen soll.

Die Idee ist es, den Abfluss von Know-how in strategisch wichtigen Bereichen einzudämmen. Dazu zählt die EU-Kommission Halbleiter, Quantencomputer und Künstliche Intelligenz.

Von der Leyen hat ihre Strategie eng mit der US-Regierung abgestimmt, die ebenfalls eine Politik des Deriskings betreibt. Washington fürchtet, dass die Spannungen mit China in einen militärischen Konflikt münden könnten. Daher versuchen die Amerikaner, ihren technologischen Vorsprung zu halten und so auch ihre militärische Überlegenheit zu bewahren. 

Skepsis bei EU-Mitgliedstaaten

Die EU-Mitgliedstaaten, die auf ihrem Gipfeltreffen Ende der Woche über die Chinapolitik beraten wollen, sind allerdings noch skeptisch, ob der amerikanische Kurs auch im europäischen Interesse ist. Die drohende Konfrontation zwischen den USA und China bereitet den europäischen Regierungen zunehmend Sorge. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte die Europäer zuletzt davor gewarnt, nur Amerikas Anhängsel zu sein. 

Daher bestehen die europäischen Regierungen auf der Feststellung, dass sich Europas Derisking-Pläne nicht gegen China richten. „Die Europäische Union hat nicht die Absicht, sich abzukoppeln oder sich nach innen zu wenden“, wollen die Staats- und Regierungschefs der EU in der Abschlusserklärung des EU-Gipfels betonen. Ein aktueller Entwurf liegt dem Handelsblatt vor.

Die europäische „Politik zielt nicht darauf ab, China zu schaden oder Chinas wirtschaftlichen Fortschritt und seine Entwicklung zu behindern“, heißt es dort weiter.

In einigen Mitgliedstaaten gibt es die Befürchtung, dass die USA das Derisking auch als Vorwand nutzen könnten, um die chinesische Wirtschaftsentwicklung insgesamt zu hemmen und damit zu verhindern, von der Volksrepublik ökonomisch überholt zu werden. Das liefe auf eine moderne Form des Containments hinaus, das auch die chinesische Bevölkerung treffen und sie voraussichtlich ärmer machen würde. Davon will sich die EU absetzen.

Teilnehmer der Konferenz in Tianjin

Die Sommerversion des WEF in China nutzt das Land auch als Bühne für seine wirtschaftlichen Interessen.

(Foto: IMAGO/VCG)

Schon aus ethischen Gründen dürfe die EU diesem Pfad nicht folgen, sagte der Chef des Brüsseler Thinktanks Bruegel, Jeromin Zettelmeyer, kürzlich dem Handelsblatt. 

Was genau unter den Begriff des Deriskings fällt und wie es umgesetzt werden kann, zählt derzeit zu den wichtigsten ökonomischen Debatten – und prägt auch das Wirtschaftsforum in Tianjin. Die auch als „Sommer-Davos“ bezeichnete Veranstaltung findet erstmals seit der Pandemie wieder in China statt. Die Staatsführung hatte ihr Land in den vergangenen drei Jahren weitgehend von der Außenwelt abgeschottet und eine strikte Null-Covid-Politik verfolgt.

>> Lesen Sie hier: Europäische Firmen beklagen schlechtes Geschäftsumfeld in China

Seit dem abrupten Ende der Restriktionen bemüht sich Chinas Staatsführung stark um Investitionen und Know-how aus dem Ausland, auch weil sich zuletzt die Hinweise mehrten, dass sich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt langsamer vom Coronachaos erholt als von vielen erhofft.

Li trat in seiner Rede allerdings Spekulationen entgegen, dass sich das Wirtschaftswachstum in der Volksrepublik abschwäche. Er verwies darauf, dass die Wirtschaft im ersten Quartal um 4,5 Prozent zugelegt habe. Es werde erwartet, dass sie im zweiten Quartal „noch schneller gewachsen“ und „auf Kurs“ sei, um das selbst gesteckte Wachstumsziel von rund fünf Prozent zu erreichen.

Peking stellt Sicherheit über Wirtschaftswachstum

Chinas Premier, seit März im Amt, ist gerade von seiner ersten Auslandsreise nach Deutschland und Frankreich zurückgekehrt. Li hatte sich in Berlin gegenüber deutschen Unternehmensvertretern kritisch zu Forderungen nach einem Derisking geäußert. Unternehmen sollten, was die Risikoeinschätzung angehe, wieder selbst „das Steuer übernehmen“, forderte er der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge. Er warnte davor, die Diskussion über Abhängigkeiten „künstlich zu übertreiben“. Das größte Risiko sei es, nicht zu kooperieren, so Li.

Forum in Tianjin

Anders als in früheren Jahren sind diesmal nur wenig namhafte Privatunternehmer auf dem Sommer-Davos vertreten.


(Foto: Reuters)

Die Atmosphäre des Treffens in der vergangenen Woche sei locker gewesen, berichtete ein Teilnehmer dem Handelsblatt. Der Premier habe mit Augenzwinkern berichtet, dass er früher einen Volkswagen Santana oder einen Audi gefahren habe, ohne dies als Risiko zu sehen. Auch Untersuchungen im Krankenhaus mit Medizingeräten von Siemens habe er nicht als riskant empfunden.

>> Lesen Sie hier: Deutsche Unternehmen investieren so viel wie nie in China – Wo die größten Abhängigkeiten bestehen

Chinas Kritik an einer Politisierung der Wirtschaft sowie am Konzept der Risikoreduzierung entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie. Die Staatsführung unter Xi Jinping forciert seit Jahren eine größere Unabhängigkeit der heimischen Wirtschaft. Bereits 2015 wurde die wirtschaftspolitische Strategie „Made in China 2025“ vorgestellt, 2020 folgte das Konzept des doppelten Wirtschaftskreislaufs, das eine Stärkung der Binnenwirtschaft vorsieht. Darüber hinaus stellte die herrschende Kommunistische Partei zunehmend die nationale Sicherheit über wirtschaftliche Interessen.

Auch in Tianjin war die zunehmende Politisierung auf den ersten Blick erkennbar. Gleich am Eingang des Kongresszentrums haben die Veranstalter einen Stand aufgebaut, auf dem Xi Jinpings ideologische Doktrin – die gesammelten Werke der „Ideen des Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter“ – präsentiert wird.

Anders als in früheren Jahren sind diesmal nur wenig namhafte Privatunternehmer beim Sommer-Davos vertreten. Auch hochkarätige Teilnehmer aus dem Ausland sind kaum auf der Teilnehmerliste zu finden. China fällt es offenbar schwer, die internationale Wirtschaftselite zu überzeugen, dass sie nach drei Jahren der Corona-Abschottung wieder willkommen ist.

Mehr: Von der Leyen rückt vom Freihandel ab



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