Paris Nach sechs Gewaltnächten richtete Thierry Véron, Präsident des Pariser Einzelhandelsverbands Facap, einen Hilferuf an die Politik. Die Situation sei „dramatisch“, sagte Véron am Montag dem Radiosender France Bleu. Einige Ladenbesitzer hätten sich bewaffnet, um ihre Geschäfte vor den Plünderern zu beschützen. „Wir sind in einem Zustand der Verzweiflung, der großen Wut.“
Véron forderte eine finanzielle Unterstützung des Staates und der Stadt Paris. Denn der Einzelhandel trage nicht nur die Kosten der Verwüstungen, sondern habe auch Einnahmeausfälle, wenn Geschäfte während der Reparaturarbeiten geschlossen bleiben müssten. Der Bürgermeister von Marseille versprach den Läden in der Mittelmeerstadt bereits zwei Millionen Euro Nothilfe – reichen dürfte diese Summe aber nicht.
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Die Ausschreitungen nach dem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen Jugendlichen haben Frankreich nicht nur in eine innenpolitische Krise gestürzt, sie sind auch ein Schock für die Wirtschaft des Landes. Auch wenn die Gewalt in der Nacht zum Montag abebbte, ist es für eine Bilanz noch zu früh. Es werden aber Vergleiche mit den Vorstadt-Unruhen von 2005 und den Gelbwesten-Protesten von 2018 gezogen, bei denen die Schadenhöhe damals auf 200 beziehungsweise 250 Millionen Euro geschätzt worden war.
Die französische Arbeitgebervereinigung Medef drückte am Montag ihre Unterstützung für die „Tausenden Unternehmer und Einzelhändler“ aus, deren Betriebsstätten verwüstet worden seien. „Dieses Aufflammen der Gewalt hat natürlich wirtschaftliche und soziale Konsequenzen“, erklärte der Verband.
Die „nicht wiedergutzumachenden Verluste“ könnten zu Kurzarbeit oder sogar zur Zerstörung von Arbeitsplätzen führen. Die aktuelle Situation beschädige außerdem das Image des Wirtschaftsstandorts Frankreich.
„Neben den in der Tourismusbranche bereits registrierten Stornierungen könnten sich Investoren aus Projekten zurückziehen, wenn die Ruhe nicht wiederhergestellt und die Sicherheit garantiert wird“, heißt es in der Erklärung.
Randalierer plünderten Dutzende Einkaufszentren
Nach ersten offiziellen Zahlen traf die Verwüstung Dutzende Einkaufszentren, rund 200 Supermärkte, mehr als 250 Tabakläden, etwa 250 Bankfilialen und viele Restaurants. Auch die Auslagen von zahlreichen Modeboutiquen, Elektronikgeschäften und anderen Einzelhändlern wurden geplündert. In Straßburg räumten Randalierer am helllichten Tag einen Apple Store aus.
Betroffen ist auch der Tourismussektor, mehrere Länder gaben eine Reisewarnung für Frankreich aus. Dem Pariser Tourismusbüro zufolge stornierten in den vergangenen Tagen 20 bis 25 Prozent der internationalen Gäste ihren Aufenthalt. Konzerte und Festivals wurden abgesagt. Den Verkehrsbetrieben in den französischen Städten entstanden hohe Millionenschäden durch angezündete Busse und Straßenbahnen.
Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sagte, dass mehr als 90 Prozent der betroffenen Geschäfte und Betriebe einen Versicherungsschutz hätten. Der Minister rief die Versicherer auf, die Entschädigungen so schnell wie möglich auszuzahlen und die Selbstbeteiligung herabzusetzen.
Der Verband der französischen Versicherungswirtschaft, France Assureurs, erklärte, die Branche sei „voll mobilisiert“, um ihren Kunden zur Seite zu stehen. Mit Blick auf eine mögliche Reduzierung der Selbstbehalte hielt sich der Verband aber bedeckt.
Wirtschaftsverbände fordern Nothilfen vom Staat
Die Regierung will den betroffenen Geschäften mit Stundungen bei Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen helfen. Le Maire appellierte auch an die Banken, bei der Fälligkeit von Kreditraten „größtmögliches Verständnis“ walten zu lassen. Die Einzelhändler wünschen sich dieses Verständnis auch seitens des Staates und verlangen, dass die Fristen für die Rückzahlung der während der Pandemie vergebenen Hilfskredite verlängert werden.
Für Yohann Petiot, Chef des Einzelhandelsverbands Alliance du Commerce, reichen die Zusagen der Regierung nicht aus. „Wir werden noch mehr machen müssen“, sagte er. „Die Schadensumme wird extrem hoch sein.“ Die Unruhen hätten die Geschäfte mitten im Sommerschlussverkauf getroffen, ihre Umsatzverluste seien enorm.
Petiot brachte einen staatlichen Entschädigungsfonds für besonders betroffene Händler ins Gespräch. Auch der französische Verband der kleinen und mittelständischen Unternehmen CPME forderte staatliche Soforthilfen, da die wirtschaftliche Existenz vieler Händler auf dem Spiel stehe. Die von einigen Städten und Regionen angekündigten Hilfszahlen müssten auf ganz Frankreich ausgeweitet werden, erklärte der CPME.
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