Berlin Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger ist um klare Worte selten verlegen. Als die Debatte über die Viertagewoche förmlich eskalierte, forderte er, die Deutschen müssten wieder „mehr Bock auf Arbeit“ haben.
Besonders echauffieren kann sich der Heidelberger Unternehmer aber, wenn eines seiner Herzensanliegen berührt ist: die Tarifautonomie. Die Lohnfindung, so Dulgers ordnungspolitisches Credo, ist Sache von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Die Politik hat sich dabei gefälligst herauszuhalten.
Das tut sie momentan aber nicht. Seit die mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzte Mindestlohnkommission Ende Juni entschieden hatte, dass die gesetzliche Lohnuntergrenze zum 1. Januar 2024 von zwölf Euro brutto pro Stunde auf 12,41 Euro und ein Jahr später auf 12,82 Euro angehoben werden soll, reißt die Kritik an dem Beschluss nicht ab.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich im ARD-Sommerinterview „ein bisschen enttäuscht“, der DGB sprach von einem „absolut nicht zufriedenstellenden Beschluss“ und der CDU-Arbeitnehmerflügel warf der Kommission Versagen vor.
An die Spitze der Bewegung setzte sich SPD-Chef Lars Klingbeil, der versprach, seine Partei werde sich in der Regierung für eine Erhöhung des Mindestlohns auf 14 Euro starkmachen. Nach der Entscheidung der Ampelkoalition, die Lohnuntergrenze auf zwölf Euro anzuheben und dabei die unabhängige Kommission zu übergehen, droht der Mindestlohn erneut zum Spielball der Politik zu werden.
Deshalb meldete sich am Mittwoch Dulger zu Wort: Dass manche in der Politik die Entscheidung der Mindestlohnkommission nicht akzeptieren wollten, sei „der fundamentalste Angriff auf die tarifautonomen Entscheidungen in Deutschland“, kritisierte er. Denn der Mindestlohn wirke ja nicht nur in den niedrigeren Lohnbereichen, sondern führe insgesamt zu einer Lohn-Preis-Spirale.
„Ich begrüße, dass sich der Bundeskanzler diesen Populismus mit der Lohntüte nicht zu eigen macht“, sagte Dulger weiter. Denn Scholz hatte sich zwar enttäuscht gezeigt, aber genau wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) betont, dass die Regierung die Kommissionsentscheidung natürlich respektieren werde.
Für Frust hatte der Beschluss auch deshalb gesorgt, weil er erstmals seit Einführung des Mindestlohns nicht einvernehmlich gefallen ist. Weil sich die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter nicht einig wurden, hatte die Kommissionsvorsitzende, die frühere BA-Vorständin Christiane Schönefeld, zwei Kompromissvorschläge vorgelegt.
Einer davon fand schließlich die erforderliche Mehrheit – mit Schönefelds ausschlaggebender Stimme. Die Gewerkschaftsvertreter beharrten auf ihrer Maximalposition, dass die Lohnuntergrenze auf mindestens 13,50 Euro hätte steigen müssen, und verliehen ihrem Ärger in einer Stellungnahme zum Beschlusstext Ausdruck.
>> Hören Sie hier: Handelsblatt Economic Challenges: Die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro durch die Politik war töricht
Nach der alten Geschäftsordnung der Mindestlohnkommission wäre der Druck, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, noch größer gewesen. Doch auf Wunsch der Gewerkschaften wurde die Geschäftsordnung nicht verlängert. Das Mindestlohngesetz sieht aber vor, dass die Kommission zu einer Entscheidung kommen muss – notfalls eben mit der ausschlaggebenden Stimme der Vorsitzenden.
Forderung an Politik
Im Arbeitgeberlager sieht man deshalb auch nichts Verwerfliches an dieser Mehrheitsentscheidung, die ja beim nächsten Beschluss in zwei Jahren durchaus auch zugunsten der Gewerkschaften ausfallen könne. In einem Positionspapier führt Dulgers Verband BDA aus, warum die Kommission aus seiner Sicht durchaus ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt habe, auch wenn die Anpassung keinen vollen Inflationsausgleich bringe.
Sie habe eine maßvolle Empfehlung ausgesprochen, die die Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigungssituation angemessen berücksichtige. Die Inflation sei durchaus berücksichtigt, da die Mindestlohnanpassung der Tariflohnentwicklung folge.
Die Kommission dürfe aber nicht – gestützt auf unsichere Inflations- und Konjunkturprognosen – künftigen Tarifverhandlungen quasi vorgreifen. Außerdem sei der Mindestlohn nicht das richtige Instrument zur Armutsbekämpfung.
Dulger forderte deshalb die Politik auf, die Kommission künftig wieder ihre Arbeit machen zu lassen und die populistische Debatte zu beenden: „Wir brauchen jetzt Respekt vor der Tarifautonomie und der Sozialpartnerschaft.“
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