Düsseldorf Das Justizministerium in Nordrhein-Westfalen weigert sich seit einem Jahr, wichtige Unterlagen zum Steuerskandal Cum-Ex nach Hamburg zu schicken. Dort beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss mit der Frage, ob es unter dem ehemaligen Ersten Hamburger Bürgermeister und heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu politischer Einflussnahme zugunsten des Hamburger Bankiers Christian Olearius kam.
„Am 11. August 2022 hat der Untersuchungsausschuss auf unseren Antrag hin um Herausgabe der bei den Ermittlungen beschlagnahmten Asservate gebeten. Seitdem werden wir hingehalten“, sagt Richard Seelmaecker. Der Hamburger Oppositionspolitiker sitzt für die CDU im Untersuchungsausschuss.
Am Mittwoch werden Seelmaecker und die anderen Ausschussmitglieder Besuch von einer vierköpfigen Delegation des NRW-Justizministers Benjamin Limbach bekommen. Man wolle „die Problematik aufzeigen“ und „idealerweise in die Erörterung eines Konzepts eintreten“, um die „rasche Aktenvorlage“ sicherzustellen.
Für Seelmaecker klingt das wie Hohn. Limbach ist seit Juni 2022 im Amt, seitdem mauert der Grünen-Politiker. Für Seelmaecker ist jetzt klar: Weigert sich Limbach weiterhin, sämtliche Akten herauszugeben, wird er den Minister verklagen.
Der Begriff Cum-Ex steht für den größten Steuerskandal Deutschlands. Er bezeichnet eine Methode des Aktienhandels, bei dem sich die Beteiligten doppelt so viel Steuern erstatten ließen, wie sie zahlten. Banken und Investoren verdienten damit Milliarden.
Hamburger Finanzamt schonte die Warburg Bank
In Hamburg beteiligte sich die Traditionsbank M.M. Warburg an Cum-Ex-Geschäften. Als das zuständige Finanzamt von den doppelten Steuererstattungen erfuhr, wollte es 2016 47 Millionen Euro zurückfordern. Dann traf sich Olearius als Eigentümer der Bank mit Olaf Scholz, damals Erster Bürgermeister der Hansestadt.
Nach den Gesprächen verzichtete die Hamburger Finanzverwaltung plötzlich auf die Millionen. 2017 hätte sich der Vorgang fast wiederholt, diesmal ging es um 43 Millionen Euro. Erst nach Weisung des Bundesfinanzministeriums forderte das Finanzamt das Geld zurück.
Die Hamburger Staatsanwaltschaft ließ den Fall liegen. Doch die Staatsanwaltschaft Köln zog das Verfahren an sich und legte inzwischen mehrere Anklagen vor.
Im September 2019 begann am Landgericht Bonn der erste Cum-Ex-Prozess. Die Warburg Bank war als Nebenbeteiligte in den Prozess einbezogen. Nach einem Schuldspruch im März 2020 musste die Bank 176 Millionen Euro an die Staatskasse zahlen.
Lange Haftstrafen verhängt
Inzwischen gab es weitere Prozesse und weitere Urteile. Der ehemalige Generalbevollmächtigte der Warburg Bank wurde für fünf Jahre und sechs Monate ins Gefängnis geschickt, den Warburg-Anwalt Hanno Berger verurteilte das Gericht zu acht Jahren Haft. Im April wurde die Anklage gegen Olearius zugelassen.
Der Hamburger Untersuchungsausschuss befasst sich seit Ende 2020 mit dem Fall. Er soll klären, „warum der Hamburger Senat und die Hamburger Steuerverwaltung bereit waren, Steuern in Millionenhöhe mit Blick auf Cum-Ex-Geschäfte verjähren zu lassen und inwieweit es dabei zur Einflussnahme zugunsten der steuerpflichtigen Bank und zum Nachteil der Hamburgerinnen und Hamburger kam.“
53 Zeugen hat der Ausschuss vernommen, 43 Sitzungen absolviert. Bundeskanzler Scholz saß zweimal im Zeugenstand. Er bestritt eine Einflussnahme, an Details konnte er sich selten erinnern. Die Parlamentarier suchen deshalb nach Unterlagen, um die Lücken zu füllen.
Viele Belege liegen in Köln. Im Februar 2016 durchsuchte die Staatsanwaltschaft die Warburg Bank, im März 2018 erneut. Im September 2021 tauchten Beamte aus Köln beim Hamburger SPD-Politiker Johannes Kahrs auf. Sie besuchten auch den Arbeitsplatz der Beschuldigten Daniela P.: das Hamburger Finanzamt für Großunternehmen.
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Kahrs war derjenige, der den Kontakt zwischen Olearius und Scholz herstellte. Er war auch derjenige, der Olearius nach dem Treffen mit Scholz fragte, ob der Bankier für die SPD spenden wollte. Olearius spendete.
Finanzbeamtin mit „teuflischem Plan“
Daniela P. war die Finanzbeamtin, die die Steuern aus den Cum-Ex-Geschäften zunächst zurückfordern wollte und es nach dem Treffen des Bankiers und des Bürgermeisters doch nicht tat. Sie bestritt einen Zusammenhang. Doch in einer SMS an eine Kollegin freute sie sich, dass der „teuflische Plan“ aufgegangen sei.
Der Hamburger Abgeordnete Seelmaecker fragt sich nun, warum die NRW-Beamten ihre Erkenntnisse nicht teilen wollen. Seit der Hamburger Cum-Ex-Ausschuss im August 2022 die Unterlagen anforderte, hat sich ein reger Schriftwechsel entsponnen.
„Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass dies jedenfalls derzeit noch nicht der Fall ist“, schrieb Justizminister Limbach Anfang Januar auf die Frage aus Hamburg, wann der Ausschuss mit den Unterlagen zu Cum-Ex rechnen könne. Limbach habe den Leitenden Oberstaatsanwalt in Köln gefragt.
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Der habe mitgeteilt, dass es dauere. „Da sich stets neue Ermittlungsansätze in den Verfahren ergeben könnten“, sei eine „belastbare Prognose, wann die Auswertung und Sichtung sämtlicher Asservate abgeschlossen sein werden, derzeit nicht möglich“, schrieb Limbach. Er habe keinen Anlass, an der Darstellung des Oberstaatsanwalts zu zweifeln.
Seelmaecker fühlte sich verschaukelt. Am 18. Februar 2023 schrieb er an Limbach: „Trotz Zusage auf Arbeitsebene vor acht Monaten und unseres nachfolgenden Beschlusses des Untersuchungsausschusses vor einem halben Jahr haben wir bis heute nicht die in Amtshilfe angeforderten Asservate erhalten.“ Er setzte Limbach eine Frist bis zum 7. März.
Daten sollten gelöscht werden
Am 9. März teilte Limbach mit, er habe einen „praktischen Vorschlag für die Beantwortung des Vorlageersuchens“. Um die Sichtung zu beschleunigen, könne die Staatsanwaltschaft Köln „für das Ermittlungsverfahren nicht als beweisrelevant erachtete Unterlagen löschen“. Darunter sollen sich E-Mail-Postfächer von Scholz´ Büroleiterin Jeanette Schwamberger und des Kanzleramtschefs Wolfgang Schmidt befinden.
Für Seelmaecker klang das bedrohlich. Unterlagen, die strafrechtlich keine Bedeutung hatten, konnten für die Klärung der politischen Verantwortung sehr wohl wichtig sein. Er intervenierte. Inzwischen hat der Untersuchungsausschuss die Zusicherung, NRW werde keine Daten löschen. An ihrer Prüfung hält Limbach fest.
Im Mai schrieb der Minister, die Unterlagen würden dem Ausschuss „unaufgefordert“ zugesandt. Er habe allerdings den Leitenden Oberstaatsanwalt in Köln um Prüfung gebeten, „inwieweit der Schutz von Grundrechten Dritter und der Schutz laufender strafrechtlicher Ermittlungen einer Vorlage entgegenstehen kann. Insoweit wird eine Einzelsichtung erforderlich.“
Zwei Monate später wartet Seelmaecker noch immer. Auf Fragen des Handelsblatts teilte ein Ministeriumssprecher mit, es seien Hamburg bereits Unterlagen „sukzessive übermittelt“ worden. Im Prinzip sei alles in bester Ordnung.
NRW-Justizminister erntet Widerspruch
Auf die Frage des Handelsblatts, wann alle relevanten Unterlagen in Hamburg ankommen, antwortete ein Ministeriumssprecher, diese würden „nach Durchführung der erforderlichen verfassungsrechtlichen Prüfung an den Untersuchungsausschuss herausgegeben“.
Das entrüstet Limbachs Vorgänger Peter Biesenbach: „Ich kann nicht nachvollziehen, dass das Justizministerium dem Untersuchungsausschuss Aktenvorgänge der Staatsanwaltschaft Köln vorenthält“, sagt der CDU-Politiker. „Eine Verweigerung ist klar rechtswidrig.“
Seelmaecker sieht das genauso. „Unser Rechtsstaat muss ungeachtet der Person oder des Amtes funktionieren, auch wenn ein Justizminister oder der Bundeskanzler betroffen ist. Vor dem Gesetz sind alle gleich“, sagt er.
Sollte der Minister am Mittwoch nicht die vollständigen Unterlagen mitbringen, sehe der Parlamentarische Untersuchungsausschuss keinen anderen Weg, als Limbach auf juristischem Weg zur Herausgabe sämtlicher Unterlagen zu zwingen. Es wäre ein Novum in der bundesdeutschen Geschichte.
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