Jul 6, 2023
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Interview: „CDU und CSU wären schlecht beraten, einen Heizungswahlkampf zu führen“

Written by Dietmar Neuerer

Berlin Nach Einschätzung des Mainzer Politikwissenschaftlers Kai Arzheimer hat Kanzler Olaf Scholz die neuerliche Zuspitzung in der Debatte um das Heizungsgesetz mitzuverantworten. „Man hat den Eindruck, dass Scholz die Konflikte in der Koalition sehr lange laufen lässt, um sie dann per Machtwort zu lösen“, sagte Arzheimer. „Davon mögen er und die SPD vielleicht sogar kurzfristig profitieren. Für das Vertrauen in Regierung ist das aber schädlich.“

Kritisch sieht Arzheimer auch das Verhalten der FDP nach dem vom Bundesverfassungsgericht verfügten vorläufigen Stopp des Heizungsgesetzes. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki hatte gesagt, damit bekämen die Grünen die Quittung dafür, dass sie in das Verfahren einen unerklärlichen Druck hineingegeben hätten. Arzheimer sagte dazu: „Dass man nun die Niederlage der eigenen Fraktionsführungen vor dem Verfassungsgericht feiert, ist, gelinde ausgedrückt, ungewöhnlich und der Zusammenarbeit wenig zuträglich.“

Der Politikwissenschaftler hält es für möglich, dass die AfD nun weiteren Zulauf erhält. „In der öffentlichen Diskussion über das Gebäudeenergiegesetz ist unter Mitwirkung der FDP der Eindruck entstanden, dass die Grünen einen Feldzug gegen Eigenheimbesitzer führen, die sie aus ideologischen Gründen zum Austausch ihrer Heizungen zwingen wollen“, erklärte er. „Solche Bedrohungsgefühle tragen sicher ein Stück weit zu Erfolgen der AfD bei, die sich als Partei der Dieselfahrer und Ölheizer präsentiert.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Arzheimer, Unionsfraktionschef Friedrich Merz wertet den vom Bundesverfassungsgericht erzwungenen Aufschub der Abstimmung über das Heizungsgesetz als „schwere Niederlage“ für die Bundesregierung. Sehen Sie das auch so?
Nach dem monatelangen öffentlichen Streit um das Gesetz wird diese neue Verzögerung von der Öffentlichkeit sicher als ein weiterer Beleg dafür gesehen, dass der Ampel momentan wenig zu gelingen scheint. Am Ausgang des Verfahrens wird dieser Aufschub letztlich nichts ändern, von daher ist es keine Niederlage. Außerdem beziehen sich Eilantrag und Entscheidung nur auf die Geschwindigkeit des parlamentarischen Verfahrens, nicht auf den Inhalt des Gesetzes.

Eigentlich wollte die Ampel mit der Verabschiedung des Gesetzes auch ein Signal der Geschlossenheit senden. Jetzt kommt von der FDP Beifall für die Gerichtsentscheidung und Kritik an den Grünen. Was sagt das über das Koalitionsklima aus?
Solche Reaktionen bestätigen das Bild einer Koalition, die sich bei ihren zentralen Projekten selbst blockiert. Das Gesetz ist ja in der vorliegenden Form zwischen den Koalitionsspitzen verhandelt und vom Kabinett gebilligt worden, in dem die FDP zentrale Ministerposten besetzt.

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Und trotzdem die Kritik am Koalitionspartner.
Natürlich ist es legitim, wenn sich Parlamentarier und Parlamentarierinnen trotzdem mehr Zeit für die Bearbeitung im Bundestag wünschen. Dass man nun die Niederlage der eigenen Fraktionsführungen vor dem Verfassungsgericht feiert, ist, gelinde ausgedrückt, ungewöhnlich und der Zusammenarbeit wenig zuträglich.

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Es gab diese Woche auch eine offen ausgetragene Auseinandersetzung zwischen FDP und Grünen zum Bundeshaushalt – zum Elterngeld. Zeigen sich hier Risse in der Koalition?
Die Konflikte innerhalb der Koalition ließen sich schon in den Wahlprogrammen ablesen: In einigen gesellschaftspolitischen Fragen sind die Schnittmengen recht groß, bei ökonomischen Verteilungsfragen, bei der Priorisierung von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen und in der Verkehrs- und Umweltpolitik bestehen Konflikte.

Auffällig ist aber, wie diese Konflikte – sicher auch unter dem Druck der Mehrfach- und Dauerkrisen, mit denen sich die Regierung seit ihrem Start beschäftigen muss – thematisiert und in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Es entsteht der Eindruck, dass man sich Erfolge nicht gönnt und einmal getroffene Absprachen und Kompromisse nicht eingehalten werden.

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Ist das offenkundig nicht reibungsfreie Regierungshandeln ein fruchtbarer Boden für die AfD?
Der Dauerstreit lenkt von den gemeinsamen Erfolgen der Koalition, die es ja auch gibt, ab. In der öffentlichen Diskussion über das Gebäudeenergiegesetz ist unter Mitwirkung der FDP der Eindruck entstanden, dass die Grünen einen Feldzug gegen Eigenheimbesitzer führen, die sie aus ideologischen Gründen zum Austausch ihrer Heizungen zwingen wollen. Solche Bedrohungsgefühle tragen sicher ein Stück weit zu Erfolgen der AfD bei, die sich als Partei der Dieselfahrer und Ölheizer präsentiert. Dies sollte aber nicht davon ablenken, dass das wichtigste Motiv für die Wahl der AfD die Ablehnung von Zuwanderung und Zugewanderten ist.

Könnte auch die Union profitieren, weil ein CDU-Abgeordneter die Entscheidung in Karlsruhe erzwungen hat?
Die Aufregung um das Urteil des Verfassungsgerichts wird sich in einigen Wochen wieder gelegt haben. Ich glaube nicht, dass die Union über den Tag hinaus davon profitiert.

In Hessen und Bayern finden im Herbst Landtagswahlen statt. Könnte das Hickhack um das Heizungsgesetz die Wahlkämpfe maßgeblich bestimmen? Mit welchen Folgen?
Bei Söders Auftritt bei den Protesten gegen das Heizungsgesetz konnte man sehr gut sehen, dass zumindest bei denjenigen, für die das Thema besonders wichtig ist, eher AfD und Freie Wähler als die Union von dem Konflikt profitieren. Im Übrigen ist es so, dass die Union für das Pariser Abkommen und für die sich daraus ergebenden Emissionsgrenzen gestimmt hat, die – wenn überhaupt – nur durch drastische Einsparungen im Gebäudesektor zu erreichen sind.

Also kein Wahlkampfthema?
Moderne, klimaschonende Heizungen werden von der deutschen Wirtschaft, als deren Anwalt sich die Union versteht, produziert und eingebaut. CDU und CSU wären aus meiner Sicht schlecht beraten, einen Heizungswahlkampf zu führen.

Wie sehen Sie die Rolle des Kanzlers? Hätte sich Olaf Scholz stärker einbringen müssen, um die jetzige Zuspitzung beim Heizungsthema zu verhindern?
Ja. Man hat den Eindruck, dass Scholz die Konflikte in der Koalition sehr lange laufen lässt, um sie dann per Machtwort zu lösen. Davon mögen er und die SPD vielleicht sogar kurzfristig profitieren. Für das Vertrauen in die Regierung ist das aber schädlich.

Bemerkenswerterweise sieht der Kanzler den Streit in der Ampel nicht als Hauptursache für das Erstarken der AfD. Sind solche Einschätzungen zielführend?
Ich teile die Einschätzung, dass es andere und wichtigere Faktoren gibt, die zur aktuellen Stärke der AfD beitragen. Dazu zählen vor allem der Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit verbundenen Fluchtbewegungen und ökonomischen Verwerfungen, aber auch die Versuche aus dem Mitte-rechts-Lager, Themen und Vokabular der AfD für sich nutzbar zu machen. Trotzdem wirkt es angesichts der offensichtlichen Probleme in der Ampel schon etwas schräg, an dieser Stelle jegliche Verantwortung von sich zu weisen.

Wie kann die Koalition wieder die Kurve kriegen – auch mit Blick auf die Stärke der AfD?
Die Ampel hat – von den oben angesprochenen Sollbruchstellen abgesehen – vor allem ein Kommunikationsproblem nach innen wie nach außen. Intern sollten Konflikte sachlich und weniger geräuschvoll ausgetragen, Verabredungen eingehalten werden.

Nach außen sollte sie wieder mehr über Zukunftschancen und über das in Deutschland gemeinsam Erreichte wie zum Beispiel die Sicherung der Energieversorgung im vergangenen Winter oder die in weiten Teilen problemlose und solidarische Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine sprechen, statt sich gegenseitig zu bekriegen und sich von der Opposition vor sich hertreiben zu lassen.

Mehr: Die Ampel präzisiert der Pläne zum Heizungstausch



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