Jul 12, 2023
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Verteidigungsausgaben: Warum Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel zu verfehlen droht

Written by Martin Greive


Berlin/Washington Christian Lindner (FDP) war als Reserveoffizier und Major der Luftwaffe bei der Haushaltsvorstellung eine Botschaft besonders wichtig: Im nächsten Jahr werde Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben endlich einhalten, erklärte der Bundesfinanzminister.

Angesichts des am Dienstag begonnenen Nato-Gipfels klingt das wie eine frohe Botschaft – schließlich hat die Allianz in Vilnius das Zwei-Prozent-Ziel noch verstärkt. In der Abschlusserklärung ist von einer „dauerhaften Verpflichtung“ die Rede.

Doch ob es Deutschland wirklich gelingt, das Ziel zu erreichen, daran gibt es inzwischen große Zweifel. „Ich rechne nicht damit, dass wir vor 2025 auch nur einmal das Zwei-Prozent-Ziel erreichen“, sagt ein Haushaltspolitiker der Ampelfraktionen, der namentlich nicht genannt werden möchte.

Auch Wissenschaftler sind skeptisch: „Zeitschleife statt Zeitwende“ haben Militärexperten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik etwa ein Papier zum Verteidigungsetat überschrieben. Auch das Ifo-Institut zieht das ausgerufene Ziel in einer neuen Studie in Zweifel.

Auf dem Nato-Gipfel in Vilnius wird der Druck der USA auf die Verbündeten steigen, neue Kräfte zu präsentieren, sagt Douglas Lute, amerikanischer Nato-Botschafter unter Ex-Präsident Barack Obama.

Bundeswehrsoldaten bei einer Übung in Litauen

Der russische Angriffskrieg hat in der deutschen Politik für ein Umdenken bei den Verteidigungsausgaben gesorgt.

(Foto: AP)

Kay Bailey Hutchison, amerikanische Nato-Botschafterin unter dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump erklärt, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe nach der russischen Invasion einen sehr starken Schwenk vollzogen, „und ich bin voll des Lobes dafür“. „Aber grundsätzlich bewegt sich Deutschland zu langsam, um seiner Verantwortung gerecht zu werden und seine Verpflichtungen zu erfüllen.“

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Deutschland müsse offenlegen, wofür die höheren Verteidigungsausgaben konkret vorgesehen sind, fordert Lute. Jetzt, da der Krieg in der Ukraine bald 18 Monate anhält, „sollten wir eigentlich mehr Klarheit haben“.

Bereits 2014 hatten sich Nato-Staaten dazu verpflichtet, künftig zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben. Doch obwohl auch Deutschland dem Entschluss damals zustimmte, hielt sich die Große Koalition nie an die Vorgabe. Insbesondere in der SPD wurde angezweifelt, ob diese Marke Sinn ergebe.

Zwei-Prozent-Ziel gilt in der Nato inzwischen als Mindestmaß

Das änderte sich erst nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Nun versprach ausgerechnet ein SPD-Kanzler, das Zwei-Prozent-Ziel einzuhalten. Erreichen will Scholz dies mit dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr.

Inzwischen gilt die Marke sogar eher als Mindestanforderung. Lute fordert, die Abschlusserklärung von Vilnius müsse deutlich machen, „dass zwei Prozent die Untergrenze der Verteidigungsausgaben sein sollten“. Genauso sieht es Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Durch die neue Bedrohungslage schien Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in den Haushaltsverhandlungen in einer guten Verhandlungsposition. Doch obwohl er als einziger Ressortchef dank des Sondervermögens nicht sparen musste, ging er nach Einschätzung von Verteidigungspolitikern eher als Verlierer daraus hervor.

Dass Pistorius nicht die von ihm geforderten zusätzlichen zehn Milliarden Euro im nächsten Jahr bekommen würde, war immer klar. Am Ende erhielt er mit 1,7 Milliarden Euro aber gerade mal nur so viel mehr, wie ihn der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst beim Personal kostet.

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Zuerst soll Pistorius das Bundeswehr-Sondervermögen aufbrauchen, so die Maßgabe von Lindner und Scholz. Doch genau hier beginnt das Problem. Von den 100 Milliarden Euro sind erst 1,1 Milliarden Euro abgeflossen. Und dabei wird es vorläufig bleiben.

Ende April waren 32 Milliarden Euro vertraglich gebunden. Bis Ende des Jahres sollen es zwei Drittel sein, im ersten Quartal 2024 dann die volle Summe.

So ist vorgesehen, 35 F-35 Kampfjets im Wert von 8,3 Milliarden Euro, 60 schwere Transporthubschrauber CH-47 Chinook im Volumen von sieben Milliarden Euro und 50 Schützenpanzer Puma für 1,1 Milliarden Euro zu beschaffen. Dazu sind weitere Anschaffungen fix.

Transporthubschrauber vom Typ CH-47F Chinook

Deutschland plant zahlreiche militärische Anschaffungen.


(Foto: dpa)

Im nächsten Jahr sollen aus dem Sondervermögen 19 Milliarden Euro abfließen. Zusammen mit dem leicht erhöhten Verteidigungsetat in Höhe von 51,8 Milliarden Euro werde so das Zwei-Prozent-Ziel erreicht, rechnet Lindner vor.

Bevölkerung in Deutschland unterstützt höhere Verteidigungsausgaben

Doch Haushaltspolitiker haben Zweifel an dieser Rechnung. Die großen Rüstungsvorhaben aus dem Sondervermögen werden erst nach 2025 fertig, etwa die F-35. Und erst dann fließt dieses Geld ab. „Man hat den Eindruck, wir kündigen groß die Zeitenwende an, legen uns dann aber wieder in die Furche“, sagt ein Ampel-Haushälter.

Im Entwurf des neuen Bundeshaushalts heißt es denn auch nur schwammig, die Bundesregierung werde „ab dem Jahr 2024 zwei Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben bereitstellen“. Bereitstellen ist jedoch nicht gleich Abfluss.

Dabei sind höhere Verteidigungsausgaben inzwischen konsensfähig: In einer Yougov-Umfrage halten 45 Prozent der Befragten die Zwei-Prozent-Marke für richtig. 21 Prozent wünschen sich sogar höhere Verteidigungsausgaben.

Boris Pistorius bei einem Besuch bei der Bundeswehr

Die werden wohl auch notwendig sein. So kann über das Sondervermögen längst nicht so viel neue Ausrüstung angeschafft werden wie erhofft. So muss die Regierung wegen der Inflation höhere Zinsen einplanen. Dadurch schrumpft das Sondervermögen von 100 auf 87 Milliarden Euro. Daneben werden etliche Projekte teurer als erwartet. Drei bestellte Spionageschiffe etwa werden statt zwei mindestens 3,2 Milliarden Euro kosten.

Großer Teil des Sondervermögens gleicht Einsparungen beim Verteidigungsetat aus

Laut Berechnungen des Ifo-Instituts kann sogar nur knapp die Hälfte des Sondervermögens verwendet werden, um zusätzliche Ausrüstung zu kaufen.

33 Prozent des Sondervermögens gleichen Einsparungen beim regulären Verteidigungsetat aus, acht Prozent werden für Zinsen aufgewendet. Ifo-Militärexperte Marcel Schlepper kritisiert: „Der Einsatz des Sondervermögens verfehlt damit die formulierten Ziele.“

Um dauerhaft zwei Prozent der Wirtschaftsleistung auszugeben, müsste der Verteidigungsetat schon jetzt steigen. Für Ifo-Forscher Florian Dorn wäre das „eine echte Zeitenwende, die auch mit Geld abgesichert würde“. Aktuell findet aber das Gegenteil statt.

Seit 2022 sinkt der Verteidigungsetat nach Abzug der Inflation. Im Jahr 2023 verfehlt Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel um einen zweistelligen Milliardenbetrag und gehört zu den Nato-Mitgliedstaaten mit dem größten Defizit.

Gleichzeitig werden Investitionen in das Sondervermögen verschoben. Waren im Verteidigungsetat selbst 2022 noch zehn Milliarden Euro für neue Ausrüstung vorgesehen, sind es 2024 weniger als drei Milliarden. Damit wird die Lücke im regulären Haushalt immer größer.

„Die aktuellen Haushaltspläne säen Zweifel, ob Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel wirklich dauerhaft erfüllen will. Das erschwert die Planbarkeit bei den Streitkräften und in der Rüstungsindustrie“, sagt Ifo-Forscher Schlepper. Das Erreichen der Zielmarke der Nato sei auf Dauer gefährdet, so das Fazit seiner Studie.

Mehr: Nur acht Länder erfüllen das Zwei-Prozent-Ziel



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Politik

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