Madrid, Brüssel, Zürich Die Statistik liest sich wie eine Siegesmeldung: Die Importe von russischem Rohöl sowie von Raffinerieprodukten wie Diesel und Kerosin seien um 90 Prozent eingebrochen, teilte die europäische Statistikbehörde Eurostat kürzlich mit.
Das seit Februar geltende Embargo für den Import per Seefracht von russischen Raffinerieprodukten, so scheint es, ist ein voller Erfolg.
Doch Gespräche mit Brancheninsidern und Analysten legen nahe, dass die Eurostat-Zahlen nicht die ganze Wahrheit abbilden. Über Drittländer, die sich nicht an dem Embargo beteiligen, kommt nach wie vor Diesel nach Europa, der vermutlich aus russischem Rohöl hergestellt wurde.
Zudem lassen verdächtige Handelsströme vermuten: Länder wie Marokko exportieren Diesel aus Russland einfach weiter in die EU.
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So hat die Denkfabrik Centre for Research on Energy and Clean Air (Crea) kürzlich in einer Studie festgestellt: Westliche Staaten, die russisches Öl mit Sanktionen belegt haben, haben ihre Einfuhren aus just den Ländern massiv gesteigert, die zu den neuen Hauptempfängern von russischem Öl geworden sind.
Nach den europäischen Regeln ist das auch kein Sanktionsbruch: Als Ursprungsland für Ölprodukte gilt das Land, in dem das Öl raffiniert wurde. Die Herkunft des Rohöls spielt dabei keine Rolle.
Zu den wichtigsten Abnehmern für russisches Öl zählen Crea nach vor allem China, Indien, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate und Singapur. Insgesamt seien deren Lieferungen von Ölprodukten an westliche Sanktionsländer nach dem Beginn des Ukrainekriegs binnen eines Jahres um 26 Prozent auf knapp 19 Milliarden Euro gestiegen.
Nach Embargo auf russisches Öl: Auffallend niedrige Preise für Import-Diesel
Crea-Energieanalyst Isaac Levi sagte dem Handelsblatt: „Die Sanktionen haben zu einem Teil gewirkt.“ Sie hätten Putins Einnahmen zwar geschmälert, weil sie den Verkauf von Diesel und Rohöl an westliche Staaten verboten und damit die Zahl der Abnehmer begrenzt haben. Dadurch sei der Preis, den Russland für sein Öl erhalte, gefallen.
„Diese Sanktionen haben jedoch Schlupflöcher, da russisches Öl in Drittländer importiert wird, die es dann raffinieren und an die Länder verkaufen, die Sanktionen verhängen“, schränkt der Experte ein.
Was die Situation für die europäische Ölbranche noch verschärft: Der aus russischem Rohöl produzierte Diesel ist in vielen Fällen günstiger als Produkte aus heimischen Raffinerien. Ein Insider aus der Ölindustrie sagt: „Sie können Diesel aktuell nicht zu den Preisen produzieren, zu denen er importiert wird.“
Dies lasse sich nur dadurch erklären, dass billiges russisches Öl als Grundlage für viele Dieselimporte diene: „Das ist schon merkwürdig, wenn man bedenkt, dass bei den Importen anders als bei der Verarbeitung von Rohöl innerhalb der EU ja auch noch Transportkosten anfallen.“
Bereits im April hatte sich der Chef des spanischen Energiekonzerns Repsol, Josu Jon Imaz, öffentlich zu Wort gemeldet. Er forderte die EU auf, Importe von russischem Diesel über Drittländer zu unterbinden. „Diesel aus Russland ist weiterhin auf dem europäischen und spanischen Markt“, so Imaz. „Wir fordern die EU-Behörden auf, den Import über Zwischenhändler zu verhindern.“
Die EU-Kommission schaute den Praktiken lange zu. Erst am 21. Juni verabschiedete sie ein elftes Sanktionspaket, das unter anderem vorsieht, ausgewählte Exporte in bestimmte Drittstaaten wegen einer mutmaßlichen Umgehung von Sanktionen einzuschränken. Die Regelung zielt auf Hightech-Produkte wie Flugzeugteile, die noch immer ihren Weg nach Russland finden. Nach dem gleichen Prinzip könnten auch verdächtige Importe eingeschränkt werden. Doch diese sind auch im elften Sanktionspaket bislang nicht vorgesehen.
Der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, verwies stattdessen zuletzt darauf, dass nicht die EU, sondern ihre Mitglieder aktiv werden müssten. „Wenn Diesel oder Benzin aus Indien nach Europa kommt und mit russischem Öl hergestellt wird, ist das sicherlich eine Umgehung der Sanktionen, und die Mitgliedstaaten müssen Maßnahmen ergreifen“, sagte Borrell der „Financial Times“.
Fragwürdige Handelsströme bei Öl aus Russland
Die russischen Handelspartner nutzen die Lücken im Sanktionsregime dabei höchst unterschiedlich. Sie beschränken sich zudem nicht nur auf den Import von russischem Rohöl, um dieses weiterzuverarbeiten.
Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate importieren Medienberichten zufolge auch verstärkt Diesel aus Russland und exportieren im Gegenzug mehr eigene Raffinerieprodukte.
Besonders auffällig sind die Handelsströme mit Marokko: Der nordafrikanische Staat hat vor dem Krieg keinen Diesel exportiert und hat auch gar keine Raffinerien mehr.
Seit dem vergangenen Dezember aber exportiert das Land Diesel – größter Abnehmer ist Spanien. Gleichzeitig sind in Marokko die Dieselimporte aus Russland seit September 2022 deutlich gestiegen.
Die Mengen in Marokko sind zwar vergleichsweise gering. Der Trend findet sich aber auch in anderen Ländern. So hat etwa die Türkei ihre Importe von russischem Diesel sowie ihre Dieselexporte ebenfalls deutlich gesteigert. Drittgrößter Abnehmer ist ein EU-Mitglied: die Niederlande.
Crea-Experte Levi sagt: „Diese Schlupflöcher müssen gestopft werden. Nur dann werden die Sanktionen ihre volle Wirkung entfalten.“ Um die russische Kriegskasse zu treffen, sei der Handel mit Diesel besonders wichtig.
Russland habe Produktionskosten von 20 Dollar pro Barrel Diesel. Die Preisobergrenze liegt jedoch bei 100 Dollar pro Barrel. Das schafft Spielräume für satte Gewinne – für Russland, aber auch für Zwischenhändler wie die Türkei oder Marokko.
Levis Fazit: Das Kernproblem sei, „dass die Preisobergrenze für russische Ölprodukte so hoch angesetzt ist und dass es bislang versäumt wurde, sie zu überprüfen“.
Beobachter haben für die Passivität der Europäer vor allem eine Erklärung: Diesel spielt als Treibstoff für den Transportsektor eine wichtige Rolle für die Wirtschaft. Ein Dieselengpass oder rasant steigende Preise in Europa könnten die Bemühungen des Kontinents im Kampf gegen die Inflation zurückwerfen.
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