Berlin Der Wirtschaftsstandort Deutschland steht bei Gründerinnen und Gründern nicht sehr hoch im Kurs. Die Qualität Deutschlands als Gründungsstandort bewerten sie mit einem schwachen „befriedigend“. Das ist das Ergebnis einer Onlineumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unter Start-ups und Jungunternehmern, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Kritisch wird vor allem eine stetig wachsende Regulierung und Bürokratie gesehen. Auch das Steuerrecht gilt als kompliziert und belastet die Gründer.
Die Onlineumfrage ist Teil des diesjährigen DIHK-Reports über Unternehmensgründungen, der in dieser Woche veröffentlicht wird. 606 Jungunternehmer nahmen an der Befragung teil.
„Mit immer wachsender Bürokratie, hohen Steuern, schlechten Digitalstandards und steigenden Kosten verprellen wir potenzielle Jungunternehmer“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian dem Handelsblatt. Der Gründungsstandort Deutschland werde zusehends unattraktiver.
Das sei auch an der Zahl derjenigen zu sehen, die eine Neugründung anstrebten. Der DIHK-Report zeige, dass das Interesse an Gründungen derzeit so gering sei wie nie seit Erhebung der Daten. Das kann natürlich auch mit der Arbeitsmarktlage zu tun haben. Gute Jobaussichten bei nahezu Vollbeschäftigung führen mit dazu, dass sich weniger Menschen auf das Wagnis Gründung einlassen.
Gründern in Deutschland werden zu viele Steine in den Weg gelegt
Nach dem KfW-Gründungsmonitor ist die Zahl der Neugründungen in Deutschland 2022 gegenüber dem Vorjahr um neun Prozent auf 550.000 zurückgegangen. Neben der Arbeitsmarktlage führen die Research-Experten der Förderbank dies auch mit auf die konjunkturelle Eintrübung zurück.
Die Gründungsaktivität – gemessen an der Zahl der Gründungen je 10.000 Menschen im Alter von 18 bis 64 Jahren – lag mit 108 nahe an ihrem historischen Tief. Noch mauer war das Gründungsgeschehen im ersten Coronajahr 2020, als der Wert auf 104 fiel.
Allerdings: Die Zahl der Gründerinnen und Gründer, die trotz der guten Arbeitsmarktlage für sich in der Selbstständigkeit die beste Erwerbsalternative sehen, hat sich im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Der Wunsch, beruflich auf eigenen Füßen zu stehen, ist also durchaus gegeben – doch muss das Umfeld stimmen.
„Deutschland legt unternehmungslustigen, kreativen und selbstbewussten Menschen, die sich selbstständig machen wollen, zu viele Steine in den Weg“, kommentierte der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) die Ergebnisse des KfW-Gründungsmonitors.
Das sehen die von der DIHK befragten Jungunternehmerinnen und -unternehmer ähnlich. So gaben 69 Prozent an, dass bürokratische Hemmnisse abgebaut werden müssten. „Die Zeit für die Erledigung von Dokumentations- und Meldepflichten hemmt vielfach die Geschäftstätigkeit“, heißt es in den Ergebnissen der Umfrage.
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Die Unternehmer erwarten von der Politik zudem, Prozesse zu vereinfachen, etwa beim Zugang zu staatlichen Fördermitteln. „Hilfreich wären durchweg digitale, nutzerfreundliche und selbsterklärende Förderplattformen mit transparenten Feedbacks an Antragsteller insbesondere auch bei Ablehnungen“, heißt es.
Wunsch nach Vereinfachungen im Steuersystem
Die Ergebnisse decken sich mit anderen Erhebungen. So rangiert der Standort Deutschland für ausländische Start-up-Gründer im Industrieländervergleich nur auf Rang zwölf, wie eine Studie der OECD im Frühjahr gezeigt hat. Ein Grund dafür ist auch die schleppende Digitalisierung.
Die von der DIHK befragten Gründer kritisieren den Stopp des KfW-Förderprogramms „ERP-Kapital für Gründung“, das nach IHK-Erfahrungen vor allem für mittlere und größere Finanzierungsvolumina bei Gründungs- und Nachfolgeprojekten hilfreich war. „Bundes- und Landesregierungen sollten hier rasch Lösungen für dieses für den Mittelstand wichtige Fördersegment finden“, heißt es in der Auswertung der Umfrage durch die DIHK.
58 Prozent der Befragten wünschen sich Vereinfachungen im Steuersystem. Die DIHK fordert unter anderem die Anhebung der Kleinunternehmergrenze, ab der Unternehmen die Umsatzsteuer ausweisen müssen, auf einen Vorjahresumsatz von 35.000 Euro (derzeit 22.000 Euro) und einen voraussichtlichen Umsatz im laufenden Jahr von 85.000 Euro (derzeit 50.000 Euro).
Dies würde sich an der EU-Mehrwertsteuersystem-Richtlinie orientieren, die eine Kleinunternehmergrenze von maximal 85.000 Euro zulässt. Zudem fordert die Kammer die Erhöhung der Grenze, ab der Bilanzen zu führen sind, von 60.000 auf 100.000 Euro Jahresgewinn beziehungsweise von 600.000 auf eine Million Euro Jahresumsatz. Das würde es auch vielen jungen Unternehmen ermöglichen, anstelle einer Bilanz eine weniger aufwendige Einnahme-Überschuss-Rechnung (EÜR) aufzustellen, heißt es.
Anträge und Formulare sollten in einer verständlicheren Sprache verfasst werden, so die Forderung der Gründer. Das würde allen, aber vor allem auch nicht deutschsprachigen Gründerinnen und Gründern helfen. Insgesamt wünschen sich viele eine flexible und kundenfreundliche Verwaltung.
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Die Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag betont, Firmengründungen innerhalb von 24 Stunden möglich zu machen. „Das muss nicht nur das Ziel sein, das müssen wir auch schaffen“, sagte DIHK-Präsident Adrian. Gründungen seien in Deutschland im internationalen Vergleich zu aufwendig und kompliziert.
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