Leingarten, Mannheim Welcher Bürgermeister will schon eine Stromtrasse ausgerechnet in seiner Stadt haben? Ralf Steinbrenner ist so einer. Er ist Ortsvorsteher im württembergischen Leingarten bei Heilbronn. Und an diesem Mittwoch so etwas wie der Superstar. Steinbrenner kann sich vor Lob kaum retten, auch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Leute wie Steinbrenner würden die „neue Realisierungsentschlossenheit“ in Deutschland zeigen.
Habeck war nach Leingarten für den Baubeginn der wohl wichtigsten Stromtrasse des Landes angereist. Es geht um Suedlink, ein Megaprojekt, das über 700 Kilometer die großen Mengen Windstrom aus dem Norden künftig zu Industrie und Haushalten in den Süden bringen soll.
Mit dem nun erfolgten Baubeginn des sogenannten Konverters in Leingarten geht Suedlink endlich in die Realisierung – aber es bleiben viele offene Fragen. Der Konverter ist der Endpunkt der Trasse im Süden. Insgesamt gibt es vier Endpunkte. Dort wird der Gleichstrom, der auf langen Strecken besser zu transportieren ist, wieder in haushaltsüblichen Wechselstrom umgewandelt.
Steinbrenner nennt Suedlink „die energetische Schlagader der Nation“. Doch wer dem Bürgermeister zuhört, bekommt schnell einen Eindruck, was das Projekt bislang viel mehr bekannt gemacht hat. Als die Suedlink-Planungen losgingen, habe er noch Haare mit Farbe gehabt. Das war 2011. Inzwischen ist Steinbrenners Schopf, und auch nicht mehr an allen Stellen, mit grauen Haaren bedeckt, als er am Donnerstag zu Habeck spricht.
Das Suedlink-Projekt war bisher durch massive Verzögerungen geprägt. Bauern und Landespolitiker wollten die Trasse nicht durch ihre Gebiete geführt haben, die bürokratischen Genehmigungsverfahren zogen sich enorm. Bislang sind gerade einmal 17 der 700 Kilometer genehmigt. Aus der Fertigstellung im Jahr 2022 ist inzwischen 2028 geworden. Oder wie Habeck sagt: „Sechs Jahre zu spät ist eigentlich inakzeptabel.“
Blaupause für die neue Deutschlandgeschwindigkeit?
Habeck berichtete mit Verve, wie er das ändern will. Es könne nicht sein, dass die Verfahren doppelt oder dreimal so lange dauern würden. „Wir müssen sie halbieren.“ Er kündigte an, alle Suedlink-Teile, die längst geplant sind, noch in seiner aktuellen Regierungszeit zu genehmigen.
Es wurde offensichtlich: Suedlink ist für Habeck so etwas wie die Blaupause, wie er der Republik Geschwindigkeit beibringen will. Die neue Deutschlandgeschwindigkeit, sie soll nicht nur bei Flüssiggas-Terminals an den deutschen Seehäfen real werden, sondern vor allem im Sinne der Energiewende.
Die Fertigstellung von Suedlink 2028 stellte Habeck als alternativlos dar: „Das kann nicht später werden, es muss höchstens schneller gehen.“ Von möglichen weiteren Verzögerungen wollten die Verantwortlichen nichts wissen. Einen Plan B dürfe es gar nicht geben.
Doch dass Suedlink wirklich sein Image als Projekt des Zögerns und Zauderns loswird, ist längst nicht sicher. Eine Reihe von möglichen Problemen gibt es weiterhin. Das fängt bei banalen Faktoren wie dem Transport der Stromkabel an.
Die Kabel liegen vielfach schon in Zwischenlagern quer verteilt an der Suedlink-Route. Doch sie sind äußert schwer, für den Transport zu ihren Einsatzorten braucht es Schwertransporte. Und zwar 2000 Stück. Und die müssen freigegeben werden. Durch 8000 behördliche Genehmigungen, heißt es beim Stromnetzbetreiber TransnetBW. Jede Genehmigung dauert demnach in der Regel um die zwölf Wochen. Und wenn sich am Tag des Transports auch nur Kleinigkeiten an den Begebenheiten verändert haben, erlischt die Genehmigung. Die Kabel müssen dann im Lager bleiben, ein neuer Antrag muss folgen.
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In der Bundesregierung war diese Problematik bislang offenbar kein Thema. Als Habeck vor zwei Wochen den Mannheimer Kabelhersteller Südkabel besuchte, sprachen ihn die Unternehmenschefs auf dieses Problem an. Habeck versprach, das mit nach Berlin zu nehmen und eine Lösung zu suchen. Bis es diese gibt und in Gesetzes- oder Verordnungstext gegossen ist, dürfte Suedlink aber wohl nur noch wenig davon profitieren.
Protest auch gegen vergrabene Stromkabel
Die Bäuerinnen und Bauern hingegen haben ganz andere Probleme. Über 20.000 Grundstücke soll die Stromtrasse einmal verlaufen. Zu Beginn waren die Planungen von massiven Protesten begleitet worden. Damals sollte der Großteil von Suedlink noch überirdisch verlaufen.
Später entschieden Planer und Politik, die Widerstände einzudämmen, indem die Trasse verbuddelt wird. Das ist teurer, aber unauffälliger und raubt weniger Fläche, schafft also mehr Akzeptanz. Das war zumindest die Hoffnung.
Die Proteste haben sich inzwischen zwar gelegt, aber längst nicht aufgelöst – trotz auskömmlicher Entschädigungszahlungen für die Landwirte. Auch Habeck gestand ein: „Der Wunsch, durch Erdverkabelungen mehr Akzeptanz zu gewinnen, ist nicht wirklich erfüllt worden.“ Neue Trassenprojekte dürften künftig wohl eher wieder über der Erde errichtet werden, wenn es nach Habeck geht.
Vor allem im Raum Schweinfurt, wo ein zweiter Suedlink-Endpunkt in Form eines Konverters errichtet werden soll, ist der Widerstand ungebrochen. Sind die Kabel einmal verlegt, fallen sie ein bis zwei Meter unter der Erde kaum noch auf.
Während der Bauphase wird allerdings in der Breite Fläche genommen, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Baustellen sind ungefähr 30 Meter breit. An Orten wie in Leingarten oder bei Schweinfurt, wo die Konverter errichtet werden, sind die dauerhaft bebauten Flächen noch größer. „Das, was hier entsteht, wird keinen Schönheitspreis gewinnen“, sagt Steinbrenner.
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Als der Leingartener Bürgermeister sowie Habeck am Donnerstag den Baugrund des Konverters verlassen, werden sie daran erinnert. Am Straßenrand hat sich die deutlich geschrumpfte, aber nicht verstummte Widerstandsbewegung aufgebaut: Ein einziger Demonstrant steht, neongelber Fahrradhelm auf dem Kopf, am Straßenrand im Regen und hält ein Anti-Suedlink-Transparent in der Hand. Das zeigt: Die Chancen für Suedlink stehen inzwischen gut, aber die Fertigstellung bis 2028 ist noch nicht ausgemacht.
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