Salvador Direkt unter dem Vulkan bei der malerischen Kolonialstadt Antigua in Guatemala baut das deutsche Teppichunternehmen Paulig gerade seine erste Fertigung in Amerika auf.
Der Hi-End-Teppichproduzent aus Unterfranken will schon nächstes Jahr von Guatemala seine Kunden in den USA und Kanada mit seinen maßgeschneiderten Produkten beliefern – und nicht mehr von Marokko aus.
Die lokale Geschäftsführerin Kristina Drechsel sagte: „Von hier sind die Teppiche in einer Woche beim Kunden in den USA.“ Drechsel will 50 Weber und Knüpfer einstellen. „Hier existiert eine indigene Tradition des Teppichwebens.“
Zudem lockt das mittelamerikanische Land mit niedrigen Löhnen, einem Freihandelsabkommen mit Nordamerika sowie Steuererleichterungen für den Export – „alles Gründe für das ‚nearshoring‘ in Guatemala“, sagt Drechsel. Trotzdem ist die lokale Unternehmerschaft bedroht – von Korruption und einem Demokratieabbau innerhalb der Politik.
„Nearshoring“ oder „friendshoring“ – diese Worte erwähnt in Guatemala im Moment jeder Politiker und Verbandsfürst. Die Idee dahinter: US-Konzerne oder Zulieferer aus aller Welt werden künftig in der Nähe der USA statt in China investieren.
Neben Mexiko bietet sich Guatemala besonders dafür an. Es ist die größte Ökonomie in Mittelamerika: Guatemala ist laut Zentralbank mit 30 Prozent Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) am niedrigsten verschuldet unter 33 Ländern der Region.
„Guatemala ist das Deutschland Zentralamerikas in Sachen Stabilität“
Das Haushaltsdefizit beträgt seit 60 Jahren durchschnittlich 1,8 Prozent. Die Inflation bewegt sich seit 15 Jahren im Schnitt bei vier Prozent. Der Quetzal ist seit über 20 Jahren die stabilste Währung der Region, so die Zentralbank.
„Guatemala“, sagt deren Vizepräsident José Alfredo Blanco-Valdés, „ist das Deutschland Zentralamerikas in Sachen makroökonomischer Stabilität.“ So lobe der Internationale Währungsfonds (IWF) die Ökonomie in dem Land mit 17 Millionen Einwohnern.
Die Stabilität und gute Lage hat schon vor etwa 15 Jahren den deutschen Kompressorenbauer Kaeser überzeugt. Das Unternehmen aus Oberfranken liefert von Guatemala aus Druckluftgeräte an die Industrie und an Wasserversorgungsunternehmen in ganz Zentralamerika.
Kaeser importiert seine Maschinen aus Europa nach Guatemala, lagert sie in einem Zollfreihafen ein, passt sie den Kundenwünschen in der eigenen Werkstatt an und schickt sie in die umliegenden Länder.
In der Region unterhält das Unternehmen ein dichtes Servicenetz. Miguel Godoy, technischer Leiter von Kaeser, sagt: „Obwohl der Markt in Mexiko zehnmal so groß ist, entwickeln wir hier so viele Projekte wie dort.“
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Kaeser will weiterwachsen: Derzeit arbeiten 100 Mitarbeiter im Hauptquartier. In der gerade errichteten hochmodernen Zentrale mit Blick über ganz Guatemala-Stadt haben künftig doppelt so viele Mitarbeiter Platz.
Politiker sorgen sich um eigene Geschäftsinteressen
Dennoch sind Paulig und Kaeser in Guatemala Ausnahmen. Ausländische Konzerne zögern, ins Land zu kommen, wegen der mangelnden Rechtssicherheit. Hugo Maul, Ökonom vom liberalen Thinktank Cien, warnt: „Die Regeln können sich über Nacht ändern.“
Ein Beispiel sind dafür die Präsidentschaftswahlen in dem Land: Ende Juni gewann mit Bernardo Arévalo völlig überraschend der Kandidat der oppositionellen Anti-Korruptionspartei „Movimiento Semilla“ den zweiten Platz bei den Wahlen.
Das Wahlgericht erklärte seine Kandidatur für ungültig. Das Verfassungsgericht widersprach. Nun könnte Arévalo bei den Stichwahlen am 20. August gegen Sandra Torres, die Kandidatin der zentralistischen Partei UNE, ins Rennen gehen.
Das ist allerdings nicht sicher: „Präsident Alejandro Giammattei und seine Verbündeten versuchen mit allen Mitteln zu verhindern, dass der Favorit Arévalo die Wahlen gewinnt und ihre Geschäftsinteressen bedroht“, sagt Ian Bremer, Gründer des politischen Consultingunternehmens Eurasia in New York. „Sollten sie Erfolg haben, wird das Land weiter in Richtung einer autoritären Kleptokratie abgleiten.“
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Tatsächlich steht Guatemala auf dem Democracy Index 2022 der Economist Intelligence Unit bereits jetzt auf Rang 98 von 167 Staaten – knapp vor Diktaturen wie Nicaragua, Kuba oder Venezuela in der Nachbarschaft. Zwei Dutzend Staatsanwälte und Richter sowie mehrere Journalisten wurden ins Exil gezwungen, einige wurden verhaftet.
Korruption in Guatemala
Auch Unternehmer trifft es. Beispielsweise Ulrich Gurtner, ein prominenter Unternehmer in Guatemala. Der 66-Jährige hat zusammen mit deutschen Stiftungen und Organisationen wie Fairtrade den kleinbäuerlichen Kaffeedachverband Fedecocagua in rund dreißig Jahren zum wichtigsten Kaffeeexporteur des Landes mit eigener Produktion aufgebaut.
Heute verkauft die Kooperative Fairtrade-Kaffee an Starbucks, Nespresso, Tchibo. Deutschland und die Schweiz sind die wichtigsten Absatzmärkte in Europa. Der Jahresumsatz beträgt, je nach Kaffeepreis, 100 bis 120 Millionen Dollar. 10.000 Kaffeepflanzer sind Mitglied in den Kooperativen. Mindestens 50.000 Menschen leben von ihrer Produktion.
Doch seit dem 24. März dieses Jahres ist Schluss: An dem Tag wurde Gurtner verhaftet. Die Konten der Kooperative sind seit vier Monaten gesperrt. Tausende von Kleinbauern stehen vor dem Aus.
Staatsanwalt Rafael Curruchiche hat alte, längst widerlegte Vorwürfe wegen Geldwäscherei und Steuerhinterziehung hervorgekramt. Mit den gleichen Argumenten hat er den bekannten Journalisten José Rubén Zamora verhaften lassen und auch versucht, die Kandidatur Arévalos zu blockieren. Die USA stufen Curruchiche als „korrupten und undemokratischen Akteur“ ein.
Spricht man in Guatemala jemanden auf den Fall Gurtner an, dann begegnet einem meist Schweigen. Das ist nicht ungewöhnlich in dem Land. Es gebe Angst vor Repressalien, sagt Stefan Jost von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Guatemala.
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Auslöser für die Verhaftung Gurtners war wohl, dass er öffentlich auf Korruptionsvorgänge in einer landwirtschaftlichen Entwicklungsbank hingewiesen hat. Gurtner stehe vielen mächtigen Interessen im Weg, sagt ein Diplomat.
Der Wirtschaftsliberale Maul beschreibt ein eng geknüpftes Elitenetzwerk, bestehend aus Großunternehmern, organisiertem Verbrechen und neureichen Politikern, das seit Jahrzehnten jeden Wechsel der Verhältnisse in dem Land verhindere. Der Ökonom ist deshalb skeptisch gegenüber den Aussichten der Wirtschaft. „Guatemala will eine schöne Geschichte erzählen, aber das reicht nicht aus, um das Land voranzubringen.“
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