Berlin Als sich im Oktober vergangenen Jahres 141 Staaten auf eine gemeinsame Steuerreform einigten, pries der damalige Finanzminister Olaf Scholz (SPD) den Beschluss als „Meilenstein“ im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit. Digitalkonzerne wollte man höher besteuern, das Steueraufkommen weltweit neu verteilen und einen globalen Mindeststeuersatz für Konzerne einführen.
Doch nun zeigt sich: Die globale Reform dürfte in maßgeblichen Teilen ausfallen. Die globale Digitalsteuer droht laut Regierungsvertretern aus EU-Staaten und gut informierten Wirtschaftsvertretern aufgrund fehlender Mehrheiten in den USA nicht zu kommen. „Es wird keine Mehrheit dafür in den USA geben“, sagten mehrere Insider, die anonym bleiben möchten, dem Handelsblatt.
Anders sieht es bei der globalen Mindeststeuer aus. Sie dürfte zwar kommen, womöglich aber zunächst in einem kleineren Kreis als ursprünglich geplant. Zudem drängt die deutsche Wirtschaft auf eine Verschiebung. Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Industrieverbands BDI, sagte dem Handelsblatt: „Der BDI hält es für notwendig, den Start der globalen Mindeststeuer um ein Jahr auf 2025 zu verschieben.“
Vor allem einige Dax-Konzerne schlagen Alarm: In einem Brief an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der dem Handelsblatt vorliegt, warnen 14 Finanzvorstände deutscher Unternehmen, darunter BASF, Bayer und Siemens, die Bundesregierung vor „nationalen Alleingängen“.
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Sollte die Mammutreform zur Hälfte ausfallen, hätte das gravierende Folgen. Statt eine neue Weltsteuerordnung zu schaffen, drohen alte Handelskonflikte zwischen der EU und den USA wieder aufzubrechen und die Steuerwelt in alte Wildwestzeiten ohne Rechtssicherheit zurückzufallen, in der Unternehmen eine doppelte Besteuerung droht.
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Die globale Steuerreform, federführend verhandelt von der Industrieländerorganisation OECD, besteht aus zwei Elementen: Das eine Element ist eine globale Mindeststeuer für Unternehmen in Höhe von 15 Prozent, die Scholz als Finanzminister auf die Agenda setzte. Sie soll dem Steuerdumping einzelner Staaten einen Riegel vorschieben. Weltweit soll das Steueraufkommen so um 150 Milliarden Dollar steigen.
Das zweite Element ist eine stärkere Besteuerung der Digitalgeschäfte von Konzernen. Diese soll verhindern, dass Firmen durch das Verschieben von Gewinnen in Niedrigsteuerländer ihre Steuerlast drastisch senken. Etwas mehr als 100 Unternehmen wären weltweit davon betroffen.
Zugleich sah dieser zweite Teil eine Neuaufteilung der Steuereinnahmen vor. Bislang zahlen Konzerne vor allem in dem Land Steuern, in dem sie ihren Hauptsitz haben. Künftig sollen sie verstärkt dort Steuern zahlen, wo sie ihre Produkte verkaufen. 125 Milliarden Euro sollten so umverteilt werden.
Ende dieses Jahres will die OECD eine im Detail ausformulierte Reform präsentieren, nächsten Sommer soll diese in Paris unterzeichnet werden. Die große Frage ist nur, ob Länder wie die USA sie durch ihre Parlamente bekommen.
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In den USA gilt eine Mehrheit im Senat höchst unsicher. Nach Auffassung vieler US-Politiker zielen die Steuerpläne der OECD vor allem auf die US-Tech-Konzernen Aber auch andere US-Konzerne wie Johnson & Johnson sind betroffen. Nicht nur unter Republikanern, auch unter Demokraten ist die Skepsis daher groß – auch weil die von den neuen Steuern betroffenen Unternehmen vor allem an die Demokraten von US-Präsident Joe Biden spenden.
Noch gibt man sich in Verhandlungskreisen optimistisch. Die US-Seite wolle mit ihren Äußerungen den Druck erhöhen, Details der Reform zu ihren Gunsten zu verändern, heißt es.
Kommission plant alternativ mit einer EU-weiten Digitalsteuer
Zudem hätten die USA gerade andere Probleme: der Ukrainekrieg, die Inflation, ein drohender Wirtschaftsabschwung. Die Steuerreform könnte im Windschatten dieser Probleme vielleicht unbemerkt durch den US-Senat kommen, so die Hoffnung. „Wir sind weiter fest entschlossen, die Reform abzuschließen und haben keinen Anlass, von unserem Zeitplan abzurücken“, heißt es in Verhandlungskreisen.
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Doch insgeheim bereitet sich die EU bereits auf den Fall der Fälle vor. Sollte die globale Lösung scheitern, will die Kommission eine EU-Digitalsteuer einführen, heißt es in verschiedenen Hauptstädten. Das allerdings droht das alte Handelsstreitigkeiten mit den USA wieder aufleben lassen. Schon 2020 hatte die US-Regierung Zölle gegen Frankreich erlassen, weil Paris eine nationale Digitalsteuer auf den Weg gebracht hatte.
Auch bei dem zweiten Teil der Reform, der globalen Mindeststeuer, spielen die USA eine entscheidende Rolle. Die US-Regierung muss ihr Steuersystem an die globale Mindeststeuer anpasse. Hier besteht Hoffnung, dass sie das noch tut.
Dafür hat sich in der EU Widerstand formiert. So stellt sich Ungarn quer: Die Regierung von Viktor Orban erklärte im Juni überraschend, eine EU-Richtlinie zur Mindeststeuer nicht mitzutragen, nachdem sie der Reform zuvor zugestimmt hatte.
Angesichts des ungarischen Vetos erklärten die Finanzminister von Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und den Niederlanden im September, die Mindeststeuer notfalls mithilfe einer sogenannten „verstärkten Zusammenarbeit“ einzuführen. In einer gemeinsamen Erklärung heißt es: „Wir sind bereit, die globale Mindeststeuer 2023 mit jedem möglichen rechtlichen Mittel umzusetzen.“ Weil es dafür aber auch die Zustimmung anderer EU-Staaten braucht, gilt auch diese Lösung als „nicht realistisch“, sagt Rebecca Christie vom Brüsseler Institut Bruegel.
Bewegt Ungarn sich nicht noch, müssen die anderen EU-Staaten die Mindeststeuer national umsetzen. Auch dann hätte die Maßnahme eine Wirkung, weil EU-Staaten Unternehmen auf der ganzen Welt höher besteuern würden. Niedrigsteuerländer hätten dadurch einen starken Anreiz, doch noch bei der Reform mitzumachen.
Die deutsche Wirtschaft sorgt sich allerdings vor einem Voranpreschen ausgewählter Staaten. „Wir raten dazu, an einer weltweit einheitlichen Implementierung festzuhalten“, schreiben die CFOs in ihrem Brief an Lindner. „Deutschland sollte bei einer Umsetzung sicherstellen, dass keine Nachteile für die deutsche Wirtschaft entstehen.“
In Verhandlungskreisen beruhigt man: Natürlich würden alle Länder den gleichen Inhalt beschließen. Sonst habe die Reform keinen Sinn. Und natürlich würden alle Länder die Reform zeitgleich einführen, Kanada, Japan oder Großbritannien seien etwa sind schon dabei. Deswegen sei eine Verschiebung in das Jahr 2025 kaum möglich – und auch nicht nötig.
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Wie die CFOs in ihrem Brief an Lindner fordert auch der Industrieverband BDI die Bundesregierung auf, die Reform zu vereinfachen, wie es aus einem neuen BDI-Papier hervorgeht. „Die Bundesregierung sollte in der nationalen Umsetzung der Mindeststeuer nochmals Hand anlegen, um Vorgaben zu vereinfachen und zu entschlacken“, sagt BDI-Vertreter Niedermark. „Zusätzliche Belastungen für die deutsche Wirtschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit müssen verhindert werden“, heißt es auch aus Kreisen des Bundesfinanzministeriums.
Nach Handelsblatt-Informationen aus Verhandlungskreisen will die OECD die Forderungen aufnehmen. So ist der Plan, eine dreijährige Übergangsphase für die Unternehmen bei der Einführung der globalen Mindeststeuer einzuführen.
Trotz aller Probleme könnte am Ende ironischerweise genau die Reform herauskommen, die Scholz gewollt hat. Mit der Idee einer globalen Mindeststeuer beabsichtigte er, die Debatte über eine Digitalsteuer zu beenden. Jetzt könnte ihm das nachträglich ohne eigenes Zutun womöglich gelingen.
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