Berlin Das Nato-Treffen 2024 in Washington wird ein wichtiges. Für US-Präsident Joe Biden, der sich dann im Wahlkampf befindet. Aber ganz besonders auch für einen anderen Staatschef: Olaf Scholz (SPD).
Nach Ausbruch des Ukrainekriegs hat der Kanzler versprochen, ab sofort zwei Prozent im Jahr für Verteidigung auszugeben. Das war ein großes Zugeständnis an die Bündnispartner.
Denn die Zusage hatte Deutschland eigentlich schon 2014 abgegeben, aber nie eingehalten. „Wenn Scholz jetzt auch 2024 sein Versprechen nicht einhält, braucht er gar nicht erst in Washington aufzukreuzen“, sagt ein ranghoher Diplomat.
Ob Scholz das Ziel wirklich erreicht, daran äußerten zuletzt aber selbst Haushaltspolitiker der Ampel große Zweifel. Und nun schlägt auch die Opposition Alarm. Die CDU wirft dem Kanzler und seinem Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vor, das Ziel nur durch kreative Schönrechnerei einhalten zu können.
Es gebe Zweifel an der Zuverlässigkeit der Regierung, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul (CDU), am Freitag. Der finanzpolitische Schlingerkurs der Bundesregierung verunsichere die Nato-Partner und die Verteidigungsindustrie und sei „außerordentlich beklagenswert“.
CDU kritisiert Änderungen am Haushaltsfinanzierungsgesetz
Hintergrund der Kritik sind Änderungen am Haushaltsfinanzierungsgesetz, das das Bundeskabinett am Mittwoch beschloss. Das Gesetz sollte einige Löcher im Bundeshaushalt 2024 schließen.
Nach Ausbruch des Ukrainekrieges hatte die Bundesregierung ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Bundesregierung beschlossen.
In einem früheren Entwurf wollte die Bundesregierung in dem Haushaltsfinanzierungsgesetz einen Passus über das Sondervermögen so ändern, dass „ab 2024 jährlich“ zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung ausgegeben werden.
Allerdings wurde die Formulierung „ab 2024 jährlich“ wieder aus dem finalen Entwurf für das Haushaltsfinanzierungsgesetz getilgt. Stattdessen soll das Zwei-Prozent-Ziel wie bisher „im mehrjährigen Durchschnitt von maximal fünf Jahren“ erreicht werden.
Das lässt größeren Spielraum – aber bildet tatsächlich auch die Realität genauer ab. Denn Rüstungsprojekte erstrecken sich für gewöhnlich über viele Jahre. Deshalb können sich fertige Rüstungsvorhaben in einem Jahr ballen, während in anderen kaum ein größeres Projekt fertig wird.
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Um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen, plant die Bundesregierung aber auch, die Mittel aus dem Sondervermögen flexibler einzusetzen. Und genau das führt zu Kritik.
Sondervermögen soll breiter eingesetzt werden
Die 100 Milliarden Euro sollen jetzt nicht nur „der Finanzierung bedeutsamer Ausrüstungsvorhaben der Bundeswehr, insbesondere komplexer überjähriger Maßnahmen“ dienen – wie beispielsweise der Anschaffung des US-Kampfjets F-35.
Mit dem Haushaltsfinanzierungsgesetz will die Bundesregierung nun auch zulassen, dass Forschungsvorhaben, Munitionsausgaben, Infrastrukturprojekte oder Logistik aus dem Sondervermögen finanziert werden.
Viele große Rüstungsvorhaben aus dem Sondervermögen werden erst nach 2025 realisiert, etwa die F-35. Und erst dann fließt dieses Geld ab. Deshalb will die Bundesregierung das Geld nun offenbar auch nutzen, um andere Verteidigungsausgaben wie etwa für neue Kasernen zu finanzieren. Demnächst würden dann vielleicht auch „Spinde, Schreibtische und Leselampen“ mit dem Geld bezahlt, kritisierte Wadephul.
Für das Sondervermögen war eine Grundgesetzänderung notwendig. Dieser Änderung stimmte die Union nur unter der Bedingung zu, dass das Verteidigungsministerium mit dem Geld dringend benötigte Waffensysteme kaufen und Mängel der Bundeswehr beseitigen würde.
Natürlich habe der Haushaltsgesetzgeber gewisse Spielräume, sagte der CDU-Politiker. Die Mittel jetzt aber so wie nun geplant umzuwidmen, sei ein „schwerer Vertrauensbruch“, kritisierte Wadephul die Bundesregierung.
Es fehlen Milliarden um bei zwei Prozent zu landen
Bisher plant die Regierung im nächsten Jahr mit einem regulären Wehretat von 52 Milliarden Euro und Ausgaben aus dem Bundeswehr-Sondervermögen in Höhe von 19 Milliarden Euro – inklusive Zinszahlungen.
Das seien nur 1,7 Prozent der erwarteten Wirtschaftsleistung, rechnete das Münchener Ifo-Institut vor ein paar Tagen in einer Studie vor. „Es fehlen 14 Milliarden Euro, die bei anderen Ministerien als Verteidigungsausgaben klassifiziert werden müssten“, sagte Ifo-Militärexperte Marcel Schlepper.
Das sei auch in der Vergangenheit so gehandhabt worden, im Jahr 2014 seien auf diese Weise 1,6 Milliarden Euro aus anderen Ressorts als Verteidigungsausgaben verbucht worden. Für das kommende Jahr müsse aber fast die zehnfache Summe aus anderen Ministerien umgewidmet werden.
„Die Bundesregierung sollte Transparenz schaffen, in welchem Umfang sich die anderen Ressorts neu für Verteidigung engagieren oder ob es sich lediglich um eine Umetikettierung schon länger bestehender Ausgabenposten handelt“, forderte Schlepper. Bisher sei nur bekannt, dass vier Milliarden Euro für die Ertüchtigung ausländischer Partner wie der Ukraine vorgesehen seien.
Opposition spricht von kreativer Buchführung
Die „Bild“-Zeitung berichtet nun, dass Bundeskanzler Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) über weitere mögliche Buchungstricks gesprochen haben. So sollen nicht nur die für das kommende Jahr veranschlagten vier Milliarden Euro Zinsausgaben für das Sondervermögen zu den Verteidigungsausgaben gezählt werden. Sondern auch der Anteil des Verteidigungsministeriums an der Zinslast für die Gesamtschulden der Bundesregierung. Das wären weitere rund fünf Milliarden Euro.
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Den Rest könnten militärverbundene Ausgaben anderer Ministerien auffüllen, etwa die „Versorgung von Soldaten der ehemaligen Nationalen Volksarmee“. Das wären weitere 865 Millionen Euro.
Unionsfraktionsvize Wadephul kritisierte dies als kreative Buchführung. Osteuropäische Bündnispartner seien hochnervös und verlagerten gerade Truppen an die Grenze zu Weißrussland, die Nato vertraue auf Deutschland – doch die Bundesregierung setze ein „sicherheitspolitisches Fragezeichen“. Gerade in der augenblicklichen Situation komme es darauf an, „dass wir verlässlich einen gemeinsam verabredeten Weg im Bündnis einhalten“.
Die Nato hatte bei ihrem Gipfel im Juli in Vilnius aus dem eher unverbindlichen Zwei-Prozent-Ziel die Vorgabe gemacht, dass die Bündnispartner künftig mindestens zwei Prozent des BIP in die Verteidigung investieren werden.
Kanzler Scholz hatte vor dem Treffen zugesichert, dies vom kommenden Jahr an zu tun. Denn mit leeren Händen beim Nato-Gipfel in Washington aufzukreuzen, das kann sich der Kanzler tatsächlich kaum leisten.
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