Berlin Das Bundeskabinett hat am Mittwoch die Eckpunkte für eine Modernisierung des Fachkräfteeinwanderungsrechts verabschiedet. „Es wird das modernste Gesetz Europas zur Einwanderung“, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit gleich drei Kabinettskolleginnen und -kollegen.
Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) verwies auf rund zwei Millionen unbesetzte Arbeitsstellen in Deutschland. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betonte, ohne Zuwanderung werde Deutschland wirtschaftspolitisch nicht vorankommen. Die Aufgabe der Fachkräftesicherung habe „höchste politische Priorität aus Sicht der Wirtschaft und aus Sicht des Wirtschaftsministers“.
Die Vorstellung, dass Fachkräfte, die nach Deutschland wollten, gewissermaßen Schlange stehen, sei „eine Illusion“, sagte Heil. Deshalb müsse man zur Sicherung des Wohlstands und der Altersversorgung gezielt um sie werben.
Was plant die Regierung bei der Einwanderung konkret? Antworten auf zentrale Fragen:
Wie stark ist Deutschland auf Einwanderung angewiesen?
Die deutsche Bevölkerung zählt im internationalen Vergleich mit zu den ältesten, allein aus demografischen Gründen werde das Erwerbspersonenpotenzial bis 2035 um sieben Millionen Personen sinken, sagte Daniel Terzenbach, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA), am Mittwoch.
Forschungsministerin Stark-Watzinger verwies auf Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), wonach – zusätzlich zum inländischen Potenzial – jährlich netto 400.000 Personen zuwandern müssen, um das Arbeitskräftepotenzial konstant zu halten. Das starke Beschäftigungswachstum, das Deutschland in den zurückliegenden Jahren gesehen hat, war schon vor allem durch Zuwanderer getrieben.
Was ändert sich für Zuwanderer mit einem anerkannten Berufsabschluss?
Fachkräfte mit einem anerkannten Berufsabschluss dürfen künftig jede qualifizierte Tätigkeit ausüben – auch fachfremd. Ein Mechaniker kann also beispielsweise auch als Logistikfachkraft tätig werden, wenn der Arbeitgeber von seiner Qualifikation überzeugt ist. Bei der sogenannten Blauen Karte EU, die hochqualifizierte Zuwanderer mit Hochschulabschluss beantragen können, will die Ampelkoalition die erforderlichen Gehaltsschwellen absenken.
Die Mindestgehaltsgrenze für die Blaue Karte EU liegt aktuell bei 56.400 Euro brutto im Jahr, bei Beschäftigungen in den Berufsfeldern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Ingenieurwesen und der Humanmedizin gilt ein verringertes jährliches Mindestbruttogehalt von 43.992 Euro. Die Ampel plant jetzt, die Gehaltsschwellen abzusenken, und zwar auf das 1,25-Fache des Durchschnittsjahresbruttogehalts beziehungsweise das 1,0-Fache. Das entspricht aktuell 48.626 Euro beziehungsweise 38.901 Euro.
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Was ist mit Zuwanderern, die ein Jobangebot, aber noch keinen in Deutschland anerkannten Berufsabschluss haben?
Hier setzt die Bundesregierung auf Berufserfahrung. Wer einen in seiner Heimat staatlich anerkannten Berufsabschluss besitzt und mindestens zwei Jahre Erfahrung gesammelt hat, soll einen Job in Deutschland annehmen dürfen. Ausgenommen sind reglementierte Berufe, für die neben dem Abschluss eine spezielle Zulassung erforderlich ist, also beispielsweise Mediziner oder Anwälte.
Allerdings will die Regierung eine Gehaltsschwelle einziehen, um sicherzugehen, dass qualifizierte Kräfte nicht in Hilfsjobs landen. Sie soll bei 45 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung liegen, im kommenden Jahr entspricht das einem Jahreseinkommen von mindestens 39.420 Euro.
Wird die Gehaltsschwelle nicht erreicht, können die ausländische Arbeitskraft und der Arbeitgeber eine „Anerkennungspartnerschaft“ vereinbaren. Die Arbeitsaufnahme ist dann vom ersten Tag an möglich, erforderliche Nachqualifizierungen oder Anerkennungsverfahren laufen parallel. Senken will die Ampelkoalition die Gehaltsschwellen und erforderlichen Sprachkenntnisse für IT-Fachkräfte.
Was hat es mit dem Punktesystem auf sich?
Die Koalition will auch Zuwanderern die Einreise ermöglichen, die noch keinen Arbeitsvertrag in der Tasche haben. Diese „Potenzialsäule“ ihrer Einwanderungsstrategie ist besonders umstritten, aber vor allem der FDP ein Anliegen, die auf Vorbilder wie Kanada verweist.
Auf einer Chancenkarte können Interessenten Punkte sammeln. Zu den relevanten Kriterien zählen nach den Eckpunkten die Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, das Alter und der Deutschlandbezug, also beispielsweise die Frage, ob hierzulande bereits Angehörige leben. Ausländer mit einem in Deutschland anerkannten Berufsabschluss sollen die Chancenkarte ohne weitere Voraussetzungen erhalten.
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Können Migranten auch kommen, um eine Ausbildung in Deutschland zu machen?
Ja, das ist ausdrücklich erwünscht, und die Ampel will die Hürden weiter senken. So soll geprüft werden, ob die Einwanderung zur Ausbildungsplatzsuche erleichtert werden kann, etwa durch eine Anpassung der Altersgrenze, des geforderten Sprachniveaus oder des erforderlichen Schulabschlusses.
Außerdem soll die Vorrangprüfung für ausländische Ausbildungsinteressenten abgeschafft werden, die Bundesagentur für Arbeit muss also nicht zunächst prüfen, ob sich für die Lehrstelle ein Kandidat aus Deutschland oder einem EU-Land findet.
Die Möglichkeiten, parallel zum Studium oder zu einem Sprachkurs zu arbeiten oder ein Schülerpraktikum zu absolvieren, sollen erweitert werden. Sinnvoll wäre aber auch, Auszubildende aus Drittstaaten gezielt anzuwerben, empfiehlt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW): „Deutschland darf nicht vergessen, dass die internationale Konkurrenz groß ist.“
Welche Hürden bleiben weiter bestehen?
Oppositionsführer Friedrich Merz bemängelt, dass Deutschland vorhandene Potenziale nicht ausschöpfe, die etwa die europäische Freizügigkeit biete. Bürokratie und hohe Steuern schreckten EU-Bürger ab, sagte der CDU-Chef im ZDF.
Zudem warteten im Ausland Tausende Menschen auf Visa für Deutschland. Tatsächlich sind die langen Visums- und Anerkennungsverfahren ein Haupthindernis bei der Zuwanderung. Hier heißt es in den Eckpunkten nur, die Regierung werde alle am Visumsverfahren beteiligten Behörden wie die Auslandsvertretungen, die Ausländerbehörden, die BA und die Berufsanerkennungsstellen zusammenbringen, „um noch bestehende Schwierigkeiten bei den Verfahrensabläufen zu identifizieren und gemeinsam gute und nachhaltige Lösungen zu entwickeln“.
Eine stärkere Digitalisierung soll die Verfahren beschleunigen. Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) spricht sich in einer Stellungnahme zu den Eckpunkten für eine weitere Bündelung der Zuständigkeit für die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen aus.
Eine zentrale Bundesbehörde für die Fachkräfteeinwanderung könnte die hierfür erforderliche fachliche Kompetenz aufbauen. Diese könnte auch die angekündigte Chancenkarte zur Arbeitsplatzsuche ausgeben.
Zuwanderung in den Arbeitsmarkt einfacher und unkomplizierter zu machen, müsse ein gemeinsames Anliegen sein, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. „Dafür stellt die Politik nun die richtigen Weichen.“
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