Nach der parlamentarischen Sommerpause ist die Ampel in die zweite Hälfte der Legislatur gestartet. Für die Tiefkühlwirtschaft, mit einem Gesamtumsatz von rund 20 Milliarden Euro einer der wichtigsten Zweige der Lebensmittelindustrie, zieht das Deutsche Tiefkühlinstitut e. V.(dti) mit Blick auf seine vor der Bundestagswahl 2021 erarbeiteten Wahlprüfsteine eine kritische Halbzeitbilanz für die Wirtschafts- und Ernährungspolitik der Bundesregierung. Der dti-Vorstand sieht dringenden Nachbesserungsbedarf und hat fünf zentrale Forderungen formuliert:
– Sichere Energieversorgung mit dauerhaft wettbewerbsfähigen Energiepreisen
– Weitere steuerliche Entlastungen
– Zügiger Abbau von unnötiger Bürokratie
– Mehr ernährungspolitischer Dialog mit den “Macher:innen” der Lebensmittelwirtschaft
– Mehr Engagement für europäische Lösungen, statt nationaler Alleingänge
“Wir erkennen an, dass die Bundesregierung ihre Arbeit in einer herausfordernden Zeit aufgenommen hat, in der der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die politischen Prioritäten enorm verschoben hat”, so der dti-Vorstand. “Bei der Stabilisierung der Energieversorgung wurden Fortschritte erreicht – aber die Frage nach bezahlbaren, wettbewerbsfähigen Energiepreisen ist mittelfristig weiter unbeantwortet. Die Tiefkühlwirtschaft bleibt – wie viele weitere Branchen – bei der Bewältigung dieser enormen Herausforderung weitestgehend auf sich allein gestellt. Mit der gleichen Enttäuschung blicken wir auch auf die Entwicklung anderer für unsere Branche wichtige Politikfelder.”
Fazit von dti-Geschäftsführerin Sabine Eichner: “Als Note im Halbjahreszeugnis der Ampel-Regierung müsste wohl ein ‘versetzungsgefährdet’ vergeben werden.”
Wirtschaftspolitik: Ampel gefährdet Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum
Zwei Jahre nach dem Start der Ampel-Regierung stellt sich die Situation der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sehr fragil dar. Die Rohstofflage bleibt angespannt, die Strompreise in Deutschland gehören zu den teuersten in Europa. Die Gastronomie steht unter enormem Druck, auch wegen des zum Jahresende auslaufenden reduzierten Mehrwertsteuersatzes auf Speisen.
Die Ergebnisse der Kabinettsklausur von Schloss Meseberg Ende August bleiben trotz des Wachstumschancengesetzes weit hinter den Erwartungen der Tiefkühlwirtschaft zurück. “Die Konsumstimmung ist schlecht, und die Inflationsrate bleibt gerade bei Lebensmitteln und Energie weiter hoch. Die Wirtschaft braucht jetzt dringend Impulse für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum”, fordert der dti-Vorstand. “Das bedeutet vor allem: sichere Energieversorgung, dauerhaft bezahlbare und wettbewerbsfähige Energiepreise, weitere steuerliche Entlastungen und zügiger Abbau von unnötiger Bürokratie, die bei den Unternehmen unglaublich viele Ressourcen bindet.” Letzteres gilt insbesondere für die Anforderungen des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes mit einer erdrückenden Fülle an Vorschriften.
Bezahlbare Energieversorgung und steuerliche Entlastung gefordert
Der angekündigte schnelle Ausbau der Erneuerbaren Energien ist richtig, doch wird allein nicht reichen. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft wird viele Jahre dauern und enorme Subventionen erfordern. Aber: “Die Tiefkühlwirtschaft braucht Maßnahmen, die jetzt zu einem wettbewerbsfähigen Strompreis führen”, mahnt der dti-Vorstand. “Dazu gehören die Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Minimum, die Erhaltung des Spitzenausgleichs im Bundeshaushalt 2024 und die Reduktion der staatlichen Netzentgelte.”
Die in Meseberg vorgeschlagene gewinnunabhängige Investitionsprämie für Energieeffizienzinvestitionen sollte aus Sicht des dti schnellstmöglich eingeführt werden – unbefristet und mit deutlich mehr finanziellen Mitteln und besseren Abschreibungsbedingungen versehen als angekündigt. “Die bei der Kabinettsklausur in Aussicht gestellte Erleichterung bei Verlustvorträgen ist zu begrüßen”, sagt der dti-Vorstand. “Generell sollte aber das Ziel verfolgt werden, die Unternehmenssteuerbelastung auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau von höchstens 25 Prozent zu senken.”
Ernährungspolitik: weiterer lösungsorientierter Dialog gewünscht
Um Veränderungsprozesse erfolgreich zu gestalten, braucht es konstruktive Gespräche mit Expert:innen. Der dti-Vorstand schätzt den bisherigen Austausch mit dem grün geführten Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und wünscht sich weitere lösungsorientierte Gespräche zwischen Politik und Lebensmittelwirtschaft, statt dem oft zu schnellen Ruf nach Verboten und Regulierung.
“Unsere Hand bleibt ausgestreckt, wir stehen für Praxisbezug und Nähe zur unternehmerischen Realität”, betont dti-Chefin Sabine Eichner. “Die Tiefkühlbranche hat mit ihrer Zukunftskategorie TK viel zu bieten: Wir sind nicht nur Vorreiter bei der Vermeidung von Lebensmittelverlusten – siehe unser erfolgreiches Pilotprojekt ‘Check Food Waste’ -, sondern arbeiten auch mit innovativen Ideen und echtem Engagement an unserem großen Ziel Klimaneutralität.”
Für eine erfolgreiche Ernährungsstrategie, wie sie die Bundesregierung unter Federführung des BMEL bis Ende 2023 erarbeiten will, hält die Tiefkühlung zahlreiche strategische Vorteile bereit. Diese reichen von der gesicherten Versorgung mit nährstoffreichen, frischen und lange haltbaren Lebensmitteln für private Haushalte und in der Außer-Haus-Verpflegung bis zur Möglichkeit, in ‘intelligenten Stromnetzen’ (smart grids) als Netzspeicher zu agieren: “Der Austausch mit den ‘Macherinnen und Machern’ der Ernährungswirtschaft über realistische Wege und nötige finanzielle Mittel trägt aus unserer Sicht unmittelbar zum Gelingen einer echten Ernährungswende bei”, stellt Eichner fest.
Nationale Alleingänge in der Ernährungspolitik schaden
Auf EU-Ebene ist aus Sicht der deutschen Tiefkühlwirtschaft mehr Engagement des BMEL nötig: “Die nationalen Alleingänge in der Ernährungspolitik schwächen die deutsche Lebensmittelwirtschaft”, sagt der dti-Vorstand. “Unsere Unternehmen befinden sich international und europäisch im Wettbewerb; Herausforderungen müssen mindestens im EU-Binnenmarkt gelöst werden, nicht allein in Deutschland. Es hilft nichts, hier die Standards hochzuziehen und dann mit Importen, die diesen nicht entsprechen, den Bedarf zu decken.”
Ein Beispiel für die negativen Konsequenzen fehlender europäischer Lösungen ist auch die kürzliche Änderung beim Kennzeichnungssystem Nutri-Score. Anstatt das System auf europäischer Ebene und in den Köpfen der Verbraucher:innen zu verankern, wurden erstmal Veränderungen am Algorithmus vorgenommen. Das verursacht hohe Kosten und Aufwand bei den Unternehmen. Auch bei der Tierhaltungs- und Herkunftskennzeichnung gibt es bisher keine Einigung auf europäischer Ebene.
“Wir appellieren an die Bundesregierung, die Anstrengungen für wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen in der Tiefkühlwirtschaft zu steigern und den Ernährungsstandort Deutschland zu sichern: Dazu braucht es eine starke landwirtschaftliche Basis und eine leistungsfähige Lebensmittelverarbeitung und -logistik, damit wir allen Menschen bezahlbare, gesunde Lebensmittel anbieten können”, so der dti-Vorstand.
“Die Ampel muss ihre Performance nun beträchtlich steigern”, fordert dti-Chefin Sabine Eichner. “Andernfalls droht nicht nur die Oppositionsbank, sondern vor allem ein großer Schaden für unser Land. Dazu sollte der Dialog mit der Wirtschaft weiter intensiviert werden. Denn wir setzen Politik konkret im Alltag um!”
Das Deutsche Tiefkühlinstitut e.V. (dti) ist die Interessenvertretung und Kommunikationsplattform der deutschen Tiefkühlwirtschaft und vertritt rund 150 überwiegend mittelständische Unternehmen aus allen Teilen der Tiefkühlkette von Industrie über Logistik und Handel. Die Tiefkühlwirtschaft in Deutschland steht für einen Umsatz von rund 18,5 Milliarden Euro und versorgt täglich 80 Millionen Menschen mit frischen, tiefgekühlten Lebensmitteln.
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