London Der britische Premierminister Rishi Sunak ist nach dem Ende der parlamentarischen Sommerpause gleich in die Defensive geraten. Verantwortlich dafür sind eine poröse Betonmischung, eine rebellische Unterhausfraktion und zwei weitere Nachwahlen, durch die die konservative Mehrheit im Parlament weiter abschmelzen könnte.
Sunaks Tories liegen in den Umfragen bereits jetzt fast 20 Prozentpunkte hinter der Labour-Opposition. Deren Chef Keir Starmer nutzte die parlamentarische Fragestunde am Mittwoch, um den Premierminister persönlich für die teilweise Schließung von baufälligen Schulen in England verantwortlich zu machen. „Er (Sunak) rührt keinen Finger, wenn es um die Kinder einfacher Bürger geht“, klagte der Labour-Chef den Premier an.
Der gab sich kämpferisch, bestritt alle Vorwürfe und behauptete, die englischen Schulen seien besser als jemals zuvor.
Tatsächlich könnte die poröse Betonmischung mit dem ominösen Namen Raac für den Tory-Führer politisch gefährlich werden. Hinter dem Akronym verbirgt sich der Begriff „Reinforced Autoclaved Aerated Concrete“, ein verstärkter Porenbeton, der in Schweden erfunden und zwischen den 1950er- und 1990er-Jahren in vielen öffentlichen Gebäuden Großbritanniens verbaut worden war. Und diese Mauern bröckeln.
Pünktlich zum aktuellen Schulbeginn nach den Sommerferien mussten deshalb bereits mehr als 100 britische Schulen teilweise schließen. Die Behörden wollen verhindern, dass den Schülern und Lehrern buchstäblich das Dach auf den Kopf fällt.
„School-Gate“
100
Schulen
in Großbritannien mussten zum Schulbeginn nach den Sommerferien teilweise schließen.
Bei Tausenden Schulgebäuden muss die Einsturzgefahr noch geprüft werden. Auch das historische Parlamentsgebäude in Westminster wird nun auf Raac getestet.
Viele Mini-Krisen könnten zu einem Megaproblem werden
Die Briten sind angesichts hoher Lebenshaltungskosten und Massenstreiks im öffentlichen Dienst zwar Kummer gewöhnt. Wenn es jedoch um das Wohl ihrer Kinder geht, ist es mit ihrer stoischen Gelassenheit vorbei.
Und so hat „School-Gate“ innerhalb von wenigen Tagen die von zahlreichen Krisen geplagte konservative Regierung erneut in die Bredouille gebracht. Die Versäumnisse an den Schulen bestimmen seit Tagen die Schlagzeilen und Leserbriefe in den Zeitungen und auch die Debatte im Parlament.
Dass der Schlamassel gleich zu Beginn der politischen Saison über Sunak hereinbricht, an dessen Ende vermutlich Parlamentswahlen im Jahr 2024 stehen werden, könnte die vielen Minikrisen zu einem Megaproblem für den Regierungschef machen.
Sunak könnte frühzeitig von den Baurisiken gewusst haben
Die Tories mussten sich von der Opposition nicht nur vorhalten lassen, dass sie die Bausubstanz von Schulen und Krankenhäusern haben verkommen lassen. „Das ist das Ergebnis von 13 Jahren mit einer konservativen Regierung“, kritisierte Starmer und stellte Sunak direkt an den Pranger: „Er hat das Budget für den Unterhalt der Schulen halbiert.“
Starmer bezieht sich dabei auf Angaben eines ehemaligen Abteilungsleiters im Bildungsministerium, Jonathan Slater. Nach dessen Aussage war Sunak während seiner Zeit als Schatzkanzler 2020 persönlich dafür verantwortlich, dass die staatlichen Mittel für die Reparatur der Schulgebäude zusammengestrichen wurden.
Demgegenüber soll Bildungsministerin Gillian Keegan ihr Büro nach Medienberichten gerade für 34 Millionen Pfund (knapp 40 Millionen Euro) renoviert haben.
Der Premier bestreitet eine Mitschuld an der Misere. Die Meinung der Experten über den Raac-Beton habe sich im Laufe der Jahre verändert. Zudem sei nur ein Prozent der 22.000 Schulen von den Baumängeln betroffen.
Er hat das Budget für den Unterhalt der Schulen halbiert. Labour-Chef Keir Starmer über Premierminister Rishi Sunak
Sollten sich die Vorwürfe gegen Sunak jedoch bewahrheiten und auch herauskommen, dass er frühzeitig von den Baurisiken wusste, käme das ein Jahr vor den Wahlen einem politischen Knock-out gleich.
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„School-Gate“ ist jedoch nicht das einzige Problem, das Sunak den Start ins entscheidende Jahr vor den Wahlen vermasselt hat. Anfang der Woche konnte er eine Rebellion von Parteifreunden gegen die Regierung nur dadurch verhindern, dass er das von ihm versprochene Verbot von neuen Windparks abschwächte.
Darüber hinaus drohen dem konservativen Regierungschef im Oktober zwei weitere Nachwahlen, die seine Mehrheit im Unterhaus von 60 Stimmen weiter verringern könnte. Im Sommer hatten die Tories bei Nachwahlen zwei von drei sicher geglaubten Sitzen verloren.
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