Peking Eigentlich ist Chinas Regierungschef in erster Linie für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes verantwortlich. Doch nun soll Li Qiang die Volksrepublik auf dem G20-Gipfel in Neu-Delhi an diesem Wochenende vertreten. Staats- und Parteichef Xi Jinping bleibt dem Treffen der 20 mächtigsten Staatenlenker fern.
Das kann bereits als Hinweis gelten, was sich Chinas Staatsführung von dem Gipfel erhofft: eine Stabilisierung der Wirtschaftsbeziehungen zu den wichtigsten Handelspartnern ohne echte politische Zugeständnisse.
Es ist Li Qiangs erster großer Auftritt auf internationaler Bühne. Doch die Nummer zwei der Kommunistischen Partei Chinas werde wahrscheinlich kaum „irgendetwas Bedeutendes in diplomatischer oder sicherheitspolitischer Hinsicht ankündigen“, sagte Sun Yun, Direktorin des China-Programms beim US-Thinktank Stimson Center, der Nachrichtenagentur Bloomberg. „Das ist Xi vorbehalten“, so die Expertin.
Für die große Politshow, die Erweiterung des BRICS-Staatenbunds um ganze sechs Mitglieder, war Chinas Nummer eins vor zwei Wochen noch höchstselbst nach Südafrika gereist. Er hatte den Ausbau des Bündnisses vorangetrieben – als Gegenentwurf zur zunehmend chinakritischen G7-Gruppe der westlichen Industriestaaten.
Das BRICS-Bündnis sei eine wichtige Kraft, um die internationale Ordnung mitzugestalten, betonte Xi in Johannesburg. Internationale Regeln sollten nicht von „denjenigen diktiert werden, die über die stärksten Muskeln oder die lauteste Stimme verfügen“, sagte er in Richtung der USA, ohne diese namentlich zu nennen.
Dass er nun nicht persönlich am G20-Gipfel teilnimmt, dürfte insbesondere damit zu tun haben, dass die Staatsführung keine echten Fortschritte im angespannten Verhältnis zu den USA sowie den anderen westlichen Staaten, aber auch Indien oder Japan erwartet. Mit seiner Absage geht Xi diesen eher unerfreulichen Begegnungen aus dem Weg und überlässt die Bühne lieber Li Qiang.
Pekinger Diplomatenkreisen zufolge ist Gastgeber Indien bereits seit Längerem darüber informiert, dass Xi nicht selbst am G20-Gipfel teilnehmen wird. Die Enttäuschung über die Absage halte sich in Grenzen, da Indiens Regierungschef Narendra Modi das Treffen der mächtigsten Staatenlenker der Welt vor allem nutzen wolle, sich selbst zu inszenieren. Ein mögliches Treffen zwischen Xi und US-Präsident Joe Biden hätte da wohl eher abgelenkt. Biden hingegen zeigte sich „enttäuscht“ über Xis Absage.
Enger Vertrauter von Parteichef Xi Jinping
Li gilt als enger Vertrauter und Protegé von Parteichef Xi. Seit fast 20 Jahren arbeiten die beiden Genossen eng zusammen. Damals war Xi Parteichef der wirtschaftsstarken ostchinesischen Provinz Zhejiang, Li diente ihm als Generalsekretär der Provinzpartei. In den Folgejahren stieg der Ingenieur schnell auf. 2017 wurde er Parteichef von Shanghai, dem bedeutendsten Wirtschafts- und Finanzzentrum Chinas.
Dort bewies er seine absolute Loyalität gegenüber Xi, als er im vergangenen Frühjahr die 24-Millionen-Metropole auf Weisung aus Peking für zwei Monate komplett abriegeln ließ, um die Coronapandemie einzudämmen. Während viele damals darüber spekulierten, ob dies das Ende seiner Karriere bedeutet, stieg er im vergangenen Oktober zur Nummer zwei in der Parteihierarchie auf und wurde im März dieses Jahres zum Regierungschef ernannt.
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Seitdem bemüht er sich, das infolge der Corona-Lockdowns zerstörte Vertrauen in- und ausländischer Unternehmen und Investoren wiederherzustellen. Der 64-Jährige gilt als wirtschaftsfreundlich und pragmatisch.
Lis erste Auslandsreise ging nach Deutschland
Als Parteichef von Shanghai pflegte er ein enges Verhältnis zur lokalen Wirtschaft und lockte zahlreiche ausländische Investoren und Unternehmen an. So erhielt Tesla als erster ausländischer Autokonzern ohne chinesische Beteiligung eine Produktionslizenz und baute eine Gigafactory in der Wirtschaftsmetropole.
Seine erste Auslandsreise als Regierungschef führte Li im Juni nach Deutschland. Dies gilt als Hinweis darauf, wie wichtig für China die politischen, aber auch wirtschaftlichen Beziehungen zur Bundesrepublik sind. Zwar will die Bundesregierung sich unabhängiger von China machen. Doch die kurz nach Lis Besuch verabschiedete China-Strategie fiel moderater aus als ein erster Entwurf, der Ende vergangenen Jahres durchgestochen worden war.
Im Vorfeld des G20-Gipfels flog Li in die indonesische Hauptstadt Jakarta, wo am Mittwoch das Treffen der südostasiatischen Asean-Länder stattfand. Dort rief er die Nachbarländer zur regionalen Zusammenarbeit auf und forderte sie auf, „alle Arten von Einflussnahme zu unterbinden“.
Als Reaktion auf das zunehmend aggressive Verhalten Chinas im Südchinesischen Meer suchen immer mehr Anrainerstaaten den Schutz der USA und vereinbaren Sicherheitspartnerschaften. Chinas Staatsführung fühlt sich dadurch zunehmend eingekreist und wirbt ebenso wie die USA um Partner in der Region. So nahm auch US-Vizepräsidentin Kamala Harris an dem Gipfel teil. Ob die beiden bilaterale Gespräche führten, ist bislang nicht bekannt.
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