Sep 11, 2023
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Raumfahrt: Das Elon-Musk-Problem der Bundesregierung

Written by Thomas Jahn

Düsseldorf, Brüssel Elon Musk ist umstritten, unumstritten jedoch ist seine Macht. Zu Beginn der russischen Großinvasion stellte der US-Milliardär den Ukrainern sein Satellitennetzwerk Starlink zur Verfügung. Der Internetservice aus dem All erlaubt es ukrainischen Soldaten etwa, Zieldaten für Artilleriegeschütze auszutauschen. 

Doch was Musk gibt, kann Musk auch zurückhalten. Als die Ukraine im vergangenen Jahr einen Drohnenangriff auf die russische Schwarzmeerflotte plante, weigerte er sich, die Starlink-Verbindung auf die Krim-Halbinsel auszudehnen, wie er auf seiner Plattform „X“, ehemals Twitter erklärte. Die Attacke scheiterte.

Im Ukrainekrieg entscheidet sich nach Einschätzung der EU-Spitzen nichts weniger als die Sicherheitsordnung des Kontinents. Musk jedoch ist ein privater Unternehmer, er hat seine eigene Agenda und ist nicht weisungsgebunden.

„Wir sind komplett abhängig von einem Mann, der meint, Geopolitik betreiben zu können“, klagt der grüne Europapolitiker Niklas Nienaß. Pläne, das zu ändern, gibt es in Brüssel zwar. Ob und wann sie umgesetzt werden können, ist allerdings unklar. Das liegt auch daran, dass die Mitgliedstaaten die Weltraumpolitik lange vernachlässigt haben. 

Allen voran Deutschland. Ausgerechnet jetzt will die Bundesregierung die Mittel für die Europäischen Weltraumagentur, Esa, und die nationale Raumfahrt um rund 15 Prozent kürzen. Das Desinteresse zeigt sich auch an der neuen Raumfahrtstrategie, an der das Wirtschaftsministerium seit Monaten arbeitet. Die Erwartungen in der Raumfahrtbranche sind groß: Mehr als ein Jahrzehnt ist die letzte Veröffentlichung her, auch sitzt Deutschland derzeit der Ministerratskonferenz der Esa vor.

Deutsche Raumfahrtstrategie ist wenig konkret

Doch ein Entwurf der neuen Strategie lässt wenig erwarten. Das Papier des Bundeswirtschaftsministeriums liegt dem Handelsblatt exklusiv vor. „Neue Zeiten, neue Relevanz“ heißt es darin zwar. Die Vorschläge aber sind allgemeiner Natur. Auf nur 24 Seiten wird viel Bestandsaufnahme gemacht, die „Ziele und Maßnahmen“ sind Allgemeinplätze wie: „Deutschland setzt sich dafür ein, dass die Esa als Raumfahrtagentur der Mitgliedstaaten ihre Eigenständigkeit bewahrt“. Oder man will internationale Kooperationen und strategische Partnerschaften ausbauen. Start-ups und kleinere Firmen sollen unterstützt werden. Wie konkret, bleibt unklar.

Die Vorschläge seien „stark politisch beeinflusst“, urteilt ein Raumfahrtexperte. Es sei viel die Rede von „Weltraummüll“ und „Klimaschutz“, wenig von konkreten Projekten wie Raketenstartplätzen oder Geodatenzentren. Die Federführung der Strategie hat die deutsche Raumfahrtbeauftragte Anna Christmann (Grüne).

Raumfahrtbeauftragte Anna Christmann (Mitte) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (rechts) beim Besuch eines Raumfahrtunternehmens

Die Branche wünscht sich mehr Engagement der Bundesregierung.


(Foto: dpa)

Eine Sprecherin des Ministeriums betont, „für die nachhaltige und sichere Nutzung des Weltraums“ sei es „mehr als notwendig“, Weltraummüll zu vermeiden und zu reduzieren. Es gehe um den „Erhalt des Weltraums als globalem Gemeinschaftsgut“ und „die Sicherheit der globalen Raumfahrt“.

Der Entwurf kursiert schon seit einigen Monaten in der Regierung und zugehörigen Gremien. Allerdings verzögert sich einem Insider zufolge die Veröffentlichung wegen eines Streits zwischen Wirtschafts- und Verteidigungsministerium, etwa über den Zugriff auf das geplante EU-Satelliteninternet Iris 2.

Mit Iris 2 will die EU eine eigene Satellitenkonstellation ins All schießen, die den Kontinent mit Internet versorgen, abhörsichere Kommunikation ermöglichen und sich auch militärisch nutzen lassen soll. Iris 2 ist die Antwort Europas auf Starlink.

Lesen Sie hier: Machtkampf im All: Satelliten-Internet soll „strategisches Instrument“ der EU werden

„Es ist höchste Zeit, dass wir den Weltraum als strategisches Thema begreifen und eigene europäische Kompetenzen entwickeln“, sagt Nienaß, der sich in Brüssel für das Projekt einsetzt. „Dafür brauchen wir viel mehr Verständnis auf allen politischen Ebenen als derzeit. Und wir brauchen deutlich mehr Investitionen in der EU für den Weltraumbereich.“ 

2027 sollen die ersten Funktionen von Iris 2 nutzbar sein. Die EU hat 2,4 Milliarden Euro dafür bereitgestellt und hofft, dass aus dem Privatsektor ein ebenso hoher Betrag fließt. Das ist aber erst der Anfang: Der komplette Aufbau und der Betrieb für 15 Jahre kann nach Schätzungen des Raumfahrtexperten Ulrich Walter, Professor an der TU München, bis zu 50 Milliarden Euro kosten. 

Frankreich ist in der Raumfahrt wesentlich aktiver

Wie zurückhaltend Deutschland beim Thema Raumfahrt ist, zeigte sich vor wenigen Tagen in Köln. Olaf Scholz (SPD) besuchte dort das Astronautentrainingszentrum der Esa. Eigens angereist waren der Chef der Weltraumagentur, Josef Aschbacher, und Walther Pelzer, Vorstand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Auch die deutschen Astronauten Alexander Gerst und Matthias Maurer waren dabei. „Ich erinnere mich noch an alle Details des Apollo-11-Fluges“, berichtete der Kanzler.

Mehr als solche Anekdoten kamen bei dem Besuch nicht heraus. Anwesende hatten auf die Vorstellung der Raumfahrtstrategie gehofft, wie ein hochrangiger DLR-Mitarbeiter zugibt.

Länder wie Frankreich haben die Bedeutung des Alls hingegen schon lange erkannt. Seit vielen Jahrzehnten treibt Paris Projekte wie die europäische Rakete Ariane voran, ist größter Finanzgeber in Europa.

Entsprechend groß ist die Dominanz Frankreichs. Im Eiltempo brachte der französische EU-Kommissar Thierry Breton das Projekt Iris 2 voran.

Thierry Breton

Der französische EU-Kommissar will sein Land führend im Bereich der Raumfahrt machen.

(Foto: Getty Images; Per-Anders Pettersson)

Breton will Europa als Weltraummacht positionieren. „Unsere Weltraumtechnologien sind zu strategischen Fähigkeiten für unsere Bürger, für die Widerstandsfähigkeit unserer Volkswirtschaften und natürlich für unsere Armeen geworden“, betont er.

Europa fehlt der Zugang zum All

Auf der Esa-Ministerratskonferenz vergangenen November in Paris zeigte sich für alle Anwesenden, wer das Sagen hat. Nicht Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Raumfahrtbeauftragte Christmann als Vertreter des vorsitzenden Landes dominierten das Geschehen, sondern EU-Kommissar Breton. „Die deutsche Regierung ist von dem Projekt ziemlich überrumpelt worden, der Einfluss von Breton ist groß“, sagt Raumfahrtprofessor Walter.

Lesen Sie hier: Ein Kommissar aus Brüssel ist Elon Musks ärgster Gegenspieler

Damit setzen sich nach Einschätzung deutscher Wirtschaftsvertreter vor allem französische Interessen durch. Frankreich verfügt über viele große Raumfahrt- und Rüstungskonzerne, während Deutschland eher kleinere oder junge Firmen hat. 

Die Dominanz der Großen hat Folgen: Europa hat seit vielen Monaten keinen Zugang zum All, weil sich die neue Rakete Ariane 6 seit Jahren verzögert und mit mehr als vier Milliarden Euro fast doppelt so teurer ausfällt wie geplant. Der Start soll jetzt frühestens 2024 stattfinden. Da die ersten Starts schon ausgebucht sind, wird es noch mindestens zwei Jahre dauern, bis die ersten Iris-2-Satelliten mit der Ariane in die Umlaufbahn geschossen werden können.

Arbeiten an der Ariane-6-Rakete 2021

Der Europa-Politiker Nienaß schlägt vor, sogenannte Micro-Launcher zu nutzen, um Iris-2-Satelitten in die Umlaufbahn zu befördern, Raketen also, die speziell für kleinere Lasten entwickelt wurden. Gerade in diesem Bereich gibt es in Deutschland vielversprechende Start-ups. Wirtschaftsminister Habeck besuchte im Juli Hyimpulse, Rocket Factory und Isar Aerospace. 

„Deutschland und Europa brauchen einen eigenen Zugang zum All – auch dies ist eine Frage der Wirtschaftssicherheit“, sagte er nach seinen Gesprächen. Doch mit Worten lässt sich die Fähigkeitslücke nicht fließen. Wegen ihrer strategischen Dimension müsste die Raumfahrt zur Chefsache werden. Das ist bisher nicht ersichtlich.

Mehr: EU will Elon Musk im All herausfordern: Europa plant Satelliten-Internet



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