Berlin Deutschland verzeichnet aktuell eine Rekordzuwanderung, die aber nur teilweise auf das Ziel der Fachkräftesicherung einzahlt. Denn viele Einwanderer sind Geflüchtete, während die Migration aus EU-Ländern eher zurückgeht und die Anwerbung von Fachkräften aus Drittstaaten erst langsam vorankommt.
Darauf weist das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer neuen Studie hin, die dem Handelsblatt vorliegt. Deutschland stehe „vor der großen Herausforderung, dass es aus ökonomischer Sicht einige Zuwanderungsformen sehr gezielt fördern und gleichzeitig an anderer Stelle eher restriktiv vorgehen sollte, wobei allerdings ethische und humanitäre Aspekte immer im Blick behalten werden müssen“, schreibt IW-Ökonom Wido Geis-Thöne.
Im vergangenen Jahr wanderten 1,46 Millionen Menschen mehr nach Deutschland ein als aus – ein Rekord. Der bisherige Höchstwert aus dem Jahr 2015 wurde damit um mehr als ein Viertel übertroffen. Das starke Plus ist vor allem auf Geflüchtete aus der Ukraine zurückzuführen, die kein Asylverfahren durchlaufen müssen und von denen per saldo 960.000 kamen.
Aber auch die Fluchtmigration aus anderen Teilen der Welt nimmt wieder zu. 2022 wurden in Deutschland 218.000 Erstanträge auf Asyl gestellt, in der ersten Hälfte 2023 waren es schon 150.000.
Geflüchtete stehen dem Arbeitsmarkt oft aber erst verzögert oder gar nicht zur Verfügung, weil sie zunächst die Sprache lernen, Qualifikationen erwerben oder sich – wie im Fall vieler Ukrainerinnen – um kleine Kinder kümmern müssen. Von den in Deutschland lebenden Syrern im erwerbsfähigen Alter hatte im Februar nur knapp jeder dritte eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung – davon gut die Hälfte auf Fachkraftniveau.
Menschen aus Westbalkan-Ländern und östlichen EU-Staaten arbeiten besonders häufig
Die Fluchtmigration hat auch mit dazu geführt, dass die Zahl der erwerbsfähigen Hartz-IV- beziehungsweise Bürgergeld-Bezieher ohne deutschen Pass seit 2010 von einer Million auf 1,8 Millionen gestiegen ist, während die Zahl der inländischen Bezieher von knapp vier auf 2,1 Millionen abnahm.
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Große Beiträge zur Arbeits- und Fachkräftesicherung leisten nach wie vor die Staaten, die ab 2004 Mitglied der Europäischen Union wurden, sowie die Westbalkanländer, für die es ein eigenes Erwerbsmigrationsverfahren gibt.
Im März hatten 1,7 Millionen Zuwanderer aus einem der neuen EU-Mitgliedstaaten einen sozialversicherungspflichtigen Job – gut sechs Mal so viele wie 2020. Die größte Zuwanderergruppe aus dieser Region stellten im vergangenen Jahr die Rumänen.
Ohne Zuwanderer aus den neuen EU-Mitgliedsländern, die sich nicht nur in Großstädten, sondern auch im ländlichen Raum ansiedelten, „wäre die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands aller Wahrscheinlichkeit nach deutlich weniger positiv verlaufen“, schreibt Geis-Thöne.
Er weist allerdings auch darauf hin, dass viele ost- und südosteuropäische Länder inzwischen mit ähnlichen demografischen Problemen kämpfen wie Deutschland, was gegen eine prioritäre Anwerbung von Fachkräften aus dieser Region spreche.
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Ganz anders sieht es in Indien mit seinen vielen jungen und oft gut ausgebildeten Einwohnern aus. Als Herkunftsland für Hochqualifizierte von außerhalb der EU spielt der seit Kurzem bevölkerungsreichste Staat der Erde neben der Türkei schon heute die zentrale Rolle.
Knapp 57 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Inderinnen und Inder in Deutschland üben eine Tätigkeit aus, die einen Hochschul- oder Fortbildungsabschluss zum Meister, Techniker oder Fachwirt voraussetzt. Bei den Ausländern insgesamt liegt die Quote nur bei rund 17 und bei Einwohnern mit deutschem Pass bei 30 Prozent. Allerdings war die Zahl der Inderinnen und Inder in sozialversicherungspflichtigen Jobs mit 106.000 im September 2022 „noch eher überschaubar“, heißt es in der Studie.
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Auf absehbare Zeit dürfte vorwiegend die Durchlässigkeit der EU-Außengrenzen darüber entscheiden, wie viele Geflüchtete nach Deutschland kommen. Daran werde wahrscheinlich auch der im Frühjahr besiegelte neue EU-Asylkompromiss wenig ändern.
Umso wichtiger sei, in der Öffentlichkeit die positiven Aspekte der Zuwanderung herauszustellen, ohne die negativen zu verschweigen, bilanziert der Autor. „Ansonsten droht die Gefahr, dass sich zuwanderungskritische Positionen verbreiten und die Offenheit der Gesellschaft abnimmt.“
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