Dem brasilianischen Präsidenten passt die Entwaldungsverordnung der EU ganz und gar nicht.
Brüssel, Berlin Die lateinamerikanischen Mercosur-Staaten stellen neue Bedingungen für den geplanten Freihandelsdeal mit der EU. Das geht aus einem Verhandlungsangebot der Lateinamerikaner hervor, das das Handelsblatt einsehen konnte.
Die Mercosur-Länder Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay betonen zwar ihr Interesse am schnellen Abschluss der Verhandlungen über das Zusatzprotokoll für nachhaltige Entwicklung, auf das die EU dringt. Sie stellen aber klar, dass sie „keine Sanktionen oder auch nur Andeutungen auf die Anwendung von Sanktionen“ hinnehmen würden.
Damit bliebe das Zusatzprotokoll weit hinter den Forderungen von Umweltschützern und Menschenrechtsorganisationen zurück, die das Abkommen kritisch sehen. Eine Sorge ist, dass bessere Absatzchancen für brasilianische Rindfleisch-Exporteure die Abholzung des Amazonas-Regenwalds beschleunigen könnten.
Auch in der Ampelkoalition stehen Kontroversen an. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will das Abkommen möglichst rasch abschließen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte am Freitag, er würde Fortschritte bei den Mercosur-Verhandlungen ausdrücklich begrüßen. Doch die grünen Koalitionspartner sind weniger enthusiastisch. Sie setzen sich in Berlin und Brüssel für ein sanktionsbewehrtes Zusatzprotokoll ein.
In der Praxis könnte das etwa bedeuten, dass die EU den Zugang zu ihrem Markt einschränken könnte, wenn sich zeigte, dass die brasilianischen Behörden zu wenig gegen die Abholzung unternähmen. Brasilien und die anderen Mercosur-Staaten empfinden solche Strafmaßnahmen als Eingriff in ihre Souveränität.
EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis sagte beim EU-Lateinamerika-Finanzministertreffen in Santiago de Compostela, die Kommission werde ein paar Tage brauchen, um das Papier der Südamerikaner zu analysieren. Die Chefunterhändler beider Seiten hätten gestern eine “konstruktive Sitzung” gehabt. Man hoffe, bis zum Jahresende eine Einigung zu erzielen.
Die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calvino fügte hinzu, ihre Regierung werde alles tun, um den Mercosur-Deal unter der spanischen EU-Ratspräsidentschaft bis Jahresende zu beschließen. Spanien unterstütze das Freihandelsabkommen, weil es sehr vorteilhaft für beide Seiten sei.
Brennender Regenwald belastet Gespräche
Eigentlich hatten sich die EU und die Mercosur-Länder schon 2019 auf einen Vertragstext verständigt, das Abkommen wurde aber nie ratifiziert. Hauptgrund war, dass Brasilien unter der Präsidentschaft des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro wenig Interesse daran zeigte, den Regenwald zu schützen. Mit der Rückkehr von Luiz Inácio Lula da Silva ins Präsidentenamt ergeben sich nun neue Chancen.
Ein Zusatzprotokoll im Mercosur-Abkommen soll die weitere Abholzung des Amazonas-Regenwalds verhindern.
Die EU-Kommission hatte im März eine Reihe von Vorschlägen für ein zusätzliches Nachhaltigkeitskapitel unterbreitet. Diese wollten die Mercosur-Länder nicht akzeptieren. Argentiniens Präsident Alberto Fernández klagte, die Europäer würden mit Nachforderungen die Gespräche belasten. Auch Lula hatte die Vorschläge der Europäer als „inakzeptabel“ zurückgewiesen.
>> Lesen Sie hier: Der vermeintliche „Retter des Regenwaldes“ – Lula will Milliarden in klimafeindliche Projekte stecken
Nun haben die Mercosur-Staaten ihr Gegenangebot vorgelegt. Es ist knapp gehalten, bloß eine Seite umfasst der Text. Ein Punkt dabei ist der Ruf nach finanzieller Unterstützung. Die Mercosur-Staaten wollen von der EU Geld erhalten, um ihren Unternehmen dabei helfen zu können, komplexe europäische Vorschriften einzuhalten.
Muss die EU ihre Entwaldungsverordnung aufweichen?
Die wichtigste Forderung findet sich am Ende des Dokuments. Darin verlangen die Mercosur-Staaten „Handelszugeständnisse neu auszutarieren“, wenn diese durch EU-Gesetze „ausgesetzt oder aufgehoben“ würden. Dieser Passus scheint primär auf die europäische Entwaldungsverordnung abzuzielen. Die im Juni in Kraft getretene Verordnung soll sicherstellen, dass keine Produkte auf den EU-Binnenmarkt gelangen, für die Wälder abgeholzt wurden.
Die brasilianische Regierung soll bei Gesprächen mit den Europäern immer wieder ihren Unmut über diese Regelung zum Ausdruck gebracht haben. Nun versucht sie offenbar, die Mercosur-Gespräche zu nutzen, um Zugeständnisse zu erreichen. Die Grünen-Politikerin Anna Cavazzini will das nicht hinnehmen: „Eine Abschwächung des Gesetzes zusätzlich zu einer Erhöhung der Agrarexporte durch das Mercosur-Abkommen ist eine Gefahr für Amazonas und indigene Gemeinschaften“, sagte die Vorsitzende des Binnenmarkt-Ausschusses im EU-Parlament.
Der CDU-Politiker David McAllister, der den Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments leitet, hob dagegen die politische Bedeutung des Freihandelspakts hervor. Europa habe jetzt die Chance, das ausgehandelte Abkommen endlich zu ratifizieren. „Wenn uns das nicht gelingt“, setze die EU ihre „Glaubwürdigkeit als verlässlicher Handelspartner auf Spiel“.
Das Angebot der Lateinamerikaner liegt erst seit Kurzem vor. Am Donnerstag kamen die Unterhändler beider Seiten zu einer Online-Schaltung zusammen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hofft, dass bis Jahresende eine Einigung erreicht werden kann.
Carl-Julius Cronenberg, in der FDP-Bundestagsfraktion für Freihandel zuständig, begrüßte, dass nun wieder Bewegung in die Verhandlungen kommt. Die Ablehnung eines Sanktionsmechanismus durch die Mercosur-Staaten sei „eine erwartbare Haltung“. Was die anstehenden weiteren Verhandlungen angehe, sagte Cronenberg: „Die aktuelle geopolitische Lage gebietet eine pragmatische Handelspolitik.“
<< Den vollständigen Artikel: Handelspolitik: Mercosur-Staaten verlangen Zugeständnisse für Freihandels-Deal >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.