Dec 3, 2022
159 Views
Comments Off on Prof. Dr. Claudia Kemfert im Interview | ideas Magazin
0 0

Prof. Dr. Claudia Kemfert im Interview | ideas Magazin

Written by pinmin


ideas: Frau Professorin Kemfert, Sie leiten die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und sind Professorin an der Leuphana Universität für Energiewirtschaft und Energiepolitik. Ein Themenfeld, das während der Hochzeit der Coronapandemie in den Hintergrund rückte, aber seit dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine präsenter denn je ist. Hat sich die Regierung bei der Energieversorgung zu lange auf dem Status quo ausgeruht und die Augen vor Risikopotenzialen verschlossen?
Prof. Dr. Claudia Kemfert: 
Eindeutig ja. Wir haben uns leider selbst verschuldet in eine zu große Abhängigkeit von Russlands fossiler Energie begeben. Den Preis zahlen wir heute. Der Preis der verschleppten Energiewende ist enorm hoch, nicht nur ökonomisch, auch politisch, geostrategisch und vor allem demokratisch. Es ist ein Drama. Wir hatten alle guten Zutaten in der Hand. Vor 20 Jahren haben wir begonnen, die erneuerbaren Energien zu fördern. Nach anfänglichem guten Start haben wir die erfolgreiche Energiewende dann leider ausgebremst und so wertvollen technologischen Vorsprung, florierende Unternehmen samt Industriearbeitsplätzen verloren gehen lassen. Stattdessen hat Deutschland Russland blind vertraut, die Abhängigkeiten erhöht und uns so extrem verwundbar gemacht. Ein gigantischer Fehler.

Alternativen zum russischen Gas werden derzeit in Katar und Saudi-Arabien gesucht. Kommen wir damit vom Regen in die Traufe?
Fossile Energien kommen grundsätzlich im seltensten Fall aus »lupenreinen Demokratien«, sondern meistens aus autokratischen Systemen, die Einnahmen aus fossilen Energien zum Machterhalt benötigen. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist es notwendig, sich endlich mit aller Entschiedenheit von den fossilen Energien zu verabschieden und umzustellen auf erneuerbare Energien und Energiesparen. Um im Sprachbild zu bleiben: vom Regen in die Sonne, im wahrsten Sinne des Wortes.

Was sind aus Ihrer Sicht wirkliche Alternativen zum Erdgasimport?
Energiesparen und erneuerbare Energien. Je weniger Energie wir verbrauchen, desto weniger müssen wir importieren. Und je mehr heimische Energien wir nutzen, desto resilienter und weniger abhängig sind wir von autokratischen Regimen. Erdgas wird ja zu großen Teilen zum Heizen im Gebäudebereich und im Industriesektor eingesetzt. Daher müssen wir alles dafür tun, die Gebäude besser zu dämmen und zu »Prosumern« zu machen, das heißt den Strom selbst produzieren und speichern. Auch im Industriebereich gibt es enorme ungenutzte Energie-Einsparpotenziale, zum Beispiel wird oftmals industrielle Abwärme nicht genutzt. Auch können hochindustrielle Wärmepumpen zum Einsatz kommen samt mehr erneuerbarer Energien wie Solar, nachhaltige Biomasse, Erdwärme oder Windenergie.

Mit dem Green Deal hat die Europäische Union den Grundstein für mehr Nachhaltigkeit bei Investitionen gelegt, um bis 2050 in der EU klimaneutral zu sein. Allerdings stuft sie aber auch neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig ein. Passt dies Ihrer Ansicht nach zusammen?
Nein, dies passt nicht zusammen. Atomenergie ist nicht nachhaltig, zudem enorm teuer. Beim Abbau von fossilem Erdgas entstehen hohe Mengen an Methan, ein sehr klimaschädliches Treibhausgas. Erdgas zu verbrennen erhöht die CO2-Bilanz. Auch das ist alles andere als nachhaltig. Es ist fatal, dass man beide nicht nachhaltige Energien als nachhaltig einstuft, da sie »stranded investments« hervorbringen, also gestrandete oder in den Sand gesetzte Investitionen. Das ist nicht nur ökologisch, sondern vor allem ökonomisch ineffizient.

Auf lange Sicht geht es also nicht ohne erneuerbare Energien, sowohl aus umweltpolitischer als auch geopolitischer Sicht. Wo stehen wir hier in Deutschland – auch im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn, sowohl hinsichtlich technischer Entwicklung als auch Verfügbarkeit?
Auch auf kurze Sicht geht es nicht ohne Erneuerbare. Auch die kurzfristigen ungenutzten Potenziale erneuerbarer Energien sind groß: Allein 10 Gigawatt Windenergie warten auf ihre Genehmigung, sie könnten schnell ans Netz gehen, wenn ernsthafter Wille da wäre. Genau wie Solarenergie sowie nachhaltige Biomasse-Anlagen, die stärker ausgenutzt werden könnten. Derzeit werden 50 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien gewonnen, wir könnten bei einem Anteil von 80 Prozent liegen, wenn wir die Energiewende nicht ausgebremst hätten. Im Industriebereich wird zu wenig erneuerbares Potenzial genutzt, genauso wie im Gebäudebereich. Andere EU-Länder wie Skandinavien oder Österreich sind viel weiter. Auch Spanien und Italien holen stark auf. Deutschland hat leider seinen Vorsprung verspielt, die Energiewende ausgebremst und wertvolle über 100.000 Industriearbeitsplätze verloren. Das war nicht klug.

Könnte die derzeitige Energiekrise ein Katalysator für die Energiewende sein? Ähnlich wie Corona bei der Digitalisierung gewirkt hat?
Die derzeitige Energiekrise ist sicherlich ein Weckruf. Er kann aber auch wie in den vergangenen Krisen nach hinten losgehen, wenn in zu viel fossile Energien und Infrastrukturen investiert wird. Ob Öl- oder Gasbohrungen in der Nordsee, die potenzielle Wiederbelebung von Fracking oder der Bau von Flüssiggas-(LNG)Terminals: Das geht alles in die falsche Richtung. Bei hohen Öl- und Gaspreisen rechnen sich leider auch bereits tot geglaubte fossile Energieverfahren. Viel besser und klüger wäre es, das als Weckruf für die Energiewende zu verstehen und das Geld nicht in fossilen Energien zu vergeuden, sondern in den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien, Digitalisierung und Energiesparen zu stecken. Das würde nicht nur kurzfristig Abhilfe schaffen, sondern uns mittel- bis langfristig zukunftsfähig machen.

Sehen Sie andererseits auch die Gefahr, falls sich Deutschland besser als gedacht durch den Winter manövriert, dass notwendige Umstellungen hinsichtlich Klimaschutz ihre Brisanz verlieren?
Klimaschutz verliert niemals Brisanz, sondern gewinnt immer mehr, da der Klimawandel mit Fortbestand der fossilen Energien immer weiter und schneller voranschreitet. Der alte Reflex »Klimaschutz muss hintenanstehen« ist ein Resultat aus einem alten Missverständnis, dass Klimaschutz nur etwas für gute Tage sei, quasi ein Luxus, für den wir gerade keine Zeit haben. Das ist aus zwei Gründen grundfalsch: Erstens, Klimaschutz bedeutet die Abkehr von fossiler Energie. Hätten wir die Energiewende umgesetzt, somit auch aktiven Klimaschutz betrieben, wären wir heute nicht in dieser Energiekrise. Zweitens, der Klimawandel schreitet unaufhörlich voran, wir können und dürfen ihn nicht ignorieren, weil alles nur noch immer schlimmer wird. Jetzt gilt es, vergangene Fehler nicht zu wiederholen und endlich beherzt umzusteuern. Klimaschutz mit Energiewende stärkt nicht nur die Resilienz der gesamten Volkswirtschaft, weil fossile Abhängigkeiten vermieden werden, sondern schafft zugleich auch Frieden, Freiheit und stärkt die Demokratie. Mehr Win-win-win geht nicht.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Schneider.



<< Den vollständigen Artikel: Prof. Dr. Claudia Kemfert im Interview | ideas Magazin >> hier vollständig lesen auf www.finanzen.net.

Article Categories:
Finanzen

Comments are closed.