Nov 3, 2022
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Standort: „Der industrielle Kern ist in Gefahr“ – Wie der Staat die Industrie krisenfest machen soll

Written by Martin Greive


Energieintensive Industrie in der Krise

Berlin SPD-Chef Lars Klingbeil will mit einer industriepolitischen Offensive eine Deindustrialisierung Deutschlands abwenden und die deutsche Wirtschaft robuster aufstellen. „Der industrielle Kern Deutschlands ist durch die aktuelle Lage bedroht“, sagte Klingbeil im Handelsblatt-Interview. Zugleich sei die deutsche Wirtschaft mit einer „völlig veränderten weltpolitischen Lage“ konfrontiert.

Er blicke besorgt auf die Abschottung autoritärer Staaten, aber auch auf die „knallharte Industriepolitik“ der USA. „Wir haben jetzt vielleicht ein Zeitfenster von fünf Jahren, um die Industrie in Deutschland und Europa stark zu machen“, sagte er.

Deshalb müsse der Staat durch Investitionen die Entwicklung bestimmter Industrien vorantreiben, etwa der Halbleiterproduktion oder der Batteriefertigung, und eine „Rohstoffstrategie“ entwickeln. Das würde auch die Unabhängigkeit von China fördern. Im Umgang mit dem Land plädierte Klingbeil für eine neue Strategie: „Wir müssen sicherheitsrelevante Bereiche benennen, bei denen China draußen bleiben muss.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) reist Donnerstag mit einer Wirtschaftsdelegation nach Peking und wird am Freitag Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping treffen. Klingbeil verteidigte die Reise gegen Kritik: Dialog sei wichtig. Der Kanzler werde auch kritische Themen ansprechen.
Diese Erwartung äußerten Mittwoch weitere Koalitionspolitiker. „Die von Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende muss auch im Umgang mit China mit Leben gefüllt werden“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.

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Zeitenwende: Wenn die Wirtschaft nach dem Staat ruft

Tatsächlich hat die Zeitenwende seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nicht nur die Sicherheitspolitik verändert. Auch ökonomisch lösen sich derzeit viele Gewissheiten in Luft auf. Abzulesen war das jüngst in einem Grundsatzpapier des Industrieverbands BDI. Von einer „Zeitenwende“ auch in der Wirtschaftspolitik war darin die Rede, weshalb Europa seine „Souveränität stärken“ müsse.

Jahrzehntelang hat die Wirtschaft für den Rückzug des Staates geworben, doch angesichts des Ukrainekriegs und des wirtschaftlichen Aufstiegs von Autokratien denkt die Wirtschaft nun um. Die traditionellen ökonomischen Positionen Deutschlands müssten „durch geeignete wirtschafts- und sicherheitspolitische Maßnahmen ergänzt werden“, heißt es in dem Papier. Ziel sei eine „Balance zwischen Wohlfahrts- und Sicherheitszielen“. Insbesondere mit China müsse die Zusammenarbeit neu definiert werden.

>>Lesen Sie mehr: Der Kontrollverlust – Wie Chinas Kommunistische Partei den Einfluss auf deutsche Konzerne ausbaut

Diese Gedanken hat auch SPD-Chef Klingbeil im Kopf, wenn er im Handelsblatt einen Aufschlag für eine neue Industriepolitik macht. Bekam der frühere Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) noch Häme für seinen Versuch, systemrelevante Branchen und Unternehmen zu definieren, die staatlich vor ausländischen Übernahmen zu schützen sind, ist eine solche auf nationale Interessen ausgerichtete Industriepolitik auf der ganzen Welt längst eingeübte Praxis. Besonders ein Land haben dabei alle im Blick: China.

US-Präsident Joe Biden etwa nutzt sein jüngstes Gesetz zur Inflationsbekämpfung, um die wirtschaftliche Entkopplung von China voranzutreiben – und nimmt dafür zur Not auch kurzfristige Schäden für US-Konzerne in Kauf. Auch andere Länder wie Japan haben Gesetze verabschiedet, die die eigenen Unternehmen vor allem dazu bringen sollen, sich nach Handelspartnern außerhalb Chinas umzuschauen.

In Deutschland gibt es solche Gesetze noch nicht, doch eine Debatte über eine neue Chinapolitik und damit eine neue Industriepolitik ist in vollem Gange. Der von Kanzler Scholz gegen große Widerstände durchgedrückte Einstieg des chinesischen Staatskonzerns Cosco an einem Terminal im Hamburger Hafen sowie die diskutierte Reise des Kanzlers nach China haben auch in Deutschland den Blick darauf gelenkt, ob die Bundesrepublik nicht zu abhängig von der Volksrepublik ist. Und im Umgang mit China die gleichen Fehler macht wie bei Russland.

Kanzleramt verteidigt Wirtschaftsdelegation im China-Flieger

Wie es aus Regierungskreisen hieß, will der Kanzler bei seinem ersten persönlichen Treffen mit Chinas Staatschef Xi am Freitag auch „schwierige Themen“ im Verhältnis zu China ansprechen. Ganz oben auf der Liste: Chinas Haltung im Ukrainekrieg. Aus Sicht Deutschlands verstößt Russland mit seinem Angriffskrieg gegen die Charta der Vereinten Nationen (UN). In einem Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erinnerte Scholz die Führung in Peking an ihre „besondere Verantwortung“ als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat.

Kritik an der Scholz-Reise hatte es auch wegen der Mitnahme einer Wirtschaftsdelegation gegeben. Dies wurde im Umgang mit China als „business as usual“ interpretiert. Der Bundeskanzler reise jedoch nicht als „oberster Handelsvertreter der Deutschland AG nach China“, hieß es in Regierungskreisen. Die Unternehmen seien mit dabei, weil sie für verschiedene strukturelle Schwierigkeiten in den Wirtschaftsbeziehungen stünden. Die Zusammensetzung solle den Argumenten der Bundesregierung Gewicht verleihen, hieß es.
Mehr: Scharfe Kritik an chinesischem Einfluss auf deutsche Konzerne



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Deutschland
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Politik

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