Berlin Baden-Württembergs Datenschutzbeauftragter Stefan Brink hat Äußerungen der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, scharf zurückgewiesen, wonach ein zu strikter Datenschutz die Digitalisierung im Gesundheitswesen behindern würde. Die Positionen der Ethikrat-Chefin zum Datenschutz seien „uninformiert und schwer erträglich, gerade weil sie mit dem Anspruch moralischer Überlegenheit geäußert werden“, sagte Brink dem Handelsblatt.
„Ethiker sollten gelernt haben, dass man gesellschaftlich bestimmende Entwicklungen wie die Digitalisierung nicht durch einseitige und zuspitzende Äußerungen vorantreibt, sondern alle relevanten Interessen mit ruhigem Blick einbezieht und abwägt“, betonte der Behördenchef.
Buyx hatte im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ bemängelt, dass in Deutschland zu sehr auf die Risiken und zu wenig auf die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen geschaut werde. Eine stärkere Nutzung von Daten sei aus ethischer Sicht sogar notwendig, sagte Buyx. Patientinnen und Patienten in Deutschland litten ebenso wie Forscherinnen und Forscher unter einem zu strikten Datenschutz, der darüber hinaus häufig auch noch zu streng ausgelegt werde. „Da ist das Maß verloren gegangen“, so Buyx, das „kostet Leben“.
Die Ethikratsvorsitzende begrüßt damit die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die Digitalisierung im Gesundheitswesen mit Tempo umzusetzen. Der SPD-Politiker will etwa die flächendeckende Umsetzung der elektronischen Patientenakte (ePA) vorantreiben. Dass dabei vor allem datenschutzrechtliche und technische Fragen eine Rolle spielen, ist dem Minister zwar durchaus bewusst.
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Er betonte jüngst aber die Vorteile der elektronischen Patientenakte. Eine der Kern-Errungenschaften der nächsten Jahre solle sein, digitale Befunde unter Ärzten, Patienten und Kliniken auf einem sicheren Weg austauschen zu können. Das Thema habe größte Bedeutung, weswegen die Voraussetzungen in den kommenden Jahren dafür geschaffen werden sollen.
Buyx: Deutschland ist in internationalen Forschungsprojekten wegen des Datenschutzes abgehängt
Die elektronische Patientenakte als freiwilliges Angebot für die 73 Millionen gesetzlich Versicherten war am 1. Januar 2021 in einer Testphase gestartet. Damit sollen beispielsweise Röntgenbilder auf CD, Papierakten und Faxe überflüssig werden.
Mediziner, Physiotherapeuten, Pflegekräfte und Hebammen sollen sich mit der digitalen Akte mit wenigen Klicks ein Bild vom Gesundheitszustand ihrer Patienten machen oder eine Krankengeschichte lückenlos einsehen können. Gleichzeitig sollen medizinische Daten in anonymer Form für die Forschung verfügbar gemacht werden.
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Die Ampelkoalition strebt an, dass man der Nutzung der elektronischen Patientenakte aktiv widersprechen und nicht aktiv einwilligen muss. Das Verfahren soll noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden. Lauterbach riskiert damit einen Konflikt mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber. Dieser hat sich kritisch zu den Plänen geäußert.
Die elektronische Patientenakte soll die medizinische Versorgung verbessern.
(Foto: Imago)
Ethikrat-Chefin Buyx wies indes auf die aus ihrer Sicht enormen Digitalisierungsdefizite im deutschen Gesundheitsbereich hin, die „direkte negative Effekte auf Leben und Gesundheit vieler Menschen“ hätten. „Gleichzeitig birgt eine bessere Datennutzung so viele Vorteile – von Vorsorge, Diagnostik und Therapie bis zu medizinischer Forschung. Sie ist deshalb ethisch geboten“, so Buyx, die auch Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien an der TU München ist.
Laut Buyx ist Deutschland in internationalen Forschungsprojekten wegen des Datenschutzes mittlerweile abgehängt. Zwar sei Datenschutz ohne Frage wichtig. „Es geht nicht darum, Schutzwälle einzureißen“, sagte die Medizinethikerin. „Es geht aber darum, bei gutem Schutz gleichzeitig wichtige Dinge in verantwortlicher Form möglich zu machen.“
Brink: DSGVO sieht für die Forschung „massive Privilegierungen“ vor
Chancen und Risiken müssten in ein vernünftiges Verhältnis gesetzt werden, damit eine angemessene Datennutzungskultur möglich werde, mahnte Buyx. Dazu sei es auch nötig, eine andere Einstellung zum Datenschutz zu entwickeln „bei allen Beteiligten im Gesundheitswesen und auch in der Bevölkerung“. Vor allem Datenschützer müssten ihre Rolle neu definieren, sie sollten sich „als positive Ermöglicher und nicht als Mahner oder gar Verhinderer verstehen“.
Datenschützer Brink warf der Ethikrat-Chefin „unsinnige Verschärfungen“ in einer in der Sache berechtigten Debatte um die Rolle des Datenschutzes bei der notwendigen Digitalisierung aller Lebensbereiche vor. Insbesondere Anwürfe wie „Datenschutz kostet Leben“ würden angesichts von Konflikten zwischen berechtigten Interessen überhaupt nicht weiterhelfen.
Brink erinnerte daran, dass die europaweit geltende Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gerade für die Forschung „massive Privilegierungen“ vorsehe, die auch mit Unterstützung der Datenschützer umfangreich genutzt würden.
„Den von Frau Buyx eingeforderten Wandel im Verständnis des Datenschutzes haben die Aufsichtsbehörden seit 2018 mit Geltung der DSGVO vollzogen“, betonte Brink. In Baden-Württemberg etwa stünden Beratung und Unterstützung seit Jahren im Zentrum der Tätigkeit seiner Behörde. „Das wird von Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen intensiv in Anspruch genommen – nur der Ethikrat hat dies anscheinend nicht mitbekommen.“
<< Den vollständigen Artikel: Digitalisierung des Gesundheitswesens: „Uninformiert und schwer erträglich“: Datenschützer attackiert Ethikrat-Chefin >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.