Wien Jahrelang hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban ausländische Investoren hofiert und diese haben sich die Avancen gerne gefallen lassen. Aber nun ist die Stimmung gekippt. Ungarns Regierung belegt immer mehr Unternehmen mit Sondersteuern und lässt sich Schikanen einfallen. Die Firmen fühlen sich vom Staat gegängelt.
Ihr Unmut ist groß. Kaum ein Wirtschaftsvertreter wagt es aber, den Ärger offen auszusprechen. Zu stark ist die Angst vor ökonomischen Repressalien. Michael Silly vom mittelständischen Pflastersteinhersteller KK Kavics Beton sagt allerdings: „Die Rechtssicherheit im Land ist sehr fragwürdig geworden.“ Es fehle zunehmend an Planungssicherheit. KK Kavics Beton ist die Tochterfirma einer deutschen Holding.
Ähnlich äußert sich Philipp Haussmann, Chef des Verlags Ernst Klett und Sprecher des Arbeitskreises Mittelosteuropa im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft: „Immer mehr ausländische Unternehmen haben den Eindruck, in strategischen Branchen nicht mehr willkommen zu sein.“ Investitionssicherheit sei im europäischen Binnenmarkt aber nicht verhandelbar.
Betroffen von Orbans zunehmend erratisch wirkender Wirtschaftspolitik sind auch mächtige Großkonzerne, etwa die Zementhersteller Heidelberg Cement und Holcim. Seit rund eineinhalb Jahren bezahlen sie ab einem bestimmten Zementpreis, der gegenwärtig unter den Produktionskosten liegt, eine sogenannte Bergbauabgabe. So schreiben beide Firmen mit dem Ungarn-Geschäft zwangsläufig Verluste.
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Sondersteuern entrichten ferner die Einzelhändler, darunter die ausländischen Anbieter Lidl, Spar, Tesco und Auchan, sowie die Fluggesellschaften für alle abfliegenden Passagiere. Als Orban im Frühsommer eine Ticketsteuer einführte, trieb er den Ryanair-Chef Michael O’Leary zur Weißglut. Es sei „beyond stupid“, was Ungarn da anstelle.
Willkürliche Sondersteuer oder Krisenbeitrag der Unternehmen?
Die Regierung sieht in den Steuern eine Abgabe für Krisengewinner. Laut ihrer Interpretation machen die Unternehmen dank der Inflation Übergewinne.
Die Unternehmen beurteilen das anders. „Die Regierung greift alle Firmen an, die keine Beine haben, um wegzulaufen“, sagt der Vertreter eines Großkonzerns. Von den Sondersteuern sind meistens nur ausländische Firmen betroffen. So gibt es in Ungarn drei Zementwerke: Eines gehört Holcim, zwei sind im Besitz eines Joint Ventures von Heidelberg Materials, ehemals Heidelberg Cement.
Ausländische Firmen haben in vielen Sektoren eine starke, teilweise dominante Position. Und diese Gesellschaften überweisen Milliarden an Zinsen, Dividenden und Lizenzen an die Zentralen in Westeuropa. Orban verfolgt seit einiger Zeit den Plan, diese Einseitigkeit zu reduzieren.
Im Februar sagte er in einer Rede bei der Handelskammer, dass es der Regierung gelungen sei, den Anteil inländischer Investoren im Energie-, Banken- und Mediensektor zu erhöhen. „Aber es gibt Branchen, in denen wir noch nicht gut aussehen.“ Konkret meinte der Ministerpräsident die Versicherungswirtschaft, die Telekommunikation, den Einzelhandel und die Baustoffindustrie.
Ausländische Firmen bekommen weniger Genehmigungen für Investitionen
Offenbar versucht Orban, ausländische Firmen mit Sondersteuern mürbe zu machen. Sie sollen ihren Besitz verkaufen oder das Aktionariat wenigstens teilweise für einheimische Investoren öffnen. Dazu passt, dass sich die Unternehmen auch über Schikanen beklagen. Es mache den Anschein, als würden in strategischen Branchen den ausländischen Firmen gewisse Genehmigungen nicht mehr erteilt, sagt Haussmann von Ernst Klett.
Ein Beispiel dafür ist der Flughafen Budapest, um den seit einiger Zeit ein Machtkampf in Gang ist. Er gehört der deutschen Firma Avi Alliance, einem Vorsorgeversicherer aus Kanada und einem Staatsfonds aus Singapur. Wiederholt hat die Regierung versucht, den Flughafen zu übernehmen. Die Investoren gingen darauf nicht ein, sie wollen den Flughafen vielmehr selber ausbauen. Nur erteilt der Staat dafür keine Bewilligungen.
Teil des Bieterkonsortiums des Staates war der reiche Immobilienbesitzer Daniel Jellinek, ein Immobilienunternehmer aus Orbans Umfeld. Solche Verflechtungen nähren bei ausländischen Investoren den Verdacht, dass es bei Orbans Magyarisierungskampagne gar nicht darum geht, den Wohlstand im Land breiter zu verteilen. Vielmehr strebe er danach, Verbündete mit guten Investments zu beglücken.
Diese undurchsichtigen Verflechtungen zwischen Orban und einem Kreis von Geschäftsleuten sind auch ein Grund dafür, warum die EU derzeit kein Geld aus dem Kohäsionsfonds und dem Wiederaufbaufonds (Next-Generation-EU) an Ungarn überweist.
Preisobergrenzen haben zu Mangel geführt
Das Land wäre dringend auf die Mittel angewiesen, denn es ist wirtschaftlich in einer desolaten Lage. Die heimische Währung Forint ist schwach, was die Importe verteuert und die Firmen sowie die Verbraucher belastet.
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Die Inflation ist aus dem Ruder gelaufen. Im November lag sie bei 22,5 Prozent. Besonders steil ist der Preisanstieg bei den Nahrungsmitteln mit 43,8 Prozent. Ungarn ist ein verhältnismäßig armes Land. Das bedeutet: Die Menschen geben einen hohen Anteil des Einkommens für Nahrung aus. Die enorme Teuerung trifft sie so besonders.
Orban wollte die Inflation durch Preisobergrenzen bekämpfen. Solche gelten etwa für Eier, Kartoffeln, Zucker, Mehl und Hühnerbrüste. Aber in der Folge wurden einige dieser Güter knapp und die Einzelhändler führten Rationierungen ein.
Besonders heftig waren die Turbulenzen am Benzinmarkt. Die Preisobergrenze beim Treibstoff beflügelte einerseits die Nachfrage, etwa von „Tanktouristen“. Die Ölfirmen drosselten andererseits das Angebot.
Dadurch gerieten kleine Tankstellen zunehmend in Schwierigkeiten. In der Nacht vom 6. Dezember entschied die Regierung deshalb überraschend, den Preisdeckel aufzuheben. Nun kostet Benzin rund 30 Prozent mehr als vorher. Das wird die Teuerung weiter anheizen.
Orbans Art der Inflationsbekämpfung hat mittlerweile auch György Matolcsy aus der Reserve gelockt, den Chef der Notenbank. Ungarns Wirtschaft befinde sich am Rande einer Krise, sagte er, und daran sei die Wirtschaftspolitik schuld. Die Preisobergrenzen hätten die Inflation zusätzlich angeheizt. Dies rührt daher, dass sich der Einzelhandel schadlos hält, indem er die Preisobergrenzen mit Erhöhungen bei anderen Produkten ausgleicht.
Noch scheint der Großteil der Bevölkerung die wirtschaftlichen Schwierigkeiten lethargisch hinzunehmen. Eine Berufsgruppe begehrt mittlerweile aber auf: die Lehrer. Seit Wochen demonstrieren sie für höhere Löhne und mehr Freiheit bei der Wahl der Schulbücher.
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