Dec 11, 2022
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Energieversorgung: „Der Winter wird kompliziert“ – Frankreichs Unternehmen fürchten Stromausfall

Written by Gregor Waschinski

Penly Bruno Le Maire steht am vergangenen Freitag auf einem Kreidefelsen am Ärmelkanal. Der französische Wirtschaftsminister blickt auf das Kernkraftwerk Penly am Fuße der Normandie-Steilküste herab.

Eigentlich versorgen die beiden Reaktoren 3,6 Millionen Haushalte mit Elektrizität. Nun sind sie seit Monaten wegen Wartungen und Reparaturen vom Netz. Erst Mitte Februar werden sie wieder Strom liefern, plant der Energiekonzern und Kraftwerksbetreiber EDF.

Zeitgleich zu dem Besuch von Le Maire spielt der französische Netzbetreiber RTE den Fall von Stromengpässen im Winter in einem Krisenszenario mit kontrollierten Blackouts durch.

Doch der Politiker winkt ab: „Hören wir auf zu sagen, dass unsere Reaktoren geschlossen sind, dass es eine Katastrophe ist, dass wir dem nicht entkommen können, dass der Winter unerträglich wird“, sagt er. „Das stimmt nicht.“

Die Warnungen vor möglichen Stromausfällen als Folge des eingeschränkt laufenden Atomkraftparks hat Frankreich in Unruhe versetzt. Auch die Wirtschaft ist in Sorge vor etwaigen Produktionsausfällen und vorübergehenden Geschäftsschließungen. „Der Winter wird kompliziert“, sagte Geoffroy Roux de Bézieux, Chef des Unternehmerverbands Medef.

Stromausfälle gelten trotz Warnungen als unwahrscheinlich

Allerdings: Ein unkontrollierter Blackout gilt als ausgeschlossen. Auch das Szenario von geplanten lokalen Stromabschaltungen ist unwahrscheinlich. Das Farbsignal Ecowatt, mit dem die Franzosen bei einer Überlastung des Netzes vorgewarnt werden, bleibt vorerst auf Grün – trotz der Kältewelle, die in diesen Tagen wie viele Länder in Europa auch Frankreich erfasst.

Am Abend vor dem Besuch von Le Maire waren drei weitere Atommeiler wieder ans Netz gekommen. Insgesamt laufen nun immerhin 40 von 56 Reaktoren. Auf dem Höhepunkt der Nuklearflaute stand mehr als die Hälfte der Reaktoren still.

„Stromausfälle sind kein unabwendbares Schicksal“, sagte Jean-Pierre Clamadieu, Aufsichtsratschef des Energieversorgers Engie. „Wenn überhaupt, dann wird ein kleiner Teil des Staatsgebiets für einige Stunden betroffen sein.“

>> Lesen Sie hier: Frankreich fährt seine Atomkraftwerke wieder hoch – und will den Bau neuer Reaktoren beschleunigen

Die französische Regierung hat den Herbst über immer wieder zum Energiesparen aufgerufen und dabei auch das Schreckensbild von Blackouts an die Wand gemalt. Mittlerweile versucht sie, die zunehmende Verunsicherung der Franzosen wieder einzufangen.

„Keine Panik“, sagte Präsident Emmanuel Macron kürzlich in einem Interview. Seine Regierung bereite sich lediglich auf extreme Szenarien vor, die man nicht ausschließen können. „Das ist ihre Pflicht.“

Insider in Paris erzählen, dass Macrons Regierung von der Pandemie geprägt sei. Damals musste sie sich vorwerfen lassen, sich nicht auf ein Worst-Case-Szenario vorbereitet zu haben. Daher gebe man sich in der Energiekrise nun besonders Mühe bei der Prävention.

Materialermüdung an den Rohrleitungen

Ein Teil der Atomkraftwerke fiel wegen Korrosionsproblemen an Rohren des Kühlkreislaufe aus. Dazu kamen während der Pandemie verschobene Wartungsarbeiten, die sich dann zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt in der Energiekrise ballten. In Normalzeiten deckt Frankreich rund 70 Prozent des Strombedarfs mit der Atomkraft, und viele Franzosen heizen mit Elektrizität.

In den kommenden Wochen sollen weitere Meiler wieder hochgefahren werden. Dazu gehören dann voraussichtlich auch die beiden Druckwasserreaktoren in Penly. Penly 1 ist bereits seit mehr als einem Jahr vom Netz, nachdem dort eine Materialermüdung am Rohrleitungssystem festgestellt worden war. Die Reparaturen an diesem Reaktor sind inzwischen abgeschlossen, nun folgt Penly 2.

Turbinenhalle vom Atomkraftwerk Penly

Ein Mitarbeiter des französischen Energieversorgers EDF auf Rundgang durch das Atomkraftwerk in der Normandie, Das ist aufgrund von Materialermüdung an Rohrleitungen abgeschaltet worden.


(Foto: Bloomberg)

Für den Besuch von Le Maire hat EDF in einer Halle des Kraftwerks eine Demostation aufgebaut, an der sich der Minister die aufwendige Technik zeigen lässt, mit der Rohre auf kleinste Risse untersucht und dann neu abgedichtet werden. Das Schweißgerät wird auf die Röhren gesetzt und per Fernbedienung die Oberflächen entlang gesteuert.

Die Renovierung des Kraftwerksparks sei eine „industrielle Herausforderung“, sagte der neue EDF-Chef Luc Rémont, der den Minister nach Penly begleitete. Der Druck auf den Konzern, den die französische Regierung in diesen Wochen wieder voll verstaatlicht, ist groß. Rémont sagte, die Arbeiter von EDF seien „total mobilisiert“, um die „technischen Probleme“ zu lösen.

Das Unternehmen hat sich außerdem externe Hilfe geholt, darunter Schweißer aus den USA und aus Kanada. „Wir arbeiten Tag und Nacht“, sagte Rémont. Die Franzosen könnten daher „mit Zuversicht“ auf den Winter blicken.

>> Lesen Sie hier: EDF erwartet wegen Ausfall von Atomreaktoren 32 Milliarden Euro Verlust

Die Wirtschaft macht sich dennoch viele Gedanken, welche Folgen mögliche Blackouts für ihr Geschäft haben könnten. Der Notfallplan der Regierung sieht zwar auch im schlimmsten Fall nur auf kleine Gebiete begrenzte Unterbrechungen der Versorgung für jeweils etwa zwei Stunden vor. Es soll außerdem eine Vorwarnung von bestenfalls drei Tagen geben.

Doch für Unternehmer stellen sich viele Fragen: Wie lassen sich Kühlketten aufrechterhalten? Wie die Geschäfte beim Ausfall von Telefonen, Handys und Internet führen? Werden sich Lieferungen verspäten? Müssen Fertigungslinien in Fabriken abgestellt werden?

Viele Firmen kaufen Notstromaggregate

Einem Bericht der Zeitung „Les Échos“ zufolge decken sich viele Firmen und Einzelhändler derzeit mit Notstromaggregaten ein. „Es gibt zwei Arten von Unternehmen: Die Verteidigungsindustrie, die Gesundheitsbranche oder Datenzentren, die als kritische Infrastruktur gelten, sind schon wegen der rechtlichen Vorschriften seit langer Zeit ausgerüstet“, sagte Lenaïk Andrieux, Präsident des Verbands Gigrel, der in Frankreich die Hersteller von Aggregaten und Generatoren vertritt. „Und dann gibt es die anderen, die kaum ausgestattet sind.“

Vor allem Kleinunternehmen aus Handwerk und Einzelhandel blicken mit Sorge auf die nächsten Monate. Neben den hohen Energiepreisen kommt jetzt die Angst vor Abschaltungen hinzu, sagte Jean-Mathieu Delacourt vom Branchenverband FTPE. Stromabschaltungen von zwei Stunden seien vielleicht noch verkraftbar, „aber bei Ausfällen von einem Tag oder mehr wird das Probleme geben“. Insbesondere für Ladenbesitzer wären Stromabschaltungen „katastrophal“.

Paris prophezeit Deutschlands Rückkehr zur Kernenergie

In den Wintermonaten hofft Frankreich darauf, auch dank Stromlieferungen aus Deutschland über die Runden zu kommen. Die Atomkraft steht im Nachbarland aber nicht zur Disposition. In Penly erklärt Le Maire: „Es gibt keine große Industrienation ohne Atomenergie.“ Und prophezeit: Irgendwann würden alle Industrieländer zur Kernkraftnutzung zurückkehren – also auch Deutschland.

Macron hat angekündigt, sechs neue Reaktoren an mehreren Standorten in Frankreich zu bauen. Den Anfang wird aller Voraussicht nach Penly machen.

Beim Blick von der Steilküste in der Normandie auf das Werksgelände kann Le Maire auch eine brachliegende Fläche neben den beiden grauen Reaktorblöcken sehen. Hier sollen ab 2024 die Vorarbeiten für zwei weitere Reaktoren beginnen.

Die Hauptphase soll dann 2027 starten, der Zeitplan sieht die Fertigstellung bis 2035 vor. „2034 wäre natürlich noch besser“, sagt der Wirtschaftsminister.

Mehr: Gas gegen Strom – Deutschland erhält ab sofort Gas aus Frankreich



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Politik

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