Berlin Die Bürger müssen sich auf höhere kommunale Gebühren und Einschnitte bei städtischen Leistungen einstellen. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, begründete dies mit der schlechten Finanzsituation der Kommunen in diesem und im nächsten Jahr.
„Die Lage ist dramatisch“, sagte Landsberg dem Handelsblatt. Es sei zu befürchten, dass die Steuereinnahmen einbrechen und der Investitionsrückstand, der jetzt schon knapp 160 Milliarden Euro beträgt, weiter zunimmt. „Gleichzeitig wird die Erwartung der Bürgerinnen und Bürger an die kommunale Daseinsvorsorge, etwa für mehr Kitaplätze, für bessere Schulen oder für einen günstigeren öffentlichen Personennahverkehr, den Druck auf die Kommunen erhöhen.“
Landsberg macht den Menschen wenig Hoffnung, dass die Städte und Gemeinden alles leisten können, was wünschenswert sei. „Das kann für den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule gelten, aber auch für viele andere Bereiche, etwa bei notwendigen Investitionen in Straßen, Verkehr, Infrastruktur und Bildungseinrichtungen“, erläuterte er. „Zeitenwende in der Politik bedeutet auch eine Zeitenwende vor Ort.“
Daher sind auch Gebührenerhöhungen nicht ausgeschlossen. Vereinzelt wurde bereits entschieden, die Gebühren für städtische Dienstleistungen wie die Abfallentsorgung oder die Stadtreinigung anzuheben. Auch Wasser- und Abwassergebühren steigen vielerorts. In manchen Gemeinden werden sich ebenfalls die Elternbeiträge für Kindertagestätten ab 2023 deutlich verteuern.
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Landsberg betonte jedoch, ein Anstieg der Abgaben sei nur dann zulässig, wenn auch die Ausgaben der Kommunen steigen. „Deswegen werden sich etwaige Gebührenerhöhungen an den tatsächlichen Kosten und damit auch an der Inflation orientieren.“
Kommunen leiden unter hohen Energie- und Personalkosten
Die Inflation in Deutschland hält sich trotz eines leichten Rückgangs im November hartnäckig auf hohem Niveau. Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte, steigen die Verbraucherpreise im November gegenüber dem Vorjahresmonat um 10,0 Prozent.
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Im Oktober hatte die Jahresinflationsrate mit 10,4 Prozent den höchsten Stand seit etwa 70 Jahren erreicht. Volkswirte sehen in der Abschwächung im November noch keinen Grund zur Entwarnung. Auch Bundesbank-Präsident Joachim Nagel warnte zuletzt, dass die die Inflationsrate in Deutschland auch im kommenden Jahr hoch bleiben werde. „Ich halte es für wahrscheinlich, dass im Jahresdurchschnitt eine Sieben vor dem Komma stehen wird“, sagte er.
Manche Kommunen könnten sich auch gezwungen sehen, die Grund- und die Gewerbesteuer zu erhöhen. Landsberg rechnet allenfalls mit moderaten Anpassungen. „Die Kommunen wissen um die schwierige Situation der Wirtschaft, und es ist ihnen auch bewusst, dass die Bürgerinnen und Bürger unter der Inflation leiden“, sagte er. Daher sei „mit einer dramatischen Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuer nicht zu rechnen“.
Zu schaffen machen den Kommunen laut Landsberg die stark steigenden Energiekosten. „In normalen Jahren hatten wir Energiekosten von fünf Milliarden Euro pro Jahr.“ Das werde sich in jedem Fall „deutlich“ erhöhen und mache die Haushaltsplanungen in Städten und Gemeinden derzeit sehr schwierig, erläuterte der Städtebundchef.
Landsberg rechnet zudem mit einem deutlichen Anstieg der Personalkosten, weil die Tarifforderungen aufgrund der Inflation entsprechend zunähmen. „Zusätzlich werden die Finanzzuweisungen der Länder an die Kommunen eher sinken als steigen, weil auch die Länder sparen müssen.“ Viele Kommunen seien daher „hochverschuldet“.
Saarland mit höchster Pro-Kopf-Verschuldung der Kommunen
Das Ausmaß der Verschuldung zeigt eine Modellrechnung der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, die kürzlich veröffentlicht wurde. Die Kommunen sind demnach zum Jahresende 2021 mit 299,7 Milliarden Euro verschuldet gewesen. Das entsprach einer Verschuldung von 3895 Euro pro Kopf. Die Stadtstaaten sind nicht enthalten.
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Einbezogen in die Modellrechnung wurden Gemeinden und Gemeindeverbände einschließlich ihrer Beteiligungen. Neben den Schulden der Kernhaushalte wurden auch die Schulden der Extrahaushalte und sonstigen öffentlichen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen einberechnet, etwa Schulverbünde oder Verkehrsunternehmen.
Der Modellrechnung zufolge wiesen die Gemeinden und Gemeindeverbände im Saarland zum Jahresende 2021 mit 6124 Euro die höchste Pro-Kopf-Verschuldung auf, gefolgt von den Kommunen in Hessen (5313 Euro) und Rheinland-Pfalz (4688 Euro).
Die geringsten Schulden je Einwohner wurden für die Kommunen in Brandenburg (2535 Euro), Sachsen (2583 Euro) und Bayern (2744 Euro) ermittelt.
Landsberg gab zu bedenken, dass die Kommunen ihr Verschuldungsproblem nicht aus eigener Kraft lösen könnten. Bund und Länder seien gefordert, hier eine Lösung zu finden. „Das ist umso dringender, als die stark steigenden Zinsen die hochverschuldeten Kommunen enorm belasten werden, worunter insbesondere die dringend notwendigen Investitionen leiden werden.“
DIW-Chef Fratzscher fordert Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, teilt die Einschätzung Landsbergs. „Die Kommunen benötigen deutlich höhere direkte Hilfen von Bund und Ländern, um zusätzliche Ausgaben in dieser Krise stemmen zu können, vor allem für Soziales und für die Infrastruktur“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt. Außerdem müsse dringend eine „komplette Entschuldung aller Kommunen“ von Bund und Ländern umgesetzt werden.
Fratzscher hält überdies eine Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs für geboten. Notwendig sei eine viel stärkere Umverteilung von finanzstarken Bundesländern und Kommunen hin zu finanzschwachen Kommunen, um gleichwertige Lebensbedingungen in Deutschland zu gewährleisten, aber auch um die finanzstarken Bundesländer Süddeutschlands stärker an der Energiewende und dem Ausbau erneuerbarer Energien in den finanzschwächeren Kommunen zu beteiligen.
„Denn es sind vor allem die finanzstarken Kommunen, die häufig durch ihren hohen Anteil an energieintensiven Industrien besonders stark vom Ausbau erneuerbarer Energien profitieren“, sagte der DIW-Chef. „Und es sind häufig die finanzschwächeren Kommunen, die den stärksten Ausbau erneuerbarer Energien und die damit verbundenen Belastungen schultern, ohne dafür adäquat kompensiert zu werden.“
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