Berlin Der regierungsinterne Streit über die Nutzung der sogenannten Vorratsdatenspeicherung zur Verbrechensbekämpfung droht zu eskalieren. Anlass ist die Ankündigung von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), notfalls den Koalitionsausschuss einzuschalten, um eine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeizuführen.
Buschmann favorisiert wie die FDP das „Quick-Freeze-Verfahren“. Dabei muss ein Richter im Verdachtsfall zunächst anordnen, dass bestimmte Daten gesichert werden dürfen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hält das Verfahren für unzureichend, um Verbrechen aufzuklären, und plädiert deshalb für eine verpflichtende Speicherung von IP-Adressen.
„Ich will keine alten Debatten führen, sondern pragmatisch handeln“, sagte Faeser dem Handelsblatt. „Der Koalitionsvertrag gibt uns den Raum, das, was nach dem EuGH-Urteil zulässig und dringend notwendig ist, auch umzusetzen.“
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im September der Speicherung von Telekommunikationsdaten zur Aufklärung von Straftaten in Deutschland enge Grenzen gesetzt, die anlasslose Speicherung nur von IP-Adressen für Ermittlungen aber für vertretbar erklärt.
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Faeser will den Spielraum nutzen, Buschmann argumentiert dagegen, im Koalitionsvertrag stehe bereits, dass Daten anlassbezogen und mit Richtervorbehalt gespeichert werden können, was sein „Quick-Freeze-Modell“ vorsehe.
Buschmann: „Nicht 83 Millionen Menschen in Deutschland anlasslos unter Generalverdacht stellen“
„Wenn wir uns auf der Ministerebene dennoch nicht einigen können, dann wird sich wohl der Koalitionsausschuss mit dem Thema befassen müssen“, sagte der FDP-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Ich sehe nicht, dass die Formulierungen des Koalitionsvertrages da viel Spielraum lassen.“
Nach den Plänen Buschmanns sollen Telekommunikationsanbieter verpflichtet werden, bei einem Anfangsverdacht Daten zu einzelnen Nutzern für einen bestimmten Zeitraum zu speichern. Immerhin einen Vorteil hätte „Quick Freeze“ für die Ermittler: Wenn ein Richter das „Einfrieren“ der Daten zu einem bestimmten Verdachtsfall angeordnet hat, stünden dazu neben der IP-Adresse auch Verbindungs- und Standortdaten zur Verfügung.
Innenministerin Faeser sieht das vorgeschlagene „Quick-Freeze-Verfahren“ daher nur als Ergänzung in bestimmten Fällen. „Es ist aber kein Ersatz für die Speicherung von IP-Adressen“, sagte die SPD-Politikerin. Denn wenn keine Daten mehr vorhanden seien, fehle oft der entscheidende Ermittlungsansatz.
„Daher werde ich mich weiter sehr stark dafür einsetzen, unseren Ermittlungsbehörden die notwendigen Instrumente an die Hand zu geben, um gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder und andere schwere Straftaten vorgehen zu können.“
Vor allem im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch seien gespeicherte IP-Adressen notwendig, um Täter und ihre Netzwerke ermitteln und Kinder schützen zu können, betonte Faeser. „Es ist erschütternd, dass 2021 im Jahresdurchschnitt jeden Tag 49 Kinder in Deutschland Opfer sexualisierter Gewalt wurden“, sagte Faeser. „Kein Täter darf sich sicher fühlen vor Strafverfolgung.“
BKA steht hinter Innenministerin – Buschmann sieht mögliche Grundrechtsverletzung
Das Bundeskriminalamt (BKA) sieht es wie Faeser und lehnt eine Abkehr von der Vorratsdatenspeicherung ab. „Kriminalität wird immer digitaler“, sagte der Präsident der Behörde, Holger Münch, kürzlich bei der BKA-Herbsttagung in Wiesbaden.
Die Polizei müsse im digitalen Raum die gleichen Möglichkeiten und Befugnisse haben wie in der analogen Welt. Dabei sei die Speicherung der IP-Adressen ein wichtiger Baustein, um Täter zu identifizieren.
Buschmann stößt sich vor allem daran, dass mit der Vorratsdatenspeicherung „Millionen Bürger, die sich nie etwas zuschulden kommen lassen, unter Generalverdacht gestellt werden und einen Eingriff in ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht erdulden sollen“. Diese Regelung einer „anlasslosen Massenspeicherung“ sei aber grundrechtswidrig und werde deshalb nicht angewandt.
„Wir wollen eben nicht 83 Millionen Menschen in Deutschland anlasslos unter Generalverdacht stellen“, betonte der Minister.
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