Berlin Für Gesundheitsminister Karl Lauterbach liegt der Grund für die aktuellen Engpässe von Arzneimitteln auf der Hand. „Wir haben es mit der Ökonomisierung übertrieben“, sagte er am Dienstag. Damit meint der SPD-Politiker die teils niedrigen Preise für patentfreie Medikamente, sogenannte Generika, von denen einige derzeit schwer zu haben sind.
Ob Fiebersäfte für Kinder, Hustenmittel, Blutdrucksenker, Brustkrebsmedikamente oder Magensäureblocker: Wer in der Apotheke eine bestimmte Arznei haben will, stößt mitunter auf Schwierigkeiten. „Besonders bei Kinderarzneimitteln spüren wir die Konsequenzen gerade besonders hart“, sagte Lauterbach. „Dass man in Deutschland nur schwer einen Fiebersaft für sein Kind bekommt, der im Ausland noch erhältlich ist, ist inakzeptabel.“
Lauterbach will die Knappheit deswegen stärker bekämpfen – vor allem mit finanziellen Anreizen. So steht es in dem am Dienstag vorgestellten Eckpunktepapier für ein Gesetz zur „Vermeidung von Lieferengpässen“.
Die Preise für Generika sollen demnach steigen und dadurch indirekt auch das Angebot, weil der Markt attraktiver wird, so die Rechnung des Ministers. Zudem soll der Fokus künftig stärker auf europäischen Herstellern liegen – und nicht auf asiatischen, wie dies derzeit der Fall ist. Die Firmen in Asien produzieren günstiger, aber zuletzt auch weniger verlässlich. Ob die Rechnung aber aufgeht und so vor allem die aktuelle Notlage gelöst werden kann, daran gibt es große Zweifel unter Experten und in der Branche.
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Zum einen dürfte die Industrie die Produktion weder ohne Weiteres noch rasch ausbauen. Der Geschäftsführer des Industrieverbands Pro Generika, Bork Bretthauer, begrüßt im Gespräch mit dem Handelsblatt zwar, dass Lauterbach „jetzt gegensteuern und in einzelnen Bereichen den extremen Kostendruck lockern will“. Damit gehe der Minister an die Wurzel des Problems. Allerdings könnten die strukturellen Probleme durch den Spardruck der vergangenen Jahre „nicht über Nacht beseitigt“ werden.
Bis aus den Eckpunkten ein Gesetz geworden ist und es verabschiedet wird, dürften Monate vergehen. Und „eine Steigerung der Produktion beziehungsweise ein Ausbau von Produktionskapazitäten nimmt Monate und zum Teil sogar Jahre in Anspruch“, sagt Bretthauer.
Pläne gegen Arzneimittel-Engpässe: „Ausdruck von Misstrauen gegenüber der Globalisierung“
Hersteller klagen, dass das Geschäft in den vergangenen Jahren so unwirtschaftlich geworden sei, dass sich einige Produzenten vom Markt zurückgezogen hätten. Die Anbieter von Paracetamol-Fiebersäften erhalten laut Pro Generika beispielsweise 1,36 Euro je Flasche. Der Wirkstoff sei aber binnen eines Jahres um 70 Prozent teurer geworden. Inzwischen sei nur noch ein Hauptanbieter übrig – Teva mit seiner Arzneimarke Ratiopharm aus Ulm.
Lauterbachs Eckpunktepapier sieht nun vor, dass gesetzliche Krankenkassen (GKV) bei Engpässen künftig bis zum 1,5-Fachen des bisherigen Festbetrags für Arzneimittel übernehmen können. Damit sollen gesetzlich Versicherte mehr Alternativen haben. Und es soll attraktiver werden, in Deutschland zu produzieren, wo die Kosten höher sind als beispielsweise in Asien.
Darüber hinaus sollen bei Ausschreibungen von Rabattverträgen der GKV künftig Krebsarzneimitteln und Antibiotika mit Wirkstoffproduktion in Europa bevorzugt werden. Perspektivisch soll das auch für andere Medikamente gelten.
Rund 68 Prozent der Produktionsorte von Wirkstoffen, die für die Weiterverarbeitung in Europa bestimmt sind, liegen derzeit im kostengünstigeren Asien, heißt es in der Studie des Pharmaverbands VFA. Kommt es dort zu Fertigungsproblemen, Verunreinigungen oder zum Produktionsstillstand, kann das auch Deutschland treffen.
In der Industrie stoßen die Signale, sich stärker auf Europa konzentrieren zu wollen, deswegen auf Wohlwollen. „Die Rabattverträge müssen so angepasst werden, dass das Lieferrisiko auf mehrere Schultern verteilt wird“, sagte Hans-Georg Feldmeier, Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie, am Dienstag. „Dabei bleibt jedoch unklar, welcher Anteil der Wirkstoffproduktion in der EU überhaupt gemeint ist.“
Die offenbar angestrebte Abkehr von asiatischen Standorten sind für den Präsidenten des Handelsblatt Research Institute (HRI), Bert Rürup, gar ein Ausdruck eines gewissen „Misstrauens gegenüber einer auf Kostensenkung fokussierten Globalisierung“. Die Maßnahmen könnten als „Indiz gesehen werden, dass man es mit der Auslagerung der Produktion etwas übertrieben hat“.
Die Frage aber bleibt, ob die höheren Preise daran etwas ändern – also die Hersteller tatsächlich ihre Produktion zurückverlagern. „Wenn die Preise bestimmter Präparate steigen, wird die Produktion in Deutschland langfristig attraktiver und damit ein Stück weit verlässlicher“, sagt Rürup. Kurzfristig würden die angedachten Maßnahmen allerdings „an der aktuellen Notlage nur wenig ändern“. Die Eckpunkte seien deswegen ein „Schnellschuss“.
Dabei finden sich im Detail auch kurzfristig angelegte Maßnahmen in dem Eckpunktepapier. So soll das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zusätzliche Informationsrechte gegenüber der Industrie und dem Großhandel erhalten, um den Markt kontinuierlich zu beobachten und rechtzeitig vor Lieferengpässen warnen zu können.
Kassen kritisieren „Weihnachtsgeschenk für Pharmaunternehmen“
Lauterbachs Plan sieht zudem vor, dass Apotheker einen Zuschlag erhalten sollen, wenn sie eine Alternative zu einem gerade nicht verfügbaren Medikament abgeben. Voraussetzung soll sein, dass das Präparat als versorgungskritisch eingestuft wurde.
50 Cent sind dafür vorgesehen, was die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Regina Overwiening, als eine „Frechheit“ bezeichnete. „Damit wird die Bürokratie noch erhöht, der teils stundenlange Arbeitsaufwand nicht einmal ansatzweise bezuschusst – und als Zeichen der Wertschätzung kann man dieses Almosen wohl auch kaum bezeichnen“, sagte sie.
Völlig offen ist auch die Finanzierung der Pläne. Die Ressortabstimmung mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist noch nicht abgeschlossen. Und die gesetzlichen Krankenkassen sehen sich durch das Vorhaben bereits vor gewaltigen Mehrkosten, die sie angesichts ihrer desaströsen Finanzlage vor weitere Schwierigkeiten bringen könnten.
>> Lesen Sie hier: Milliardenteurer Impfstoff-Überfluss – Bund will vereinbarte Lieferungen abbestellen
Die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, sprach von einem „beeindruckenden Weihnachtsgeschenk für die Pharmaunternehmen“. Ob dadurch aber künftig Medikamente verlässlicher in Richtung Europa geliefert oder sogar mehr produziert werde, stehe in den Sternen.
Simon Reif, Gesundheitsökonom am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, sieht gar die Gefahr eines „größeren Flickenteppichs“ in der Bezahlung von Arzneimitteln. Erratische Preiserhöhungen, die dann dauerhaft bestehen blieben, seien eine systematische Lösung hin zu fairen und bezahlbaren Arzneimitteln, sagte er dem Handelsblatt.
„Gegen die akute Knappheit helfen die Maßnahmen höchstens auf Kosten der Verfügbarkeit in anderen Ländern.“ Mittelfristig könnten sich die EU-Staaten für die gemeinsame Beschaffung von Arzneimitteln koordinieren, um durch größere Marktmacht niedrigere Preise zu erreichen.
Die Kritik von Gesundheitsminister Lauterbach an der Ökonomie aber, die wieder durchscheine, kann Reif nicht nachvollziehen.
Mehr: „Brauchen so was wie Flohmärkte für Medikamente“ – Maßnahmen gegen Arzneimittel-Engpass gefordert
<< Den vollständigen Artikel: Gesundheit: Was Lauterbachs Pläne tatsächlich gegen den Arzneimittel-Mangel ausrichten können >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.