Während die Ampelkoalition zunächst auf Hilfen für die Ukrainer im eigenen Land setzt, stellen sich die Kommunen auf steigende Flüchtlingszahlen ein und fordern Unterstützung vom Bund.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte der Regierung in Kiew umfassende Winterhilfen zu. „Jetzt geht es auch darum, die Ukraine vor dem nahenden Winter mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen“, sagte Faeser dem Handelsblatt. „Dazu gehört es auch, direkt vor Ort zum Beispiel beim Bau winterfester Unterkünfte zu helfen.“
Faeser reagiert damit auf die jüngsten Warnungen des ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal. Wenn es in der Ukraine keinen Strom, keine Heizung, kein Wasser mehr gebe, könne das einen „Migrations-Tsunami“ auslösen, sagte Schmyhal der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Er warf Russland vor, die Ukraine in eine humanitäre Katastrophe stürzen zu wollen. Deshalb brauche sein Land mobile Ausrüstung zur Erzeugung von Strom und Wärme sowie Anlagen zur Wasseraufbereitung.
Top-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Im Auftrag der Bundesregierung unterstützt das Technische Hilfswerk (THW) die Ukraine. Mit Blick auf den bevorstehenden Winter sind die Möglichkeiten jedoch begrenzt. Wie das Innenministerium erklärte, ist „die Marktverfügbarkeit spezieller Hilfsgüter wie etwa von Ölheizgeräten und Stromerzeugern derzeit stark eingeschränkt, sodass eine zeitnahe Unterstützung der Ukraine nicht durchgängig gewährleistet werden kann“.
Gleichwohl wurden bereits entsprechende Güter für die Überwinterung im Wert von rund 1,5 Millionen Euro geliefert. Geplant sind Ministeriumsangaben zufolge weitere Hilfen, darunter Sanitär- und Wohncontainer, Lagerhallen und -zelte und Feldküchen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte bereits am Montag bei einem deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum in Berlin eine „akute Winterhilfe“ als oberste Priorität bezeichnet. Der Ukraine müsse kurzfristig geholfen werden, um den Winter zu überstehen.
Kommunen bereiten bereits Turnhallen für Flüchtlinge vor
Dringenden Handlungsbedarf sehen auch die Kommunen in Deutschland, denn viele Städte und Gemeinden können kaum noch Flüchtlinge aufnehmen. Die Lage sei „teilweise sehr angespannt“ – nicht nur wegen der hohen Zahl der Kriegsvertriebenen aus der Ukraine, sondern auch im Hinblick auf Flüchtlinge aus anderen Ländern, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, dem Handelsblatt.
Mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind bislang in Deutschland angekommen, hinzu kommen steigende Zahlen von Migranten, die über die Balkanroute kommen. Von Januar bis Ende September hätten 135.000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl gestellt, heißt es aus dem Innenministerium – 35 Prozent mehr als im Vorjahr.
Vor allem bei der Verteilung und bei der Unterbringung gibt es laut Kommunen und Landkreisen Probleme. „Vielerorts müssen bereits Hotelzimmer angemietet und Turnhallen oder andere Einrichtungen vorbereitet werden“, erläuterte Städtebundchef Landsberg.
>> Lesen Sie auch: Ukraine-Wiederaufbau kostet 750 Milliarden Dollar
Er fürchtet zudem, dass die Flüchtlingszahlen angesichts der zerstörten Infrastruktur durch den russischen Angriffskrieg im kommenden Winter weiter steigen könnten. „Wir brauchen dringend einen Kraftakt von Bund, Ländern und Gemeinden, um der Situation Rechnung zu tragen“, mahnte Landsberg.
Die Länder sollten die Plätze in ihren Erstaufnahmeeinrichtungen „schnell, deutlich und nachhaltig erhöhen“, mahnte Landsberg. Auch der Bund sei mit seinen Liegenschaften gefordert. „Gleichzeitig brauchen wir endlich eine verbindliche Zusage von Bund und Ländern, dass die entstehenden Kosten für 2023, aber auch die zusätzlich entstandenen Kosten für 2022, den Kommunen erstattet werden“, sagte der Städtebundchef.
Innenministerin Faeser signalisierte weitere Unterstützung des Bundes. „Gerade weil die Unterbringungssituation so angespannt ist, bin ich mit den Ländern und Kommunen in sehr engem Kontakt“, sagte sie.
FDP fordert europäischen Flüchtlingsgipfel
Die FDP hält eine verbindliche Regelung zur Verteilung der Kriegsflüchtlinge für unabdingbar. „Wir müssen davon ausgehen, dass sich die bereits äußerst angespannte Flüchtlingslage in den kalten Monaten noch verschärfen wird“, sagte Fraktionsgeschäftsführer Stephan Thomae dem Handelsblatt. Es sei wichtig, „schnell mit klaren Regeln auf nationaler, aber auch europäischer Ebene für Schutz und Versorgung der ukrainischen Flüchtlinge zu sorgen“.
Thomae forderte einen europäischen Flüchtlingsgipfel aller 27 Mitgliedstaaten. „Ziel muss es sein, endlich ein gemeinsames europäisches Asylsystem mit rechtlich verbindlichem Verteilmechanismus zu erreichen“, sagte er. „Denn es wird deutlich, dass ein solidarischer Verteilmechanismus, der auf Freiwilligkeit beruht, auf Dauer keine Lösung sein kann.“
Der Grünen-Flüchtlingsexperte Julian Pahlke sprach sich in der aktuellen Situation dafür aus, die Kommunen „bestmöglich“ zu unterstützen. „Deshalb ist es richtig, dass auf der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang November über die Kosten beraten wird.“
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir ergänzte: „Genauso wie in anderen europäischen Ländern muss unsere Reaktion bleiben: Kapazitäten ausbauen und nicht vom Recht auf Asyl und unseren Werten der Menschlichkeit abrücken.“
Mehr: So viele Flüchtlinge wie 2015 – Kommunen fordern europaweite Verteilung
<< Den vollständigen Artikel: Ukraine-Krieg: Kein Strom, keine Heizung durch russische Angriffe: Kommen im Winter viele ukrainische Flüchtlinge? >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.