Berlin Die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD), geht davon aus, dass die jetzigen Schüler die Coronalücken während ihrer Schulzeit nicht mehr völlig schließen werden. „Wir müssen realistisch sein: Aufholen wird man das in Gänze nicht können“, sagte die Sozialdemokratin dem Handelsblatt in ihrem ersten Zeitungsinterview.
Die Länder hätten aber zusätzliche Lernhilfen auf den Weg gebracht, und sie sei „zuversichtlich, dass wir mit dem bundesweiten Startchancen-Programm weitere Instrumente in der Hand haben werden, um gerade die Kinder und Jugendlichen, die es in der Pandemie besonders schwer hatten, zusätzlich zu unterstützen“. Als Präsidentin möchte sie „Schülerinnen und Schüler sowie das gesamte Schulpersonal unterstützen, um insbesondere den psychosozialen Folgen der Pandemie zu begegnen“.
Busse übernimmt Mitte Januar das Amt der Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) und löst damit turnusgemäß ihre schleswig-holsteinische Kollegin Karin Prien (CDU) ab. In ihrem Jahr an der Spitze stehen enorme Herausforderungen an: Die Schulen müssen weiter Hunderttausende ukrainischer Schüler integrieren, die Pandemie ist noch nicht zu Ende und die Schulen leiden unter einem Rekord-Lehrermangel.
Zudem hatte jüngst eine Studie im Auftrag der KMK gezeigt, dass die Leistungen der Grundschüler, die ohnehin seit einem Jahrzehnt im Sinkflug sind, durch die Pandemie weiter eingebrochen sind. Durch die besonders langen Schließzeiten in Deutschland hängen die Viertklässler im Fach Deutsch rund ein halbes Jahr zurück, in Mathe ist es ein Vierteljahr.
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Nur noch 58 Prozent erreichen den angestrebten Regelstandard im Lesen. Experten weisen immer wieder darauf hin, dass die Schwächen auch in den weiterführenden Schulen kaum ausgemerzt sind und letztlich mit ins Berufsleben geschleppt werden.
Die 2021 eingerichtete Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der KMK drängt daher, die Schulen dürften nicht nur Ferien- und Stützkurse anbieten, um Versäumtes nachzuholen. Sie fordern eine systematische individuelle Förderung aller Grundschulkinder – und zwar auf der Basis von Daten, die durch regelmäßige digitale Tests in den Klassen erhoben werden sollen. Vorbild dafür sind etwa die Niederlande, wo dies schon seit 2007 mit guten Ergebnissen praktiziert werde. Das Bauchgefühl der Lehrerinnen und Lehrer reiche oft nicht aus.
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Die neue KMK-Präsidentin begrüßt den Vorschlag der SWK: „Die Schulen müssen konsequent mit Lernstandserhebungen arbeiten.“ Berlins Schulen agierten bereits heute „in zunehmenden Maße datengestützt“.
Ein Problem könnte die Finanzierung der Förderkurse werden: Das Programm „Aufholen nach Corona“, für das der Bund insgesamt zwei Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hatte, war nur für die Jahre 2021 und 2022 gedacht.
Das von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) angekündigte neue „Startchancen-Programm“ hingegen soll erst 2024 starten. Es ist für 4000 Schulen mit einem hohen Anteil an sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern gedacht, also etwa jede zehnte.
Die scheidende Kultusministerpräsidentin Prien hatte daher gefordert, der Bund müsse das bald auslaufende Aufholprogramm mit weiteren 500 Millionen Euro bis Ende des Schuljahres 2023/2024 verlängern. Stark-Watzinger hat dafür bisher aber keine Bereitschaft erkennen lassen.
Startchancen-Programm des Bundes ist für die schwächsten Schüler gedacht
Einig sind sich Bund und Länder, dass das Startchancen-Programm „vor allem denen zugutekommen soll, die diese Förderung am nötigsten haben“, sagt Busse. Sie gibt allerdings zu bedenken, „dass die Schulen möglichst nicht durch eine allzu bürokratische Mittelbeantragung zusätzlich belastet werden“ dürften. Hintergrund sind die laufenden Verhandlungen von Bund und Ländern über die konkreten sozialen Kriterien, die eine Schule beziehungsweise ihre Schüler erfüllen müssen, um die Extraförderung zu bekommen. Die Gespräche gestalten sich eher schwierig, heißt es hinter den Kulissen.
Der Vorsitzende der SWK, Olaf Köller, sieht den Grund für die stockenden Verhandlungen auch darin, dass die Schulminister das Geld aus dem Aufholprogramm weitgehend nach Gutdünken ausgegeben hätten und nicht für die Schülerinnen und Schüler, die es besonders nötig haben.
Darüber hinaus ist der Ausbau der Grundschulen zu Ganztagsschulen eine Herausforderung. Dafür haben die Länder nicht mehr viel Zeit, denn ab dem Schuljahr 2026/27 gilt hier ein Rechtsanspruch, der bereits einmal um ein Jahr verschoben wurde. Er wird zunächst nur für die Erstklässler eingeführt. Die höheren Klassen kommen schrittweise hinzu, sodass er ab dem Schuljahr 2029/30 auch für die Viertklässler gilt.
KMK-Präsidentin will Qualität der Ganztags-Grundschule stärken
Busse will daher die „qualitative Weiterentwicklung der Ganztagsschule in der Primarstufe“ zum Schwerpunkt ihrer Präsidentschaft machen. Die Ganztagsschule biete nicht nur eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und helfe damit, den Fachkräftebedarf in Deutschland abzusichern. „Ein gutes Ganztagsangebot, das Kindern Spaß macht, fördert vielmehr sowohl die sozialen wie auch die kognitiven Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler“, sagte sie.
Die SWK wies die Kultusminister darauf hin, dass die Grundschule nicht nur Basiskenntnisse in Deutsch und Mathe sicherstellen müsse. Daneben müsse „auch die Förderung der sozial-emotionalen Kompetenzen eine stärkere Aufmerksamkeit erfahren – daher passt das Gutachten der SWK auch gut zum Schwerpunktthema der Berliner KMK-Präsidentschaft“, versichert Berlinerin Busse.
Dass die Hauptstadt in den verschiedenen Schülertests regelmäßig auf einem der hintersten Plätze landet, sieht Busse für ihre KMK-Präsidentschaft nicht als Problem: Immerhin „stehen wir bei der Schuldigitalisierung oder der Förderung und Betreuung gar nicht so schlecht da“.
Natürlich seien die jüngsten Ergebnisse der Viertklässler-Tests auch in Berlin „desaströs“ gewesen. „Ich will das auch gar nicht auf die Pandemie schieben, unter deren Eindruck die Arbeiten geschrieben wurden. Berlin wäre so oder so nicht im oberen Drittel gelandet“, räumt die langjährige Schulleiterin ein. Berlin habe aber als Stadtstaat mit einer sehr heterogenen Schüler- und Elternschaft andere Voraussetzungen als ein Flächenland – „Berlin ist halt nicht Bad Kissingen“.
Das neueste Grundschulgutachten der KMK-Berater zeige zudem deutlich, dass die schulischen Herausforderungen, mit denen bisher insbesondere Stadtstaaten kämpften, „in zunehmendem Maße auch in den deutschen Flächenländern auftreten. Von daher passt es doch ganz gut, wenn Berlin hier seine bereits gesammelten Erfahrungen einbringen kann“, meint die Senatorin.
Unklar ist allerdings, ob Busse das ganze Jahr der Berliner KMK-Präsidentschaft absolvieren kann. Wegen der diversen Pannen bei der jüngsten Wahl muss die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Februar 2023 wiederholt werden. Wird Busse danach nicht erneut Schulsenatorin, endet auch ihre KMK-Präsidentschaft.
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