Washington Womöglich ist der Name Kevin McCarthy nicht jedem Leser oder jeder Leserin geläufig, aber das dürfte sich bald ändern. Der 57-jährige republikanische Abgeordnete aus Kalifornien schreibt in den USA Geschichte. Allerdings nicht eine Helden-Geschichte, sondern die eines Desasters.
Die Geschehnisse auf dem Capitol Hill zeigen der Welt, dass die größte Demokratie der Welt noch immer politisch instabil ist, auch wenn Donald Trump nicht mehr im Weißen Haus sitzt. Der Richtungskampf der Republikaner nimmt absurde Züge an. Er könnte das politische Washington tagelang lahmlegen – mit Folgen für die kommenden Jahre.
Anlass war die Konstituierung des neuen US-Kongresses am Dienstag. Die US-Republikaner haben seit Kurzem die Mehrheit im Repräsentantenhaus und McCarthy wollte sich zum mächtigen „Speaker of the House“ wählen lassen. Der Sprecher der Kongresskammer ist das dritthöchste Staatsamt in den USA, bislang hatte den Posten die Demokratin Nancy Pelosi inne.
Doch anstatt die Chance auf mehr Einfluss zu nutzen, präsentierten die Republikaner der Welt eine Kamikaze-Aktion. Mehr als ein Dutzend Gegner aus der eigenen Partei verweigerten McCarthy ihre Stimme, Abstimmung um Abstimmung ließen die Mitglieder der ultrarechten Vereinigung „Freedom Caucus“ McCarthy durchfallen. Etwas Vergleichbares gab es seit hundert Jahren nicht, die Arbeit der Abgeordneten liegt vorerst lahm.
Top-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Unabhängig davon, wie das Drama ausgeht: Die Republikaner haben ihre Chance auf einen Neustart jetzt schon verpatzt. Sie wirken zerstritten, ohne Kompass, wenig vertrauenswürdig. Dabei hatten die Zwischenwahlen viele Möglichkeiten für sie eröffnet. Teile der Partei haben erkannt, dass Donald Trump zur Last geworden ist und orientieren sich um. Großspender wenden sich vom Ex-Präsidenten ab, bald dürften die ersten Präsidentschaftsbewerber Trump direkt herausfordern.
Die schwindende Macht der Trump-Kopien
Doch die Ultra-Hardliner im Kongress statuieren lieber an McCarthy ein Exempel, anstatt sich auf ihren wahren politischen Gegner zu konzentrieren: Joe Biden im Weißen Haus. Die eisernen Trumpisten wollen mehr Nationalismus und mehr Protest, keinen Pragmatiker wie McCarthy. Zu gewinnen haben die Abweichler nichts, außer mediale Aufmerksamkeit und den Jubel einer radikalisierten Basis, die nach Krawall dürstet.
Mehrheitsfähig sind die Republikaner mit so einem chaotischen Gesamtbild sicher nicht. Stets prangern sie an, dass Washington einem Sumpf ähnele, der Geld verbrenne und wenig für die Menschen erreiche. Doch derzeit sind es vor allem die Republikaner, die Zeit verschwenden und ein Schauspiel aufführen, das Politikverdrossenheit schürt.
Schuld ist die gesamte Partei, die sich über Jahre an einen Populisten wie Trump kettete und Kopien von ihm heranzüchtete. Jetzt hängt ihnen der Ex-Präsident wie ein Klotz am Bein und die Trump-Kopien spielen ihre Macht aus, bevor sie noch mehr schwindet.
Wer am Dienstag das Geschehen im Kongress verfolgte, erlebte eine verkehrte Welt. Den Republikanern war nicht nach Feiern zumute, obwohl sie auf dem Papier mehr Macht in der Kongresskammer besitzen. Die Demokraten hingegen waren sehr gut gelaunt. Sie mussten nur dabei zusehen, wie sich ihre Konkurrenz selbst demontierte.
Das Theater gibt einen Vorgeschmack auf den Präsidentschaftswahlkampf 2024. Im Weißen Haus kalkuliert man damit, dass die Spaltung der Republikaner den Demokraten nutzen wird. Raufen sich die Republikaner nicht zusammen, dürfte es genau so kommen.
Mehr: Die US-Inflation sinkt – doch droht nun die Rezession?
<< Den vollständigen Artikel: Kommentar: Kamikaze im US-Kongress – Republikaner verpatzen Chance auf einen Neustart >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.