Berlin Kurz vor dem Dreikönigstreffen der Liberalen haben FDP-Spitzenpolitiker ihre Partei zu mehr Abgrenzung und Durchsetzungskraft in der Ampelkoalition aufgerufen. „Damit die FDP 2023 zurück auf die Erfolgspur findet, muss sie ihr Profil schärfen“, schreiben der Vorsitzende der bayerischen FDP, Martin Hagen, und der hessische Spitzenkandidat der Liberalen, Stefan Naas, in einem gemeinsamen Positionspapier.
Das Papier liegt dem Handelsblatt vor. Darin fordern sie unter anderem eine weitere Verlängerung der Atomlaufzeiten und eine Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Beides lehnen SPD und Grüne ab.
Im Herbst stehen für die Liberalen entscheidende Landtagswahlen in Bayern und Hessen an. Im vergangenen Jahr hatte die FDP schwere Niederlagen eingefahren, war in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein aus der Regierung geflogen und in Niedersachsen an der Fünfprozenthürde gescheitert.
Hagen und Naas treten bei den Wahlen in Bayern beziehungsweise Hessen als Spitzenkandidaten an. Diese „Midterm-Elections“ zur Hälfte der Bundestags-Legislaturperiode seien „richtungsweisend für die weitere Entwicklung der FDP bundesweit“, schreiben die beiden Politiker, die auch dem Bundesvorstand der Partei angehören. „2023 muss die Trendwende für die Freien Demokraten bringen.“
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Am Freitag kommen die Liberalen zu ihrem traditionellen Dreikönigstreffen in Stuttgart zusammen. Die Stimmung ist angespannt angesichts der derzeitig dürftigen bundesweiten Umfragewerte. Parteichef Christian Lindner wird Motivationsarbeit leisten müssen. Auch die Spitzenkandidaten für die kommenden Wahlen – im Februar findet bereits die Wiederholungswahl in Berlin statt, im Mai wird in Bremen gewählt – werden kurz auftreten.
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Während Lindner und das Berliner Spitzenpersonal seit Monaten zum Durchhalten aufrufen, wächst an der Basis die Ungeduld. Auch nach Ansicht von Hagen und Naas muss sich etwas ändern, ihr Papier kann man als eine Art Weckruf an die Partei verstehen.
Als kleinster von drei Koalitionspartnern könne die FDP ihre Vorstellungen nicht eins zu eins in Regierungspolitik umsetzen, schreiben sie, „Kompromisse müssen aber besser erklärt und liberale Verhandlungserfolge selbstbewusster dargestellt werden“. Die Wählerinnen und Wähler sollten erkennen können, „wie die ‚FDP pur‘-Position aussieht“, heißt es in dem Papier.
Vorrang für die Wirtschaft
Konkret nennen Hagen und Naas sechs Themen, mit denen die Liberalen in der Ampelkoalition punkten sollen. Angesichts einer drohenden Rezession müsse die Sorge um die Wirtschaft ins Zentrum rücken, schreiben sie. Projekte, die Deutschland als Wirtschaftsstandort stärken, müssten Priorität haben.
Umgekehrt sollten alle Vorhaben, die eine wirtschaftliche Betätigung in Deutschland erschweren, unterlassen werden. „Die FDP muss dafür Sorge tragen, dass das in der Ampelkoalition vereinbarte Belastungsmoratorium für die Wirtschaft konsequent eingehalten wird“, heißt es im Papier. Das würde zu Konflikten in der Ampel führen.
Fracking und Atomkraft
Auf wenig Begeisterung werden die energiepolitischen Forderungen bei den Grünen stoßen. „Wir müssen die Nutzung von Geothermie vorantreiben und auch viel stärker als bisher auf heimische Gasvorkommen setzen“, schreiben Hagen und Naas. „Dabei darf auch Fracking nicht länger ein Tabu sein.“ SPD und Grüne lehnen Fracking kategorisch ab.
Nicht weniger kontrovers ist eine zweite Forderung im Positionspapier: „Eine Verlängerung der Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke über 2023 hinaus würde die deutsche Stromversorgung günstiger und klimafreundlicher machen.“
Nach langem Streit zwischen Finanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entschieden, dass die drei verbliebenen Atomkraftwerke Ende 2022 nicht wie geplant vom Netz gingen. Allerdings soll die Verlängerung nur bis April dauern, und es sollen keine neuen Brennstäbe bestellt werden.
Während SPD und Grüne die Debatte für beendet erklären, machen Hagen und Naas sie nun wieder auf. Das wird bei den Koalitionspartnern auf Widerstand stoßen.
Steuern senken
Das gilt auch für die finanzpolitischen Forderungen der Liberalen. Als Finanzminister hat Lindner durchgesetzt, dass die inflationsbedingten Steuererhöhungen, auch „kalte Progression“ genannt, vollständig ausgeglichen werden. Zudem wurden Freibeträge deutlich erhöht. Schon das geht über den Koalitionsvertrag hinaus.
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Hagen und Naas fordern indes weitere Schritte. „Für die Zukunft muss die FDP deutlich machen, dass eine echte steuerliche Entlastung ihr Ziel ist“, schreiben sie. „Dazu gehören eine Senkung der Einkommen- und der Körperschaftsteuer sowie bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Wirtschaftsgüter.“
Zuwanderung steuern
Beim Thema Einwanderung sind die Konflikte in der Ampel nicht ganz so groß. Dass Arbeitskräfte leichter nach Deutschland kommen sollen, ist unumstritten und wird von der Ampel bereits angegangen. „Ein limitierender Faktor für wirtschaftliches Wachstum ist der Mangel an Arbeits- und Fachkräften“, schreiben die beiden Liberalen. Nahezu alle Branchen seien aktuell davon betroffen.
Allerdings betonen Hagen und Naas, dass die Zahl der Asylanträge zuletzt wieder stark angestiegen sei. Hier schlagen sie andere Töne als SPD und Grüne an. „Unser Ziel ist mehr Einwanderung in unseren Arbeitsmarkt, nicht in unseren Sozialstaat“, wird in dem Papier betont.
Warnung vor „Klima-Ideologie“
Beim Klimaschutz grenzen sich die beiden FDP-Spitzenkandidaten deutlich von den Grünen ab. „Die FDP muss klare Kante zeigen gegen eine wachstums- und kapitalismusfeindliche Klima-Ideologie, die unverhohlen die Deindustrialisierung Deutschlands propagiert“, schreiben sie. Klimaschutz erreiche man nicht durch immer mehr Verbote und eine Rückabwicklung des Wohlstands, sondern durch technologischen Fortschritt und marktwirtschaftliche Anreize.
Schuldenbremse einhalten
Finanzminister Lindner musste aufgrund des Ukrainekriegs und der Energiekrise im vergangenen Jahr viel mehr Schulden machen als ursprünglich geplant. Das kam nicht bei allen liberalen Wählern gut an.
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Hagen und Naas verteidigen die Entscheidungen. „Es ist richtig, unsere Bundeswehr zu ertüchtigen – das sichert unsere Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung“, schreiben sie. „Es ist auch richtig, Kaufkraftverluste zu dämpfen und Energiepreise kurzfristig zu stabilisieren – das verhindert soziale Verwerfungen und deren Instrumentalisierung durch die politischen Ränder wie zu Zeiten der Weimarer Republik.“
In diesem Jahr will Lindner die Schuldenbremse wieder greifen lassen. Das hat er in der Ampelkoalition durchgesetzt, so sieht es auch der Haushalt 2023 vor. Hagen und Naas fordern, dass es unbedingt dabei bleiben müsse. „Alles andere würde die Inflation anheizen, die Handlungsfähigkeit des Staates in künftigen Krisen gefährden und kommenden Generationen enorme Lasten aufbürden“, heißt es in dem Papier.
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