Moskau Vor dem Start ins neue Kriegsjahr in der Ukraine tritt der Russe Jewgeni Prigoschin als Chef der gefürchteten Söldnergruppe „Wagner“ immer selbstbewusster auf. Mal zeigt sich der 61-Jährige im Kriegsgebiet, mal kritisiert er die russische Militärführung. Kremlchef Wladimir Putin lässt ihn schalten und walten, als hätte diese Schattenarmee, eine paramilitärische Organisation mit vielen verurteilten Verbrechern, längst alleine das Zepter der Macht in der Hand. Dabei behauptete Putin in der Vergangenheit sogar, der russische Staat habe gar nichts zu tun mit der „Wagner“-Gruppe.
Putin und Prigoschin kennen sich lange. Als der Ex-KGB-Offizier Putin noch in der St. Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Deshalb trägt der in den chaotischen 1990er Jahren in Russland zu Reichtum gekommene Geschäftsmann, der auch schon wegen Raubes in Haft saß, den Beinamen „Putins Koch“.
Bekannt ist der Chef des Firmenimperiums Concord aber nicht zuletzt wegen seiner auf Desinformation spezialisierten Internet-Trollfabrik, mit der er sich in die US-Präsidentenwahl eingemischt haben soll. Deshalb haben US-Ermittler vom FBI ein Kopfgeld auf seine Ergreifung ausgesetzt.
Lange mied Prigoschin die Öffentlichkeit – vor allem, als seine Söldnertruppe schon 2014 nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch im Donbass aktiv wurde. Doch je länger die am 24. Februar von Putin begonnene Invasion in die Ukraine dauert, desto offensiver tritt der von Kiew als Kriegsverbrecher verfolgte Warlord auf.
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In Russlands Straflagern ging der oft per Hubschrauber reisende Prigoschin ein und aus, um dort Verurteilte in den Krieg zu locken – mit dem Versprechen, sie bekämen nach Ende ihres Dienstes die Reststrafe erlassen. Prigoschin konnte eigenmächtig und ohne Rechtsgrundlage agieren. Der Kreml schaute zu.
Prigoschin steuert die „Wagner“-Söldner
Auch Russlands Justiz fürchtet seit langem den Einfluss des unantastbaren Putin-Vertrauten. Längst agiert Prigoschins Armee wie eine eigene Machtstruktur in Russland. „Ich kann sagen, dass die private Militärfirma „Wagner“ heute eine der entscheidendsten Rollen in der Zone der militärischen Spezialoperation spielt“, teilte der Geschäftsmann im Nachrichtendienst Telegram mit.
Dort betont er auch, dass er zur Kritik etwa am russischen Generalstabschef Waleri Gerassimow stehe. Er habe „Wagner“ gegründet und steuere die Söldner, damit Russland erfolgreich sei in dem Krieg.
Fast täglich kommentiert Putins Mann fürs Grobe das Kriegsgeschehen. Er widerspricht etwa dem Kommunikationsdirektor des Weißen Hauses in Washington, John Kirby, dass Russland aus Nordkorea Waffen erhalte für den Krieg.
Vielmehr kaufe „Wagner“ heute ungeachtet von Washingtons Sanktionen selbst jede Menge US-Waffen, meinte er. Nicht immer ist klar, wann sich Prigoschin in seinen Posts lustig macht über den Westen, wann es ernst ist. Kirby jedenfalls hatte zuletzt auch gesagt, dass nach US-Schätzungen 50.000 „Wagner“-Söldner in der Ukraine im Einsatz seien, darunter 40.000 Strafgefangene.
Journalisten-Organisation: Söldner-Chef ist „korruptes Individuum“
Nach gängiger Definition kämpfen Söldner in der Regel nur befristet für denjenigen, der sie bezahlt und das außerhalb von regulären Armeen. Nach dem Kriegsvölkerrecht gelten sie nicht als Kombattanten und haben daher zum Beispiel keinen Anspruch auf den Schutzstatus eines Kriegsgefangenen – anders als ausländische Freiwillige, die etwa in der ukrainischen Armee als reguläre Soldaten dienen.
Das von Journalisten-Organisationen gegründete internationale OCCRP-Recherchenetzwerk zur Organisierten Kriminalität und zu Korruption wählte den grobschlächtigen Mann mit Glatze gerade zur „Person des Jahres“. Nach Machthabern wie Alexander Lukaschenko in Belarus, dem im vergangenen Jahr den Schmähtitel erhielt, oder Nicolás Maduro in Venezuela, haben die Juroren nun erstmals jemanden gewählt, der nie eine staatliche oder offizielle Funktion innehatte.
„Er ist kein nationaler Anführer, sondern ein korruptes Individuum, das in der Lage ist, Terror und massive Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Teilen der Welt anzustiften“, erklärte die Jurorin Louise Shelley, eine US-Expertin für Finanzströme an der George Mason University. Prigoschin verkörpere die dunkelste Seite Russlands, heißt es in dem OCCRP-Bericht.
Mit dem Krieg in der Ukraine kämpfe er eine seine härtesten Schlachten nach den Einsätzen etwa in Syrien. „Er ist ein Soldat der Korruption“, sagte der Investigativ-Journalist und OCCRP-Mitbegründer Drew Sullivan. „Er kämpft und tötet, um Korruption zu installieren. „Wagner“ ist nichts als eine von der russischen Regierung genehmigte Gruppe des organisierten Verbrechens.“ Neben Syrien gebe es eine lange Blutspur in der Zentralafrikanischen Republik, im Sudan, in Somalia und Mali.
Wagner-Leute werden der Tötung, Vergewaltigung und Folter von Menschen verdächtigt – auch in den Vororten von Kiew im Ukrainekrieg, wie in dem Bericht von Ende Dezember heißt. In Afrika bringen die Experten Prigoschin mit Gold- und Diamantenminen in Verbindung. Und sie meinen, dass angesichts der Erschöpfung von Putins Armee im Ukrainekrieg Prigoschin auf dem Schlachtfeld dort weiter eine entscheidende Rolle spiele.
Auch das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) beschäftigt sich immer wieder mit Prigoschin und seinem möglichen Streben nach einem Amt. Die Denkfabrik wertete ein Interview Prigoschins mit dem russischen Staatsfernsehsender RT unlängst als Versuch, in der Gesellschaft mit markigen Worten und populistischen Ansichten an Ansehen und Einfluss zu gewinnen. So schlug er etwa vor, Russlands Milliardären alles zu nehmen, damit sie sich für den Krieg engagieren.
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Angesichts der zu Hunderttausenden vor Putins Mobilmachung geflohenen Russen, darunter viele prowestlich und liberal Gesinnte sowie Oppositionelle, meinte er, sie alle hätten in einem Strafbataillon zu zusammen in den Krieg geschickt werden müssen. „Zweifeln Sie nicht daran, dass sie alle als Helden gestorben wären.“
Experten sehen Prigoschins wachsenden Einfluss nicht zuletzt als ein Anzeichen für einen Kontrollverlust Putins, der als Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte letztlich auch für die Vielzahl an Niederlagen in dem Krieg in der Ukraine verantwortlich gemacht wird. Aber käme Prigoschin auch als ein möglicher Nachfolger Putins und neuer starker Mann in Moskau infrage, wie manche inzwischen meinen?
Der Politologe Abbas Galljamow meint zwar, dass der „Koch des Präsidenten“ hoch im Kurs stehe, während alle in Moskau – einschließlich Putin – an Zustimmung eingebüßt hätten. „Es sieht jetzt so aus, als halte sich das Regime vor allem dank Prigoschin“, sagt Galljamow.
Auch wegen seiner aktiven Medienarbeit könne der Eindruck entstehen, Prigoschin könne an die Stelle Putins treten. In gut einem Jahr ist Präsidentenwahl in Russland. Galljamow sieht aber für ihn keine Chancen. Die Angst vor einem allmächtigen Prigoschin schweiße die Eliten Russlands zusammen. Galljamow ist überzeugt, dass sie einen Präsident Prigoschin zu verhindern wissen.
Mehr: Kommentar – Der Angriff in Makijiwka zeigt, wie wenig Russlands Armee aus Fehlern lernt
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