Jan 14, 2023
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Radikalismus: Historiker zur neuen Regierung in Israel: „Gefährlicher als frühere Allianzen“

Written by Pierre Heumann


Benjamin Netanjahu

Der wiedergewählte Ministerpräsident bei einer Kabinettssitzung.


(Foto: IMAGO/UPI Photo)

Tel Aviv Der prominente israelische Historiker und Publizist Tom Segev warnt vor der neuen Koalitionsregierung in Jerusalem. Diese sei „gefährlicher als frühere Allianzen“.

Mehr noch beunruhigt ihn, dass die israelische Gesellschaft immer weiter nach rechts rücke. „In diesem Sinne repräsentiert die neue Koalition die israelische Gesellschaft“, sagt er im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Noch nie waren in der Knesset so viele rechtsradikale und rassistische Parteien organisiert.“

Ende Dezember war die neue ultrarechte Regierung des wiedergewählten Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vereidigt worden. Die neue Regierung will den umstrittenen Siedlungsbau im Westjordanland vorantreiben. Kritikerinnen und Kritiker werfen ihr deshalb vor, die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern zu verschärfen.

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Es habe in Israel zwar immer alle möglichen Erscheinungen von Rassismus gegeben, wie in anderen Ländern auch, sagt Segev. Die maßgebliche und zentrale Rolle, die diese Parteien jetzt spielen würden, sei für Israel aber etwas Neues. Er sei „ziemlich erschüttert“.

Im Gegensatz zu ausländischen Analysten, die vor allem über die Erstarkung der Orthodoxie schrieben, bereite ihm besonders der antiarabische Nationalismus vieler seiner Landsleute Sorgen. „Nationalismus und Rassismus bestimmen jetzt stärker als je zuvor die israelischen Beziehungen zu den Palästinensern.“

Als bedenklich bezeichnet es Segev zudem, dass einige als Betrüger bekannte Politiker gewählt worden seien. Dazu zählt Arie Deri, der zunächst gleich zwei Ministerien erhält und später im Rahmen einer Rotationsvereinbarung Finanzminister werden soll – ausgerechnet er, der vor einem Jahr wegen Steuerbetrug verurteilt worden war.

Proteste gegen die israelische Regierung

Auch in der Bevölkerung gibt es Kritik an der Koalition.


(Foto: IMAGO/Sipa USA)

Den Rechtsrutsch in der Bevölkerung erklärt Segev damit, dass die meisten Israelis nicht mehr an die Möglichkeit eines Kompromisses mit den Palästinensern glaubten, „auf jeden Fall nicht jetzt“. Zudem habe Netanjahu, der bereit von 1996 bis 1999 und dann von 2009 bis 2021 Ministerpräsident war, die Illusion geschaffen, dass alles unter Kontrolle sei, auch wenn es ab und an zu Terroranschlägen komme.

Liberale und säkulare Parteien wollen keine Koalition mit Netanjahu

Die Mehrheit sei deshalb überzeugt, dass dramatische, schmerzhafte Kompromisse gegenüber den Palästinensern nicht nötig seien und die Israelis vorerst nichts aufgeben müssten. Im Übrigen glaubten auch die Palästinenser nicht mehr an einen Kompromiss.

Netanjahus Popularität lasse sich auch damit erklären, dass sich die wirtschaftliche Lage in den vielen Jahren seiner Regierungszeit deutlich verbessert habe. „Den meisten Bürgern ging es so gut wie nie zuvor.“

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Mit der neuen Koalition habe sich „King Bibi“, wie ihn das Nachrichtenmagazin „Time“ vor zehn Jahren nannte, in die Abhängigkeit radikaler politischer Parteien begeben. Es gebe zwar auch liberale und säkulare Zentrumsparteien im Parlament, die mit Netanjahu und seiner Likud-Partei eine mehrheitsfähige Regierung bilden könnten.

Weil aber Netanjahu vor Gericht steht, wollen sie von einer Zusammenarbeit mit ihm nichts wissen. Sie würden sich nicht an einer Regierung beteiligen, an deren Spitze ein Premier steht, der wegen Korruption und Bestechung in einen Prozess verwickelt sei, sagen sie.

Diese Haltung bezeichnet Segev zwar als lobenswert, „aber sie ist politisch gefährlicher als nützlich“. Sie öffne den radikalen Parteien den Zugang zum Regierungstisch, ohne dass dort Zentrumsparteien einen mäßigenden Einfluss haben. Der Historiker schlägt deshalb vor, zu prüfen, ob die Gerichtsverfahren gegen Netanjahu verschoben werden können, bis er nicht mehr im Amt sei. Segevs Kalkül: Sobald Netanjahu nicht mehr unter Anklage steht, könnte sich eine gemäßigtere Allianz ergeben.

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