Paris Die Warnungen vor dem Winter waren in Frankreich drastisch: Wegen der Abschaltung einer Reihe von Atomkraftwerken könne es zu Versorgungsengpässen kommen, hieß es. Die Regierung rief Bürger und Unternehmen zum Energiesparen auf, der Netzbetreiber RTE spielte Notfallszenarien durch. Im schlimmsten Fall sollte in bestimmten Gebieten vorübergehend der Strom abgeschaltet werden.
Die Regierung sprach zwar von „außergewöhnlichen Maßnahmen als letztem Ausweg“. Viele Franzosen fürchteten angesichts der deutlichen Krisenkommunikation aber, dass es auch in ihren Wohnungen kalt und dunkel wird. Deutschland sah sich angesichts der Probleme der Kernkraftwerke auf dem Weg des Atomausstiegs bestätigt.
Doch Frankreich kommt bislang viel besser durch den Winter als gedacht. Seit dem 19. Dezember hat das Land sogar wieder seine traditionelle Stellung als Nettostromexporteur eingenommen. Wie Daten von RTE zeigen, importierte selbst Deutschland an einigen Tagen seit Jahresbeginn mehr Strom aus Frankreich, als es dorthin ausführte.
44 der 56 Reaktoren sind einsatzbereit
Sind die Energiesorgen der Atomnation nun vorbei? Der Professor und Energieexperte Jean-Michel Gauthier von der Pariser Wirtschaftshochschule HEC dämpft die Hoffnungen. Natürlich habe die Produktionskapazität der Atomkraftwerke wieder zugenommen. Mindestens genauso wichtig sei aber der bisher milde Winter – denn viele Franzosen heizen mit Strom statt mit Gas. „Jeder Temperaturunterschied hat im Winter bedeutende Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Elektrizität in Frankreich“, sagt er.
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Eine weitere Rolle spielte, dass die französischen Windkraftanlagen in den vergangenen Wochen mehr Strom lieferten. Energieministerin Agnès Pannier-Runacher verwies zudem auf die Energiesparbemühungen der Haushalte und Unternehmen, die den Verbrauch um sieben Gigawatt gesenkt hätten. „Das entspricht der Stromproduktion von sieben Atomreaktoren“, sagte die Ministerin.
Geladen
45
Gigawatt
nukleare Erzeugungskapazität steht Frankreich laut des staatlichen Energieversorgers EDF in diesem Januar zur Verfügung.
Fest steht aber auch: Der Stromkonzern EDF hat seine ambitionierten Versprechen weitgehend eingehalten und viele Atomkraftwerke zurück ans Netz gebracht. Derzeit sind 44 der 56 französischen Reaktoren einsatzbereit. Wie geplant stehe im Januar eine nukleare Erzeugungskapazität von gut 45 Gigawatt zur Verfügung, gab EDF bekannt, und sie werde bis Ende des Monats noch steigen, da weitere Reaktoren hochgefahren würden.
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Die Atommeiler gelten in Frankreich als Garant der energiepolitischen Souveränität und decken in normalen Zeiten rund 70 Prozent der Stromversorgung ab. Ausgerechnet während der durch den Stopp der russischen Gas‧lieferungen befeuerten Energiekrise schwächelte der Atomkraftpark. Im vergangenen Jahr standen zeitweise mehr als die Hälfte der Reaktoren still.
Einen Teil musste EDF vom Netz nehmen, um die Rohrleitungen des Notkühlsystems auf kleinste Risse zu überprüfen. Bei einigen Anlagen waren Korrosionsschäden entdeckt worden. Neben diesen unvorhergesehenen Abschaltungen standen auch mehr Reaktoren als üblich wegen routinemäßiger Wartungen still, die in der Pandemie verschoben worden waren.
Anzeichen für „eine gewisse Rückkehr zur Normalität“
EDF-Chef Luc Rémont sagte im Dezember bei einem Besuch des Atomkraftwerks Penly in der Normandie, die Arbeiter des Unternehmens seien „total mobilisiert“, um die „technischen Probleme“ zu lösen. Man habe sich außerdem externe Hilfe geholt, darunter Schweißer aus den USA und aus Kanada.
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Wie kompliziert die Überprüfung und Neuverschweißung der Rohre ist, wurde aber einige Wochen später deutlich: EDF musste die Wiederinbetriebnahme von Penly 1 von Ende Januar auf Ende März, die von Penly 2 auf Mitte Juni verschieben.
Energieexperte Gauthier sieht zwar Anzeichen für „eine gewisse Rückkehr zur Normalität“. Zugleich warnt er aber, dass es bis zur vollen Einsatzbereitschaft der Atomkapazitäten dauern dürfte. Das liege vor allem daran, dass noch bis 2025 das große Wartungsprogramm für die Laufzeitverlängerung der französischen Reaktoren durchgeführt wird.
Die Reaktoren werden dabei nach und nach für Routinearbeiten heruntergefahren. Erst nach Abschluss der Wartungsarbeiten „wird sich Frankreich aus der Affäre gezogen und die Lebensdauer seiner Kraftwerke um zehn Jahre verlängert haben“, sagt Gauthier.
Der Netzbetreiber RTE rechnet damit, dass die Verfügbarkeit des Reaktorparks im Februar einen vorläufigen Höhepunkt erreichen und dann wieder sinken wird. Das liege auch daran, dass es 2023 wegen der Korrosionsprobleme an sechs weiteren Reaktoren Baustellen geben werde. Frankreich könnte also demnächst wieder auf Stromimporte angewiesen sein.
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