Berlin Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat mitten im Ukrainekrieg mit einer Reihe von Entlassungen auf mehrere mutmaßliche Korruptionsfälle reagiert. Insgesamt vier Vizeminister, der Stellvertreter der Präsidialadministration, Gouverneure und Mitarbeiter in diversen Behörden, Ämtern und der Staatsanwaltschaft sind ihre Jobs los.
Die Korruptionsvorwürfe waren am Wochenende bekannt geworden, Selenski hat mittlerweile ein hartes Durchgreifen angekündigt. Mehrere Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft.
Der ukrainische Präsident ist in seinem Land und weltweit Symbolfigur für den Widerstand der ukrainischen Bevölkerung gegen die russische Invasion geworden. Auf vielen großen Konferenzen wird er zugeschaltet und bejubelt, zuletzt beim Weltwirtschaftsforum in Davos.
Doch immer wieder kratzen Skandale am Bild des früheren Comedians, der ehemalige TV-Mitstreiter aus seiner Produktionsfirma mit in die Regierung brachte. Nun hat Selenski sich mit den Berichten über Korruption in seiner Regierung ein schweres Imageproblem eingehandelt.
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Den Anfang machte das Verteidigungsressort um Minister Olexij Resnikow. Das Ministerium soll Eier für umgerechnet 42 Cent bei einem Großhändler statt für 17 Cent in Kiewer Supermärkten beschafft haben. Auch andere Lebensmittel zur Truppenversorgung sollen deutlich überteuert eingekauft worden sein. Resnikow, der zuletzt noch den deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und seinen US-Amtskollegen Lloyd Austin in Ramstein traf, konnte bisher seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Selenski feuerte vorerst nur einen Vize-Verteidigungsminister und fünf Regionalchefs der Armee.
Korruption in der Ukraine: Auch Premierminister Schmyhal steht in der Kritik
Die Antikorruptions-Staatsanwaltschaft verhaftete den Vizeminister für Infrastruktur und Regionales, Wassyl Losynskyj. Er soll Bestechungsgeld in Höhe von umgerechnet 400.000 Euro für den Kauf von Dieselgeneratoren angenommen haben. Der Mann, der den Vizeminister schmieren wollte, kam am Dienstag in U-Haft. Losynskyj gilt als von Premier Denys Schmyhal protegiert. Damit gerät laut ukrainischen Medien auch der von Selenski persönlich ausgewählte Regierungschef politisch unter Druck.
Der Vizechef der Präsidialadministration und frühere TV-Produzent Kirill Timoschenko kam seinem Rauswurf per Rücktritt zuvor. Er stand bereits früher in der Kritik, weil er ungerechtfertigt von Hilfslieferungen an ukrainische Städte profitiert haben soll.
Die Welle der Entlassungen reicht über die Führungsriegen hinaus. Mehrere Zollbeamte wurden wegen vermuteter Unterschlagungen und Korruption bei der Ausfuhr von Getreide festgenommen, ihre Aufseher abgesetzt.
Gegen den früheren Chef des staatlichen Gaskonzerns Naftogaz Ukrainy wird ermittelt, weil er einen überhöhten Bonus bekommen haben soll. 2018 gewann er ein Verfahren vor einem internationalen Schiedsgericht gegen den russischen Gasmonopolisten Gazprom und erstritt 4,6 Milliarden Dollar. Der Naftogaz-Vorstand soll ihm dafür einen Erfolgsbonus über 5,7 Millionen Euro zugebilligt haben. Ermittler und Anwälte streiten noch über Untersuchungshaft. Der Ex-CEO bietet volle Kooperation mit den Behörden an und sieht sich im Recht, da der Aufsichtsrat die Prämie bewilligt habe.
Scharfe Reaktionen aus der Zivilgesellschaft
Dass die Korruptionsskandale ruchbar wurden, sei „der Zivilgesellschaft und vor allem Medien in der Ukraine“ zu verdanken. Diese seien „noch dazu in der Lage, Korruption aufzudecken und zu bekämpfen“, sagte Stefan Meister, Ukraine-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er sieht vor allem die Präsidialadministration bei der Verteilung von Mitteln als eine „Black Box, die immer autoritärer und intransparenter wird“. Es fehle die Kontrolle durch das Parlament, in dem Selenskis Partei „Diener des Volkes“ alles durchwinke.
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Andere Experten sehen die Aufdeckung der Skandale als lebendiges Zeichen dafür, dass Korruption in der Ukraine – im Gegensatz zu Russland – real bekämpft werde, und fordern hartes Durchgreifen. „Der Krieg darf kein Vorwand sein, gegen Verantwortliche in Ministerien und Armee nicht zu ermitteln und sie nicht radikal auszusortieren“, forderte Serhij Gajdaj, Chef der gleichnamigen Polit-Strategieberatung in Kiew.
Alex Lissiza, Agrarunternehmer und Chef des ukrainischen Bauernverbands, nennt die mutmaßlichen Verfehlungen bei der Beschaffung für die Armee besonders beschämend. „Denn auf die Hilfe für unsere Soldaten fokussieren sich die meisten Ukrainer“, so Lissiza. „Westlichen Regierungen wird es immer schwerer fallen, einem Land zu helfen, wenn dort Gelder gestohlen und die Verursacher nicht bestraft werden.“
Selenski selbst betonte unterdessen bereits am Sonntag, dass die Korruptionsbekämpfung im Krieg nicht vernachlässigt werden dürfe. Dies gilt auch als Signal an die ausländischen Verbündeten, die die Ukraine mit Milliardenbeträgen unterstützen. Auch die EU-Kommission mahnte am Dienstag mehr Anstrengungen im Kampf gegen Korruption an. Dies sei Teil der politischen Bedingungen für weitere EU-Kredite und spiele auch im EU-Beitrittsprozess eine Schlüsselrolle.
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