Jan 31, 2023
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Umweltgefahr: Netanjahu braucht die Ultraorthodoxen für seine Regierung – und schafft deshalb die Plastiksteuer ab

Written by pinmin

Jerusalem Noch am Tag ihres Amtsantritts als neue israelische Ministerin für Umweltschutz verteilte Idit Silman in einem Krankenhaus Erfrischungsgetränke an Patienten – in Einweg-Plastikbechern.

Das hatte in Israel große symbolische Bedeutung, denn dort sind sowohl Erfrischungsgetränke als auch Becher, Teller und Besteck aus Wegwerfplastik zu Waffen in einem Kulturkampf zwischen der säkularen jüdischen Mehrheit und der kleinen, aber politisch mächtigen religiösen Minderheit geworden.

Für die breite Öffentlichkeit war eine im vergangenen Jahr auf Plastikprodukte verhängte Steuer ein praktikabler Weg, den Verbrauch solcher Gegenstände einzudämmen, die stark zur Umweltverschmutzung beitragen. Doch viele ultraorthodoxe Juden betrachteten die zusätzlichen Kosten als Angriff auf ihre Lebensart.

Sie sehen die Wegwerfartikel als große Hilfe, um den Alltag mit ihren großen Familien zu bewältigen. Die Ultraorthodoxen machen heute circa zwölf Prozent der Bevölkerung aus.

Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, die am weitesten rechts stehende in der Geschichte Israels, stützt sich maßgeblich auf strengreligiöse Parteien. Die Aufhebung der Plastiksteuer stand weit vorne auf ihrer Agenda und wurde am Sonntag vom Kabinett beschlossen.

„Wir haben es versprochen, und wir haben geliefert“, sagte Finanzminister Bezalel Smotrich, Vorsitzender des rechtsextremen Religiös-Zionistischen Bündnisses. „Der Kampf gegen die Lebenshaltungskosten ist ein Kampf, den wir alle führen.“

Israel wollte Fettleibigkeit und Umweltverschmutzung mit Steuern begegnen

2021, als Netanjahu und seine religiösen Verbündeten in der Opposition waren, billigte die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Naftali Bennett eine Steuer auf stark zuckerhaltige Getränke, um eine Zunahme der Fälle von Fettleibigkeit und Diabetes einzudämmen.

Auch die Steuer auf Einwegplastik wurde verabschiedet, um der Umweltverschmutzung entgegenzuwirken. Mit der Steuer wurden elf Schekel (2,92 Euro) auf ein Kilogramm Einwegplastik erhoben, was den Marktpreis praktisch verdoppelte.

Benjamin Netanjahu

Der israelische Regierungschef steht an der Spitze einer besonders rechten Koalition – und ist auf die ultrareligiösen Parteien angewiesen.


(Foto: AP)

Die Rücknahme dieser Steuern zählte zu den Hauptforderungen der ultraorthodoxen Verbündeten Netanjahus, die sie vor der Parlamentswahl im November auch zum Wahlkampfthema machten. Eine weitere Koalitionsvereinbarung zwischen Netanjahu und den Ultraorthodoxen sieht eine De-facto-Abschaffung des vor einem Jahr eingeführten Pfands auf Plastikflaschen vor.

In Israel wird sehr viel Einwegplastik verwendet. Laut einem Bericht des Umweltschutzministeriums aus dem Jahr 2021 hat sich seine Nutzung von 2009 bis 2019 mehr als verdoppelt. Der Pro-Kopf-Verbrauch liege bei durchschnittlich 7,5 Kilogramm – mehr als das Fünffache des europäischen Durchschnitts.

An den Küsten Israels macht Einwegplastik demnach schätzungsweise 90 Prozent des Mülls aus und 19 Prozent des Mülls auf öffentlichem Land. Es stelle damit eine bedeutende Umweltbedrohung dar, erklären verschiedene Organisationen im Land.

Ultraorthodoxe: Einwegplastik ist Teil unseres Lebensstils geworden

Dennoch feiern die ultraorthodoxen Verbündeten Netanjahus, die Haredim, bereits die Abschaffung der Einwegsteuer, die noch vom Parlament bestätigt werden muss. Wegwerfplastik sei in den vergangenen Jahrzehnten zu einem wesentlichen Element ihres Lebensstils geworden, sagt Jisrael Cohen, ein ultraorthodoxer politischer Beobachter.

Die Familien mit durchschnittlich sechs Kindern pro Haushalt nutzen sowohl für Mahlzeiten unter der Woche als auch bei größeren Treffen am Sabbat Wegwerfgeschirr, um nicht abspülen zu müssen. Einwegplastik ist auch in jüdischen Seminaren, in denen ultraorthodoxe Männer studieren und ihre Mahlzeiten einnehmen, scheinbar unabdingbar. „Es ist eine ganze Industrie, eine Institution“, sagt Cohen. „Einwegplastik ist eine großartige Lösung für die haredische Gemeinde.“

Ultraorthodoxe Familie in Jerusalem

„Einwegplastik ist eine großartige Lösung für die haredische Gemeinde“, erklärt ein religiöser politischer Beobachter.


(Foto: imago/UPI Photo)

Für ultraorthodoxe Politiker standen die Steuern sinnbildlich für das, was sie als Angriff der vorherigen Regierung auf ihren Lebensstil betrachteten. Haredische Medien bezeichneten sie häufig als „Dekrete“ des damaligen säkularen Finanzministers Avigdor Lieberman, die auf die religiöse Minderheit abzielten. Lieberman sei von diesen Medien so dargestellt worden, als habe er es gezielt auf die Ultraorthodoxen abgesehen, sagt Cohen.

Steuer ließ Plastik-Gebrauch um ein Drittel sinken

Umweltgruppen zufolge sank die Nutzung von Einwegplastik im Lauf des Jahrs 2022, in dem das Gesetz in Kraft war, um ein Drittel. Eine Untersuchung der Strände des Landes durch zwei Umweltgruppen, Zalul und die Israelische Union für die Verteidigung der Umwelt, ergab einen deutlichen Rückgang der Menge von Einwegplastik und Plastikflaschen. Sie schrieben das der Steuer auf Plastik und gezuckerte Getränke zu. Zudem brachte die Steuer nach Angaben der zuständigen Behörde umgerechnet rund 90 Millionen Euro an Einnahmen.

Strand von Tel Aviv

Nach Einführung der Steuer ging die Belastung durch Plastikmüll an den israelischen Küsten rapide zurück.


(Foto: AP)

Meirav Abadi, eine Anwältin der Umweltunion, sagt, eine Rücknahme der Steuer wäre „wie ein grünes Licht, diese Gegenstände auf noch intensivere Art wieder zu verwenden“. Limor Gorelik, bei Zalul für die Vermeidung von Umweltverschmutzung durch Plastik zuständig, nannte den Fototermin von Ministerin Silman im Krankenhaus mit den Einwegbechern „wirklich peinlich“.

„Es ist so frustrierend, weil wir so spät dran waren mit dem Versuch, sich (in vielerlei Umweltfragen) in Richtung anderer Länder zu bewegen“, sagt sie. Und sie befürchte Rückschritte auch bei anderen Themen.

>> Lesen Sie auch: Israels Digitalwirtschaft fürchtet die neue Regierung

Finanzminister Smotrich hat auch Steuererleichterungen für Kohle bis Ende 2023 verlängert, um Stromrechnungen niedrig zu halten. Umweltschützern zufolge wird das den Verbrauch des umweltschädlichen Energieträgers steigern.

Silman deutete am Sonntag an, dass sie ihre Haltung noch ändern könnte. Sie war einst Mitglied von Bennetts Partei, bevor sie im vergangenen Jahr zu Netanjahus Likud wechselte. Im Kabinett stimmte sie gegen die Abschaffung der Plastiksteuer.

Nachdem sie sich in den vergangenen Wochen in das Thema vertieft habe, sei ihr der „enorme“ Preis des Einwegplastiks für die Umwelt bewusst geworden, sagte sie. Die Regierung solle einen alternativen Weg zur Eindämmung des Plastikverbrauchs finden, bevor sie die Steuer abschaffe. Dennoch sei die Steuer ein Fehler gewesen und hätte nicht auf eine Weise eingeführt werden dürfen, die „Feindseligkeit gegenüber einer bestimmten Bevölkerungsgruppe weckt“, erklärte Silman.

Mehr: Historiker zur neuen Regierung in Israel – „Gefährlicher als frühere Allianzen“



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