Jan 31, 2023
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Ukrainekrieg: Warum der Kanzler in Lateinamerika russischer Propaganda trotzen muss

Written by Alexander Busch

Salavador/Berlin Es sollte der harmonische Abschluss der viertägigen Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Südamerika werden. Im immer noch durch den Sturm aufs Regierungsviertel ramponierten Präsidentenpalast in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia erklärte Scholz dem alten und neuen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, dass man ihn vermisst habe.

„Wir freuen uns alle, dass Brasilien zurück auf der Weltbühne ist“, sagte Scholz bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Scholz ist der erste ausländische Staatschef, der Lula seit dessen Amtsantritt vor einem Monat besucht. „Lieber Lula“, duzte der Sozialdemokrat den Genossen von der Arbeiterpartei, „wir haben gemeinsam viel vor, und ich freue mich in der Tat auf eine gute lange Zusammenarbeit.“

Tatsächlich lassen sich die Ergebnisse der Verhandlungen sehen: So wollen Brasilien und Deutschland die Freihandelszone zwischen der EU und dem südamerikanischen Mercosur nun im Schnelldurchgang durchboxen. Spätestens bis Mitte des Jahres soll ein aktualisierter Vertragsentwurf vorliegen, hofft Lula.

Brasilia hätte so ein triumphaler Schlussakt von Scholz in Südamerika werden können. Wäre da nicht das eine große Thema, bei dessen Interpretation sich die Genossen Scholz und Lula so gar nicht einige sind: der russische Angriffskrieg in der Ukraine.

Zwar verurteilten beide Staaten in ihrer Abschlusserklärung den russischen Angriff und die Annexion von besetzten ukrainischen Gebieten als „flagrante Verstöße gegen das Völkerrecht“. Doch Brasilien will keine Panzermunition an die Ukraine liefern, worum Deutschland wohl schon vor Tagen gebeten haben soll, wie brasilianische Medien berichteten. „Brasilien will keinerlei Beteiligung an diesem Krieg, auch nicht indirekt“, erklärte Lula jetzt.

Argentinien, Brasilien und Mexiko gelten als wichtige Märkte für Russland

Mit seiner eher neutralen Position gegenüber Russland und der Ukraine ist Lula in Lateinamerika nicht allein. Für viele Staaten ist der Krieg weit weg, die ökonomischen und politischen Verbindungen mit Moskau aber sind stark.

Kurz nach dem russischen Angriff im Februar vergangenen Jahres veröffentliche die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eine Erklärung, die der russischen Föderation eine „rechtswidrige, ungerechtfertigte und grundlose Invasion in die Ukraine“ vorwarf. Allerdings fehlten einige prominente Staaten auf der Liste der Unterzeichner: Neben Brasilien auch Argentinien, Nicaragua und Bolivien.

>> Lesen Sie hier: Olaf Scholz ist spät dran – für Europa wird es eng in Südamerika

Die Positionen der lateinamerikanischen Staaten gegenüber Russland unterscheiden sich stark, je nach politischer Ausrichtung und wirtschaftlicher Abhängigkeit von Moskau. Argentinien, Brasilien und Mexiko gelten als wichtigste Märkte für Russland auf dem Subkontinent. Während Lulas letzter Amtszeit als brasilianischer Präsident stieg der bilaterale Handel zwischen den beiden Ländern stark an. So profitierten die Russen etwa von Rohrzucker, Sojabohnen, Kaffee und Fleisch aus Brasilien. Gleichzeitig ist Russland wichtigster Düngemittellieferant für Südamerikas Bauern.

Bislang tut sich Lula sehr schwer, sich vom russischen Staatschef Wladimir Putin und dessen Angriffskrieg in der Ukraine zu distanzieren. Immerhin revidierte der Brasilianer seine ablehnende Haltung gegenüber der Ukraine. Vor einem Jahr noch hatte er in einem Interview gesagt, dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski am Ausbruch des Kriegs genauso schuld sei wie Putin.

Beim Treffen mit Scholz betonte er zwar, Russland habe einen „klassischen Fehler“ gemacht, als es in das Hoheitsgebiet eines anderen Staates eingedrungen sei – revidierte diese Position aber gleich wieder. Es gebe ein brasilianisches Sprichwort: „Wenn einer nicht will, streiten zwei sich nicht“, erklärte Lula in einem längeren, anscheinend improvisierten Monolog. Er habe die Ursache des Kriegs im Übrigen bis heute nicht wirklich verstanden, so Lula, während er erwähnte, dass die Ukraine wohl in die Nato wolle. Papst Franziskus sehe das genauso. Auch der Krieg der USA gegen den Irak habe mit einer Lüge begonnen.

Russisches Narrativ verfängt auf dem Subkontinent

Lulas Worte dürften Scholz eine Erinnerung daran sein, dass längst nicht überall auf der Welt die gleichen Meinungen basierend auf den gleichen Informationen vorherrschen wie in den Regierungssitzen in Berlin oder Brüssel. Mithilfe von russischen Medien wie Russia Today, aber auch einer Präsenz in den sozialen Medien versucht Russland, seine Sichtweise in Lateinamerika zu verbreiten. In vielen Fällen verfängt dieses Narrativ vor allem dort, wo bereits ein starkes historisch gewachsenes Misstrauen gegenüber den Vereinigten Staaten vorherrscht.

In einem internen Papier, das die spanische Zeitung „El País“ veröffentlichte, warnte der Europäische Auswärtige Dienst im August deshalb vor einem wachsenden politischen Einfluss Russlands und kündigte eine europäische diplomatische Großoffensive an. Der Subkontinent sei in der Vergangenheit vernachlässigt worden, hieß es darin selbstkritisch.

>> Lesen Sie hier: Wie der argentinische Präsident sein Gas nach Deutschland verkaufen will

Eine Vernachlässigung, die sich nicht nur auf der diplomatischen Bühne zeigt. Viele Länder Lateinamerikas etwa erhielten den russischen Impfstoff Sputnik gegen Covid-19, bevor die Mittel der westlichen Hersteller zur Verfügung standen, darunter auch Argentinien.

Argentiniens Präsident Alberto Ángel Fernández verurteilte bei der Scholz-Reise den Aggressor Russland zwar klar, wenige Tage vor Kriegsbeginn hatte er bei einer Reise nach Moskau Argentinien allerdings noch als Brückenkopf russischer Interessen in Südamerika angepriesen. Auch mit China hat Argentinien vor einem Jahr ein Seidenstraßen-Abkommen abgeschlossen. Lediglich Chiles Regierungschef Gabriel Boric versprach Scholz, Schiffe in die Ukraine zu schicken, die im Schwarzen Meer russische Minen räumen sollen.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Chiles Präsident Gabriel Boric

Das Verhältnis der lateinamerikanischen Staaten zu Russland ist sehr unterschiedlich.


(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Und so bemühte sich die deutsche Delegation in Brasilia redlich, die Vorzüge einer engen Kooperation mit europäischen Partnern anzupreisen. Schon 2015 hatte Deutschland mit Brasilien eine strategische Partnerschaft vereinbart, die regelmäßige Treffen der Regierungen mit sich bringen sollte.

Doch nach dem Amtsenthebungsverfahren der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff kurz danach und der Wahl des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro als Präsident 2018 liegt die Partnerschaft auf Eis. Nun sollen mit Hochdruck die vorbereitenden Verhandlungen auf Ministerebene beginnen.

Um den guten Willen für einen Neubeginn zu zeigen, trat auch Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) in Brasilia großzügig auf: 200 Millionen Euro stellte sie Brasilien sofort für den Wiederaufbau der Institutionen und Projekte im Bereich Umwelt und Indigenenschutz zur Verfügung.

Mehr: Warum Südamerika dem Kanzler so wichtig ist



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