Oct 18, 2022
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Jeremy Hunt: Der heimliche Premierminister

Written by Torsten Riecke


Heimlicher Machtwechsel

Jeremy Hunt (M), Finanzminister von Großbritannien, spricht im britischen Unterhaus. Premierministerin Liz Truss (rechts) hört schweigend zu.



(Foto: dpa)

London Im Sommer hatte Jeremy Hunt seine politischen Ambitionen eigentlich schon begraben. Nur 18 Stimmen erhielt der 55-Jährige aus der konservativen Fraktion im Rennen um die Nachfolge von Boris Johnson als Parteichef und Premierminister. Das war das schlechteste Ergebnis aller Kandidaten.

Wohl auch deshalb dachte Hunt am Freitag vergangener Woche, er traue seinen Ohren nicht: Als ihn die britische Premierministerin Liz Truss in seinem Urlaub in Belgien sprechen wollte, habe er zunächst geglaubt, es handele sich um einen schlechten Scherz. So berichten es britische Medien.

Als die politisch stark angeschlagene Regierungschefin ihm dann auch noch den Job als Finanzminister anbot, brauchte Hunt zunächst einmal eine Bedenkzeit, heißt es. Schließlich hatte er nach seinem eigenen Ausscheiden im Rennen um die Parteispitze nicht Truss, sondern deren schärfsten Rivalen Rishi Sunak unterstützt.

Am Ende nahm Hunt das überraschende Angebot der Premierministerin an, setzte sich in den Eurostar-Zug nach London und ist seit Freitagnachmittag der mächtigste Politiker Großbritanniens.

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Niemand weiß genau, welche Bedingungen der zum moderaten Parteiflügel zählende Tory Truss für seine Zusage gestellt hat. Spätestens seit Hunt am Montag die unter dem Label „Trussonomics“ bekannt gewordene Agenda der Premierministerin aus Steuersenkungen auf Pump mit einem Kahlschlag beerdigt hat, zweifelt in London jedoch kaum noch jemand daran, dass nun er und nicht mehr die durch ihre zahlreichen Fehler und politischen Wendemanöver diskreditierte Truss die Macht in Händen hält.

Hunt ist es nach Meinung von Analysten durch sein schnelles und entschlossenes Handeln gelungen, die durch den finanzpolitischen Fehlstart der Premierministerin nervös gewordenen Finanzmärkte zunächst zu beruhigen.

Jeremy Hunt: Der neue starke Mann in Großbritannien

Der britische Finanzminister Jeremy Hunt verlässt sein Haus in London.



(Foto: Reuters)

Die Zinsen für britische Staatsanleihen sind gesunken, das Pfund hat sich an den Devisenmärkten erholt. „Besser spät als gar nicht“, begrüßte Benjamin Nabarro, Chefökonom der US-Großbank Citigroup in London, die von Hunt erzwungene Kehrtwende hin zu einer solideren Finanzpolitik.

Bei seinem ersten Auftritt als Finanzminister im britischen Parlament machte der neue Finanzminister am Montag selbstbewusst deutlich, dass er den Kurswechsel weiter durchziehen will. Hunt stutzte die Energiehilfen der Premierministerin zurecht, deutete Kürzungen bei den Sozialausgaben an, stellte den Inflationsausgleich der Renten infrage und wollte auch eine weitere Sondersteuer auf die Krisengewinne der Energiekonzerne nicht ausschließen.

Truss musste indes schweigend mitanhören, wie ihr Finanzminister Maßnahmen ankündigte, die sie noch vor wenigen Tagen kategorisch ausgeschlossen hatte.

Dabei gilt der meist umgänglich auftretende Hunt nicht unbedingt als skrupelloser Machtpolitiker. Anders als die Mehrheit seiner Partei und die auch in dieser Frage gewendete Premierministerin ist Hunt zudem ein „Remainer“ und hat gegen den Austritt seines Landes aus der EU gestimmt.

„Jeremy Hunt als Schatzkanzler ist jemand, der meinen Wunsch nach einer wachstumsstarken Wirtschaft mit niedrigen Steuern teilt.“ Liz Truss zur Ernennung ihres neuen Finanzministers

Von den zwölf Jahren, die die Tories in Westminster regieren, saß der an Eliteschulen und in Oxford ausgebildete und in London geborene Politiker neun Jahre am Kabinettstisch – davon allein sechs Jahre als Gesundheitsminister. Jenseits des Königreiches ist er vor allem durch seine kurze Amtszeit als britischer Außenminister 2018/19 bekannt.

Außerhalb der Politik hat Hunt sich als gewiefter Geschäftsmann ein beachtliches Vermögen erwirtschaftet. Damals wie heute ist die ruhige, unaufgeregte Amtsführung seine herausragende Qualität. „A safe pair of hands“, sagen die Briten.

Wagt Hunt den Sprung nach ganz oben und bewirbt sich um die Nachfolge von Truss?

„Jeremy Hunt als Schatzkanzler ist jemand, der meinen Wunsch nach einer wachstumsstarken Wirtschaft mit niedrigen Steuern teilt“, begründete Truss ihre überraschende Wahl. Das stimmt aber nur zum Teil: Richtig ist zwar, dass auch der neue Finanzminister glaubt, niedrige Unternehmensteuern sorgten für Wirtschaftswachstum. Und während des Sommers plädierte Hunt auch dafür, die Körperschaftsteuer von 19 auf 15 Prozent zu senken.

Doch nun will er sie von 19 auf 25 Prozent erhöhen. Steuersenkungen, so der neue Kassenwart, werde es erst geben, wenn die wirtschaftliche Lage das zulasse. Die Finanzmärkte lassen ihm keine andere Wahl.

Ob er mit dieser Prämisse in der auf niedrige Steuern eingeschworenen Konservativen Partei gar als Nachfolger für die kaum noch zu haltende Regierungschefin infrage kommt, wird sich vermutlich bereits Ende Oktober zeigen. Dann will Hunt seinen ersten Haushalt vorlegen und ist bei dem danach anstehenden Sparkurs auf die Unterstützung seiner zerstrittenen Fraktion angewiesen.

Er selbst weist höhere Ambitionen weit von sich. Weder seine Frau noch seine drei Kinder würden ihn gern in 10 Downing Street sehen, sagt Hunt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass ein überraschender Telefonanruf ihn umstimmen könnte.

Mehr: Finanzminister Hunt beerdigt Agenda von Premierministerin Truss – Märkte reagieren positiv



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Politik

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