Feb 6, 2023
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Arbeitsmarkt: Auswege aus der Fachkräftemisere – und ihre Grenzen

Written by Frank Specht


Die Bundesagentur für Arbeit unterstützt die Qualifizierung von Beschäftigten

Aktuell werden 31.000 Personen gefördert.


(Foto: IMAGO/Rolf Poss)

Berlin Der Titel ist plakativ: „Ohne Hände keine Wende“ haben die Manager ihren offenen Brief an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) überschrieben. Wenn Deutschland jetzt nicht den „Fachkräfte-Turbo“ zünde, dann seien die ambitionierten Klimaschutzziele in Gefahr, warnen die Chefs von Lichtblick, 1Komma5, Thermondo und anderen Energiewende-Unternehmen. Der Arbeitskräftemangel stelle „aktuell eine der größten Herausforderungen für den Klimaschutz“ dar, sagt Lichtblick-Chef Constantin Eis.

Nicht nur für den Klimaschutz. Auf dem Bau, in der Pflege, in den Schulen – überall werden Mitarbeiter gesucht. Die Personalknappheit habe sich zuletzt verstärkt, sagte Vanessa Ahuja, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA), dem Handelsblatt.

„Und wir laufen in einen eklatanten Fach- und Arbeitskräftemangel hinein, wenn die Babyboomer-Jahrgänge in den Ruhestand gehen.“ Die Demografie lässt das Arbeitskräftepotenzial bis zum Jahr 2035 um sieben Millionen Personen schrumpfen, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) berechnet.

Schon heute finden sich laut Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) für 530.000 offene Stellen keine entsprechend qualifizierten Bewerber. Zwar gibt es aktuell noch rund 2,6 Millionen Arbeitslose. Mehr als jeder zweite sucht aber einen Helferjob, während nur für 20 Prozent der offenen Stellen keine besonderen Qualifikationen erforderlich sind.

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Lindern könnte den Arbeitskräftemangel eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen. Zwar sind laut Statistikamt Eurostat mittlerweile rund drei von vier Frauen erwerbstätig. Doch die hohe Teilzeitquote der weiblichen Beschäftigten von 47,5 Prozent wird in der EU nur von Österreich und den Niederlanden noch übertroffen. Leider hapere es aber immer noch an den Rahmenbedingungen, etwa einer ausreichenden Kinderbetreuung auch in Randzeiten, sagte Ahuja.

Bei der Beschäftigung Älterer hat sich zuletzt viel getan. So ist die Erwerbsquote der 55- bis 64-Jährigen zwischen 2012 und 2021 um zehn Prozentpunkte auf 72 Prozent gestiegen. Deutschland liegt damit in der EU hinter Schweden und Dänemark auf Rang drei.

534 Millionen Euro für die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen

Fachkräftepotenzial heben ließe sich noch bei den Un- und Angelernten. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) weist immer wieder darauf hin, dass Jahr für Jahr rund 45.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen. Und dass in Deutschland 1,3 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 leben, die keine berufliche Erstausbildung haben. Auch Menschen, die angesichts des Strukturwandels in ihrem bisherigen Job keine Perspektive mehr haben, können auf neue Aufgaben vorbereitet werden.

Die Instrumente und Fördermittel sind da. Um auch Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern, haben die gemeinsam von der BA und den Kommunen betriebenen Jobcenter im vergangenen Jahr 534 Millionen Euro ausgegeben, beispielsweise für Lohnkostenzuschüsse an Arbeitgeber.

Auch Beschäftigte lassen sich mit Förderung der BA qualifizieren, aktuell etwa 31.000. Allerdings gebe es momentan 25 verschiedene Varianten, sagt Ahuja. „Da blickt niemand mehr durch.“ Die BA-Vorständin begrüßt deshalb, dass die Bundesregierung mit dem geplanten Weiterbildungsgesetz die Förderung vereinfachen will. Künftig soll es nur noch drei nach Betriebsgröße gestaffelte Varianten geben.

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Doch gibt es im Referentenentwurf für das Weiterbildungsgesetz, den Heil im Dezember vorgelegt hatte, auch Elemente, die der Bundesagentur nicht so gut gefallen. Das gilt etwa für die geplante Bildungszeit. Beschäftigte sollen sich für eine Qualifizierung oder Umschulung von ihrem Arbeitgeber ganz oder teilweise freistellen lassen können. Dafür erhalten sie eine finanzielle Förderung.

Da die Bildungsteilzeit auf individuelle Bildungsbedarfe ziele, sollte sie nicht wie geplant aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung, sondern aus Steuern finanziert werden, betont Ahuja. Außerdem müsse sie klar von anderen Förderinstrumenten abgegrenzt werden.

>> Lesen Sie hier: Wirtschaftsverbände kritisieren Heils Konzept für Bildungszeit

Der Blick auf die Finanzen ist aus BA-Sicht auch deshalb wichtig, weil die Nürnberger Behörde in diesem Jahr mit dem Wiederaufbau der in der Coronakrise auf null abgeschmolzenen Rücklage beginnen will, um für künftige Krisen auf dem Arbeitsmarkt gewappnet zu sein. Doch durch die neuen Förderangebote des seit Jahresbeginn geltenden Bürgergelds und die bisher bekannten neuen Regeln im Weiterbildungsgesetz kommen auf die BA mittelfristig jährliche Zusatzkosten in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zu.

Punktesystewm bei Einwanderungsreform „nicht der Königsweg“

Die Unterzeichner des offenen Briefs an Wirtschaftsminister Habeck betonen aber auch, dass für langwierige Umschulungen nicht immer Zeit sei. In einigen Bereichen, etwa bei der Photovoltaik-Installation, sollten Bundesregierung und Arbeitsagentur deshalb pragmatisch auch Schnellqualifizierungen auf den Weg bringen. Nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung des bewährten dualen Ausbildungswegs, schreiben die Firmenchefs. Außerdem müssten Fachkräfte mit Energiewende-Qualifikation auch aus dem Ausland angelockt werden.

BA-Vorstandsmitglied Vanessa Ahuja

„Wir laufen in einen eklatanten Fach- und Arbeitskräftemangel hinein, wenn die Babyboomer-Jahrgänge in den Ruhestand gehen.“


(Foto: BMAS)

Hier will die Bundesregierung mit der geplanten Einwanderungsreform helfen. Unter anderem ist geplant, dass Fachkräfte mit Berufserfahrung künftig auch in Deutschland arbeiten können sollen, wenn ihr Berufsabschluss noch nicht als gleichwertig anerkannt ist. Ahuja spricht hier von einem echten Paradigmenwechsel: „Es ist wirklich innovativ, dass wir Einwanderungswilligen mit Berufsabschluss nicht erst ein langwieriges Anerkennungsverfahren zumuten.“

Skeptischer sieht sie die sogenannte Chancenkarte, die anhand eines Punktesystems Ausländern auch ohne konkretes Arbeitsplatzangebot die Einreise zur Jobsuche ermöglichen will. Dies sei „sicher nicht der Königsweg“. Der Referentenentwurf lässt derzeit beispielsweise offen, welche Behörde künftig dann eigentlich die Punkte vergeben soll.

Mehr: Die Einwanderungsillusion – warum uns mehr Zuwanderung nicht vor dem Arbeitskräftemangel bewahren wird



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Politik

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