Feb 7, 2023
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Migration: EU droht neuer Streit über die Migrationspolitik

Written by Moritz Koch


Brüssel, Berlin Der Europäischen Union droht neuer Streit über die Migrationspolitik. Anlass ist ein Vorstoß Schwedens, das zu Jahresbeginn die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. In einem aktuellen Entwurf der Schlussfolgerungen des EU-Gipfels an diesem Donnerstag in Brüssel dringt die Ratspräsidentschaft darauf, den Visahebel in der Migrationspolitik stärker zu nutzen, um Druck auf in Migrationsfragen unkooperative Staaten auszuüben.

Wie viel Druck die EU auf Herkunftsländer ausüben sollte, mit denen die Kooperation schwierig ist, und wie sehr andererseits positive Anreize für Zusammenarbeit geschaffen werden sollten, ist allerdings umstritten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ist dagegen, die EU-Visapolitik offensiv als Druckmittel zu verwenden. Schweden ist dafür – wohl auch, wegen der starken Position der Schwedendemokraten in der Regierung.

Seit den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst ist die neue Mitte-rechts-Regierung von Ministerpräsident Ulf Kristersson von der Unterstützung der Rechtsextremen abhängig. Und diese aus der Neonaziszene hervorgegangene Partei befindet sich auf Kollisionskurs zu den Zielen der EU, vor allem was die Themen Migration und Rechtsstaatlichkeit betrifft.

In dem Gipfel-Papier der Ratspräsidentschaft heißt es denn auch: Es müsse „rasch gehandelt werden, um eine effektive Rückkehr aus der Europäischen Union und aus Drittländern entlang der Routen in die Herkunftsländer zu gewährleisten.“ Vorgeschlagen werden verschiedene Maßnahmen, darunter auch die Visapolitik.

Die EU-Kommission solle die Möglichkeiten des „Visakodexes in vollem Umfang zu nutzen, einschließlich der Möglichkeit, restriktive Visamaßnahmen in Bezug auf Drittländer einzuführen, die bei der Rückkehr nicht kooperieren“.

EU-Mitgliedstaaten blockieren sich seit Jahren gegenseitig

Die EU versucht schon seit Jahren, mehr Ausländer ohne Bleiberecht abzuschieben, kommt aber kaum voran. 2021 befand der Europäische Rechnungshof, das bestehende System sei in hohem Maße ineffizient und bewirke „das Gegenteil dessen, was es eigentlich soll: Statt abzuschrecken, leistet es illegaler Migration Vorschub“.

In Zahlen sieht das so aus: 2019 lag die Quote ausreisepflichtiger Menschen, die die EU tatsächlich verließen, bei 29 Prozent. 2021 waren es – wohl auch pandemiebedingt – nur 21 Prozent. Dabei hatte die EU-Kommission noch 2018 ein Ziel von rund 70 Prozent ausgerufen.

Mehr Rückführungen wären aus Sicht vieler EU-Staaten auch deshalb wichtig, weil die Asylsysteme vieler Länder völlig überlastet sind. Die Zahl der Asylanträge stieg im vergangenen Jahr um fast 50 Prozent auf 924.000. Hinzu kommen die vier Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die in der EU kein Asyl beantragen müssen.

Schweden, das zu Jahresbeginn die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, hat das Thema Migration wieder stärker auf die europäische Agenda gesetzt. Eine umfassende Reform des Asylsystems gilt in Brüssel allerdings als unwahrscheinlich. Die Mitgliedstaaten blockieren sich seit Jahren gegenseitig. Stattdessen will man nun in Einzelfragen wie der Abschiebediskussion vorankommen.

Auch die EU-Kommission sieht dringenden Handlungsbedarf. In einem Brief an die Mitgliedstaaten schrieb Kommissionschefin Ursula von der Leyen kürzlich: „Die EU hat einen starken Anstieg der irregulären Ankünfte über die Mittelmeerrouten und den westlichen Balkan verzeichnet – die höchsten Zahlen seit 2016. Das Migrationsmanagement steht auch ganz oben auf der Liste der Themen, bei denen die Bürger eine starke Reaktion der EU erwarten.“

>> Lesen Sie hier: Wegen Geflüchteter am Limit – Wie ein Hilferuf aus Hessen ungehört verhallte

Nach Angaben der Kommission haben etwa 60 Prozent der Asyl-Antragsteller kein Recht auf internationalen Schutz und überlasteten die Aufnahmekapazitäten. Probleme bei der Rückführung kann es etwa dann geben, wenn die Heimatländer bewusst keine Ausweisdokumente für ihre Bürger ausstellen, weil sie die Menschen nicht zurücknehmen wollen.

Ebenso kann es vorkommen, dass Drittstaaten die von EU-Ländern ausgestellten Dokumente nicht anerkennen. Eine Rückführung ist in solchen Fällen nicht möglich, weil Fluggesellschaften die Migranten dann nicht mitnehmen. Weil das viele der Asylsuchenden wissen, entsorgen oder verstecken sie schon vor Antragstellung ihre Ausweisdokumente und erschweren damit Abschiebungen.

Deutschland hat in Migrationsfragen nur noch wenige Verbündete

Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft wirbt in ihrem Papier mit Blick auf unerwünschte Migration für eine „einheitliche, umfassende und wirksame EU-Politik“. Zudem macht sie sich für eine wirksame Kontrolle der EU-Außengrenzen stark. Der Europäische Rat bekräftige seine „uneingeschränkte Unterstützung“ für die Grenzschutztruppe Frontex „bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und bei der Intensivierung der Rückführung“ von Migranten.

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Bisher hat die EU-Kommission allerdings nur für vier Länder vorgeschlagen, den Visahebel nach Artikel 25a des Visakodexes anzuwenden: Bangladesch, Irak, Gambia und Senegal. Die EU-Staaten wiederum haben den Vorschlag nur für Gambia angenommen. Aus der EU-Kommission heißt es, der Sinn von Artikel 25a sei nicht dessen Anwendung, sondern vor allem die Drohung damit. So sei die Zusammenarbeit mit Bangladesch schon besser geworden. Durch den Artikel besteht die Möglichkeit, durch die Visavergabe Druck auf Länder zu machen, die ihre Staatsangehörigen nicht zurücknehmen. So könnte etwa die Bearbeitungszeit von Visaanträgen länger dauern oder Gebühren angehoben werden.

Faeser äußerte sich jüngst zurückhaltend. „Ich glaube, dass der Weg über Migrationsabkommen der bessere ist“, sagte die Ministerin. Solche Abkommen sollen Erleichterungen bei der legalen Migration mit Kooperation bei der Rücknahme verbinden. Deutschland hat dazu kürzlich mit Indien eine Vereinbarung getroffen. Weitere sollen folgen. Faeser will dazu im Frühjahr mit ihrem französischen Kollegen Gérald Darmanin nach Nordafrika reisen.

Bislang hat Faeser auf dem Gebiet der Rückführungen nur wenige Fortschritte vorzuweisen. 2022 wurden 12.945 Menschen aus Deutschland abgeschoben. 2019 waren es noch mehr als 22.000 gewesen. Für Faeser ist das Thema auch deshalb schwierig, weil es zu einem Großteil in der Verantwortung der Bundesländer liegt.

Nancy Faeser

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach sich dagegen aus, die EU-Visapolitik offensiv als Druckmittel zu verwenden.



(Foto: dpa)

In Brüssel hat Deutschland in Migrationsfragen nur noch wenige Verbündete – Luxemburg und Portugal etwa. Eine deutliche Mehrheit der EU-Staaten spricht sich inzwischen für eine Politik der Härte aus. Alles, was dazu beiträgt, die Migrationszahlen zu reduzieren, gilt demnach als erwägenswert.

Auch der Widerstand gegen den Bau von Grenzzäunen lässt nach. Im Entwurf der Schlussfolgerungen fordert der Rat „die Mobilisierung von EU-Mitteln zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Verstärkung von Grenzkontrollkapazitäten und -infrastrukturen, Überwachungsmitteln, einschließlich Luftüberwachung, und Ausrüstung“.

Zwar wird der Begriff Zaun nicht explizit erwähnt, aber durch die EU-Hilfen für Überwachungstechnologie werden in den Staaten an EU-Außengrenzen Mittel frei, die sie dann für den Bau von Grenzzäunen ausgeben können.

Mehr: „Belastungsgrenze vielfach überschritten“ – Kommunen sorgen sich um gesellschaftlichen Zusammenhalt



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