Feb 10, 2023
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Kartellrecht: FDP ringt mit Habeck um Paradigmenwechsel in der Wettbewerbspolitik – und mit sich selbst

Written by Julian Olk

Berlin Der Auslöser heißt ausgerechnet Christian Lindner (FDP). Im Frühsommer 2022, mit dem Start des Tankrabatts, verlangte der Finanzminister nach den Wettbewerbshütern des Bundeskartellamtes. Es sei nun Aufgabe der Behörde, dass die Steuersenkung auf Sprit von den Tankstellen an die Kunden weitergereicht würde, twitterte er.

Der Parteichef dürfte damals kaum geahnt haben, was er auslöste. Erst legte Regierungskollege Robert Habeck (Grüne) einen Gesetzentwurf vor, der nicht weniger als ein Paradigmenwechsel in der Wettbewerbspolitik wäre. Dann blockierten die FDP-Ministerien höchstselbst. Ein Brief treibt die Posse weiter. Und jetzt stärkt ein Ex-FDP-Wirtschaftsminister Habeck den Rücken.

Wie es zu all dem kam? Das Problem beim Tankrabatt: Das Kartellamt hat gar keine Befugnis, auf die Tankstellen einzuwirken. Die Wettbewerbshüter können nur eingreifen, wenn sie illegales Verhalten feststellen, in der Regel geht es dabei um Preisabsprachen.

Den Kraftstoff-Markt und damit die Preise dominieren einige wenige Konzerne, was den Verbrauchern schaden kann. Illegale Preisabsprachen konnten aber nie nachgewiesen werden. Das Kartellamt ist damit machtlos. Spätere Untersuchungen zeigten zwar, dass der Tankrabatt doch ganz gut funktionierte. Doch wettbewerbsschädigende Macht ist auch in anderen Märkten zu finden.

Schon im Koalitionsvertrag war angedeutet, daran etwas ändern zu wollen. Habeck priorisierte dieses Projekt nach Lindners Vorstoß. Im September legte sein Ministerium einen Gesetzentwurf für das Wettbewerbsrecht vor.

Und der hatte es in sich: Habeck will, dass das Kartellamt verdachtsunabhängig beliebige Wirtschaftssektoren untersuchen und massiv eingreifen können soll. Es müsste keine illegalen, sondern nur noch wettbewerbsschädigende Strukturen feststellen.

Bundeskartellamt

Behördenchef Andreas Mundt, FDP-Mitglied, bekäme durch das neue Gesetz einen erheblichen Machtzuwachs.


(Foto: Imago Images)

Die Behörde könnte dann die Offenlegung von Daten, Vorgaben für die Vertragsgestaltung der Unternehmen und als letztes Mittel sogar die Zerschlagung von Konzernen vorschreiben.

FDP-Ministerien blockierten Gesetz für zwei Monate

Anfang Dezember wagten Habecks Leute den ersten Versuch und wollten das Gesetz auf die Tagesordnung des Bundeskabinetts bringen. Doch die FDP-geführten Ressorts Finanzen und Justiz legten ihr Veto ein.

Das tun sie bis heute, erfuhr das Handelsblatt aus Regierungskreisen. Im Januar spitzte Justizminister Marco Buschmann (FDP) den Konflikt zu, als er einen langen Katalog mit grundsätzlichen Fragen zum Gesetz an Habecks Beamte schickte.

>> Lesen Sie hier: Tankrabatt wurde „überwiegend“ weitergegeben – keine Anzeichen für Absprachen

Was genau die liberalen Häuser wollen, dazu gibt es unterschiedliche Signale. Grundsätzlich hatten sie einer Stärkung des Kartellamts zuvor zugestimmt. Bei der konkreten Ausgestaltung ist jetzt von politischen wie rechtlichen Vorbehalten zu hören, bis zur ultimativen Forderung mancher, den Paradigmenwechsel auf die nächste Gesetzesnovelle zu verschieben. Die ist auch noch für die laufende Legislaturperiode angedacht. Die Zeit wird allerdings knapp, eine Verschiebung könnte zum Scheitern von Habecks Vorhaben führen.

Zapfsäulen

Auf den Wettbewerb zwischen den Tankstellen-Betreibern haben die Wettbewerbsbehörden bislang kaum Einfluss.


(Foto: imago/Gerhard Leber)

Zuletzt sind aus den Regierungskreisen aber Signale des Fortschritts zu vernehmen. Die Verhandlungen liefen konstruktiv, man sei schon bei Detailfragen. So dürften mindestens die Hürden erhöht werden, wann das Kartellamt eingreifen darf.

Habeck sprach am Mittwoch im Bundestag davon, dass man sich „bald“ einig werde. Die meisten Beteiligten gehen davon aus, dass das Gesetz im März ins Kabinett geht. Von einer Vorentscheidung will aber noch keiner sprechen. Die drei Ministerien wollten sich auf Anfrage nicht äußern.

Fraktion fürchtet vom Staat designte Märkte

Jetzt aber formiert sich neuer Widerstand, diesmal aus der FDP-Fraktion. Die Wirtschaftspolitiker Reinhard Houben und Gerald Ullrich haben sich diese Woche in einem Brief an Habeck gewandt. Vor einem „erheblichen Machtzuwachs des Bundeskartellamtes“ warnen der wirtschaftspolitische Sprecher und der für Wettbewerbspolitik zuständige Abgeordnete darin.

>> Lesen Sie hier: Die Ampel kann sich bei diesen zentralen Projekten nicht einigen

„Eine Behörde sollte nicht […] die Kompetenzen erhalten, Märkte entflechten oder mit umfassenden vorgelagerten Maßnahmen Märkte designen zu können“, heißt es in dem Schreiben, das dem Handelsblatt vorliegt.

Es sei zudem das falsche Signal, „die Handlungsfreiheit von Unternehmen in dieser schwierigen Zeit durch neue Eingriffsrechte des Staates zu beschränken“. Houben und Ullrich plädieren dafür, den wettbewerbspolitischen Paradigmenwechsel zu verschieben.

Brüderle: „Wünsche Habeck viel Glück“

Doch ein prominenter FDPler stellt sich an Habecks Seite. Es ist Rainer Brüderle, selbst Bundeswirtschaftsminister von 2009 bis 2011. „Es hat mich sehr gefreut, dass Herr Habeck genau die Dinge im Kartellrecht angeht, für die ich mich auch schon eingesetzt hatte“, sagte Brüderle dem Handelsblatt.

„Ich wünsche ihm viel Glück dabei, dass er mit seinem völlig berechtigten Reformvorhaben Erfolg hat“, sagte der inzwischen 77-Jährige, der während seiner Amtszeit mit einem – die einen sagen mehr, die anderen weniger – vergleichbaren Vorschlag am unionsgeführten Kanzleramt scheiterte.

Rainer Brüderle

„Wer hinter der sozialen Marktwirtschaft steht, braucht auch einen wirksamen ordnungspolitischen Wettbewerbsrahmen – nicht nur in Sonntagsreden, sondern in der täglichen Praxis“, sagt der frühere FDP-Wirtschaftsminister.


(Foto: Imago Images)

Der Angst davor, dass der Staat Märkte designt, stehen Glückwünsche gegenüber, vereint in ein und derselben Partei. Wie kann das sein? Die Debatte um das Wettbewerbsrecht ist ein Beispiel für die zwei Ebenen wirtschaftlicher Freiheit.

Grundsatzfrage um Marktwirtschaft und Ordnungspolitik

Liberale wie Houben und Ullrich argumentieren mit Freiheitsrechten. Sie glauben, dass auch ein schlechter Markt noch besser funktioniert als einer, in den der Staat eingreift. Angebot und Nachfrage klärten besser, wie Güter verteilt werden, als ein Staat, der nicht allwissend gegenüber dem wirtschaftlichen Geschehen ist.

Andere Liberale wie Brüderle stimmen dem zu, aber mit deutlichen Einschränkungen. Möglichst viel Wettbewerb erschafft die besten Märkte, so die Denke. Und ist der Wettbewerb besonders stark eingeschränkt, muss der Staat den Rahmen ändern.

„Die geplanten Maßnahmen stellen selbstverständlich einen starken Freiheitseingriff dar“, sagte Brüderle. Aber bei starken Marktpositionen brauche man ein „scharfes Wettbewerbsrecht, um nicht noch viel größere Freiheitseinschränkungen auszulösen“.

Das sieht auch ein weiteres bekanntes FDP-Mitglied so: Kartellamtschef Andreas Mundt. Der schrieb kürzlich in der „Neuen Zeitschrift für Kartellrecht“, „die neuen Befugnisse bieten die Chance, […] überhaupt erst wieder Wettbewerb zu ermöglichen“. Welche Grundüberzeugung sich in der FDP durchsetzt, dürfte sich zeitnah zeigen.

Mehr: Elga Bartsch wird Habecks Chefökonomin – erste Frau in dieser Position



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