Feb 14, 2023
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Berlin-Wahl: Warum nicht die stärkste Partei regieren muss

Written by Martin Greive


Kai Wegner, Spitzenkandidat der CDU

Fast zehn Prozentpunkte liegen die Christdemokraten vor der zweitplatzierten SPD.



(Foto: dpa)

Berlin Schon bevor in Berlin das Ergebnis zur Wahl des neuen Abgeordnetenhauses überhaupt feststand, wurde der Wahlausgang skandalisiert. Rot-Grün bereite einen „Wahl-Klau“ vor, wurde getitelt.

Wenn die CDU stärkste Kraft in der Hauptstadt werde, dann müsse die Partei doch selbstverständlich auch den Regierenden Bürgermeister stellen.

Nachdem die CDU tatsächlich triumphierte, beanspruchte die CDU den Regierungsauftrag für sich. „Der Regierungsauftrag liegt bei der stärksten Kraft. Punkt“, sagte CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Selbst in den Reihen von Grünen und SPD gibt es einige Politiker, die den Regierungsauftrag bei den Konservativen sehen.

Fast zehn Prozentpunkte liegen die Christdemokraten vor der zweitplatzierten SPD. Der Regierungsauftrag läge damit nicht beim bisher regierenden Linksbündnis, das zwar weiter eine Mehrheit hat, dessen stärkste Partei aber gerade mal 18,4 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt.

Die deutsche Geschichte ist allerdings voll von Beispielen, dass es häufig anders läuft und der abgeschlagene Zweitplatzierte eine Regierung anführt und nicht die Partei, die die Wahl gewonnen hat. Und zwar auf Landes- wie auf Bundesebene.

Sozialliberale Koalition im Bund

Die sozialliberale Koalition unter den Kanzlern Willy Brandt (SPD) und Helmut Schmidt (SPD) hätte es nie gegeben, wenn SPD und FDP das Feld der stärksten politischen Kraft überlassen hätten. Denn das war auch 1969 die CDU.

Grüne akzeptieren Giffey als mögliche Regierungschefin

Die Konservativen gewannen damals mit 46,1 Prozent vor der SPD mit 42,7 Prozent die Wahl. Doch weil es knapp für eine Mehrheit mit der FDP reichte, nutzte Willy Brandt die Gunst der Stunde und wurde erster sozialdemokratischer Bundeskanzler.

Noch deutlicher war der Wahlsieg der CDU 1976. In dem Jahr schrammten die Konservativen mit 48,6 Prozent nur knapp an der absoluten Mehrheit vorbei, die SPD kam lediglich auf 42,6 Prozent. Helmut Schmidt und der FDP war das egal. Sie setzten ihr Bündnis dennoch fort.

Bürgerschaftswahl in Hamburg 2001

Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg im Jahr 2001 waren die Verhältnisse umgekehrt. Damals siegte die SPD mit 36,5 Prozent klar und deutlich von der CDU, die nur auf 26,2 Prozent kam. Der Abstand damals in der Hansestadt zwischen SPD und CDU war also in etwa so groß wie jetzt zwischen CDU und SPD in Berlin. In Hamburg stellte damals dann die zweitplatzierte CDU die Regierung mit Ole von Beust und schmiedete eine Koalition mit dem Rechtspopulisten Ronald Schill.

Baden-Württemberg 2011

Noch klarer als in Hamburg war der Abstand zwischen Rang eins und Platz zwei 2011 in Baden-Württemberg. Die CDU damals holte 39 Prozent der Stimmen, die zweitplatzierten Grünen lagen mit 24,2 Prozent weit dahinter.

Winfried Kretschmann

Winfried Kretschmann wurde erster grüner Ministerpräsident.


(Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen)

Und dennoch kam es zum Machtwechsel, weil es für ein Bündnis aus Grün-Rot reichte. Winfried Kretschmann wurde so erster grüner Ministerpräsident. Nicht nur im Ländle, sondern bundesweit. Und ist es bis heute.

Thüringen 2014 und 2019

In Thüringen wiederholte sich drei Jahre nach der Wahl Ähnliches wie in Baden-Württemberg. Mit Bodo Ramelow wurde erstmals ein Politiker von der Linkspartei Ministerpräsident. Und auch er schaffte dies von Platz zwei aus. Auch hier lag die CDU mit 37,7 Prozent deutlich vor der Linkspartei, die auf 29,4 Prozent kam. Doch Rot-Rot hatte eine Mehrheit und wählte Ramelow zum neuen Landesvater.

Das ist Ramelow bis heute – mit einer kurzen Unterbrechung im Jahr 2019. Zwar gewann Ramelow die Wahl damals deutlich mit 31 Prozent vor der AfD und der CDU, doch es kam keine Mehrheit zustande.

Bodo Ramelow

Mit Bodo Ramelow wurde erstmals ein Politiker von der Linkspartei Ministerpräsident.


(Foto: IMAGO/Fotostand)

Dann wählten CDU und FDP, die es mit fünf Prozent der Stimmen knapp in den Landtag geschafft hatte, mit den Stimmen der AfD plötzlich FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten. Ein Skandal, der bundespolitisch hohe Wellen schlägt. Nach drei Tagen im Amt trat Kemmerich wieder zurück.

Niedersachsen 1955: Der lachende Dritte

Bereits vor den Ereignissen in Thüringen war es 1955 in Niedersachsen zu einer ungewöhnlichen Wahl gekommen. Bei der Landtagswahl holt die SPD mit 35,2 Prozent klar den Sieg. Dennoch kam es zu einer konservativen Koalition aus CDU, Deutscher Partei (DP), Gesamtdeutschem Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten sowie der FDP.

Die CDU ist zwar die stärkste Partei in dieser Koalition, der amtierende CDU-Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf muss trotzdem nach neun Jahren sein Amt abgeben, zum Ministerpräsidenten wählt die Koalition Heinrich Hellwege von der DP. Grund dafür sollen interne Streitereien in der CDU gewesen sein. Ein paar Jahre später löste sich das Problem aber von selbst: 1961 tritt Hellwege der CDU bei.

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All die Beispiele zeigen: So kompliziert Politik auch ist, wenn es um Macht geht, ist es doch ganz einfach: Mehrheit ist Mehrheit. Auch eine drittplatzierte Partei kann dann einen Ministerpräsidenten stellen.

Mehr: Die Ampelkoalition startet mit einem Stimmungsdämpfer ins Jahr



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