Istanbul Recep Tayyip Erdogan hat an diesem Wochenende den Bau eines Umschlagpunkts für Gas aus Russland angekündigt. Vorerst würden die Türkei und Russland gemeinsam Vorbereitungen treffen, danach werde man zur Tat schreiten, sagte Erdogan am Freitag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. „Es gibt hier keine Verzögerung. Wir haben diese Entscheidung heute sofort unserem Minister für Energie und natürliche Ressourcen mitgeteilt“.
Auch Gazprom-Chef Alexey Miller sei an diesem Projekt beteiligt. Für ein Verteilungszentrum kommt laut des türkischen Präsidenten die westtürkische Region Thrakien als „geeignetster Ort“ in Frage.
Erdogan hatte am Vortag Kreml-Chef Wladimir Putin getroffen. Russlands Präsident hatte vorgeschlagen, die Türkei mithilfe russischen Gases zu einem Umschlagpunkt und einer Börse für Erdgas auszubauen. „Wenn die Türkei und unsere potenziellen Käufer Interesse haben, könnten wir den Bau noch einer Gasleitung und die Schaffung eines Gas-Hubs in der Türkei in Betracht ziehen für den Verkauf in Drittländer, vor allem in Europa“, bot Putin seinem türkischen Kollegen Erdogan der Nachrichtenagentur Interfax zufolge an. Darüber hinaus könnte in der Türkei auch eine Gasbörse zur Preisermittlung entstehen, schlug Putin vor.
Die Türkei strebt seit langem danach, ein Drehkreuz für Energie zu werden. Doch die neue Gasbörse in der Türkei droht von Anfang an zur Luftnummer zu werden – und selbst in der türkischen Hauptstadt scheint nicht klar zu sein, wie weit das Projekt überhaupt reifen kann.
Top-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Zunächst sind die Tatsachen deutlich nüchterner als die Worte der beiden Staatschefs. Die Türkei prüft demnach zunächst einen russischen Vorschlag, das Land zu einem Gasknotenpunkt für Europa zu machen. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte genau genommen, die Türkei und Russland hätten zunächst ihre jeweiligen Energiebehörden angewiesen, technische Studien anzustoßen. Das klingt nicht nach einem Bauauftrag für eine neue Pipeline.
Apropos Pipeline: Es existiert längst eine Röhre von Russland durch das Schwarze Meer bis ins westtürkische Thrakien, mitsamt Verteilzentrum: Turkstream. Die Pipeline wurde komplett von Gazprom finanziert und versorgt je zur Hälfte die Türkei und den Balkan. Am 8. Januar 2020 wurde Turkstream feierlich in Betrieb genommen. Die Kapazität beträgt 31,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, verteilt auf zwei Pipelinestränge.
Über die bereits bestehende Trans-Adria-Pipeline (TAP), die aserbaidschanisches Gas über den südlichen Gaskorridor über die Türkei nach Südeuropa liefert, könnte theoretisch auch russisches Gas transportiert werden.
Doch hier beginnen die Probleme: Denn niemand möchte mehr russisches Gas kaufen. Bereits die TAP-Pipeline sowie die türkische Verlängerung TANAP bis nach Aserbaidschan wurde 2015 mit dem Ziel geplant, die Abhängigkeit von Russland zu verringern.
Welchen Nutzen ein mögliches Verteilzentrum in der Westtürkei bringen soll, ist daher fraglich. Eine Weiterleitung des russischen Gases über die Türkei in den Mittleren Osten oder nach Afrika ist unrealistisch beziehungsweise teuer. Außerdem gibt es im östlichen Mittelmeer Streitigkeiten darum, wie die Seegrenzen verlaufen – der Bau einer Pipeline durch umstrittene Gebiete ist unwahrscheinlich.
Putin braucht europäische Gaskäufer
Wahrscheinlicher ist, dass Putin mit dem Angebot an Erdogan eigentlich den Europäern Entgegenkommen signalisieren wollte. Kein Wunder: Die Russen verlieren immer mehr Abnehmer ihres Gases, dessen Einnahmen für den Krieg genutzt werden.
Deutschland hatte jüngst einen anderen Vorschlag Putins zurückgewiesen, die Gaslieferungen nach Europa über eine Leitung der nie in Betrieb genommenen Pipeline Nord Stream 2 anzukurbeln. Moskau hatte die Gaslieferungen über Nord Stream 1 eingestellt und dies mit technischen Problemen begründet. Die beiden Ostsee-Pipelines waren bei Explosionen, die mehrere europäische Länder auf Sabotage zurückführen, schwer beschädigt worden. Ein Strang von Nord Stream 2 ist noch intakt.
>> Lesen Sie hier: Viertes Leck in Nord-Stream-Röhren entdeckt – Deutsche Marine entsendet Minenjagdboot
Nun will Putin offenbar testen, wie weit er bei der Türkei gehen kann. Spricht man mit Regierungsbeamten in der türkischen Hauptstadt Ankara, fällt die Lage nüchterner aus. Von einem Baubeginn will dort niemand etwas wissen.
Auch der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu räumte ein, Putins Vorschlag, Gas über die Türkei nach Europa zu liefern, habe damit zu tun, dass er die Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 nicht mehr als „zuverlässige“ Leitungen ansehe. Der russische Vorschlag müsse jedoch gründlich geprüft werden. „Es gibt Investitionen, die getätigt werden müssen, sie müssen überprüft werden“, sagte Cavusoglu bei einer Pressekonferenz mit seinem katarischen Kollegen am Freitagabend.
Es sei eine Frage von Angebot und Nachfrage, davon, ein wie großer Teil Europas bereit sei, Gas aus einem solchen Projekt zu kaufen. „Dies muss gemeinsam ausgearbeitet werden“, sagte Cavusoglu. Die Türkei wolle Europas Energiekrise lindern, fügte er hinzu. Die umfassende Schwächung Europas sei nicht im türkischen Interesse.
Mehr: Warum Deutschland bei Grünem Wasserstoff auf die Türkei setzt.
<< Den vollständigen Artikel: Gasversorgung: Warum Putins Angebot an Erdogan zur Luftnummer werden könnte >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.