Feb 15, 2023
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Estland, Lettland, Litauen: Wissing will „Innovations-Klub“ mit den digitalen Vorbildern im Baltikum gründen

Written by Mareike Müller

Vilnius, Tallinn Ob Bus, Carsharing oder E-Scooter: Wer sich in Litauens Hauptstadt Vilnius fortbewegt, braucht für die ganze Bandbreite an Möglichkeiten nur eine einzige App. Trafi, zugleich Name der Anwendung und des Unternehmens dahinter, errechnet, mit welchen Verkehrsmitteln der Nutzer am schnellsten und günstigsten ans Ziel kommt. Dafür nutzt die App die Koordinaten von Bussen, Taxis, Straßenbahnen, Carsharing-Wagen, Leihrädern und E-Scootern in Echtzeit.

Vom Verkehr bis zur Cyberabwehr gelten die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen als besonders fortschrittlich in Sachen Digitalisierung. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) will nun einen „Innovations-Klub“ mit den drei baltischen Staaten gründen, wie er am Montag in Vilnius bekräftigte.

Schon vor seiner Abreise hatte Wissing gesagt, die drei Staaten seien „sehr innovationsfreundlich“ und setzten auf Digitalisierung für ihre wirtschaftliche Entwicklung. „Das brauchen wir stärker für den europäischen Binnenmarkt – gerade in Zeiten einer drohenden Rezession“, so Wissing.

„Die Idee eines solchen Klubs ist es, uns zusammenzutun und eine europäische Agenda vorzubereiten, um der EU-Kommission zu zeigen, dass wir bereit sind, in diesem Bereich schneller voranzugehen“, so Wissing bei einem Gespräch mit Journalisten im Anschluss an ein Treffen mit seinem litauischen Amtskollegen Marius Skuodis am Montag.

Die litauische Hauptstadt war die erste Station auf der fünftägigen Baltikumreise des Ministers, der neben Verkehr auch für digitale Infrastruktur zuständig ist.

Volker Wissing und sein Amtskollege Marius Skuodis in Vilnius

Deutschland könnte von einer engeren Kooperation profitieren, erwartet der deutsche Verkehrs- und Digitalminister.

Deutschland könnte von einer engeren Kooperation profitieren, wie das Beispiel Trafi zeigt: Vilnius war für Trafi ein erfolgreicher Test-Standort, mittlerweile hat das Unternehmen für die Berliner Verkehrsbetriebe die App „Jelbi“ entwickelt, in München die Plattform MVGO, auch ÖPNV-Unternehmen in Estland, Lettland, der Schweiz und Großbritannien zählen zu den Kunden.

Lernen vom Baltikum

Doch die Möglichkeiten für Deutschland, vom Baltikum zu lernen, sind noch viel größer. So war Estland das erste Land der Welt, das bei Parlamentswahlen die Stimmabgabe über das Internet erlaubte.

Heute ist das Land mit seinen 1,4 Millionen Einwohnern, von denen rund ein Drittel in der Hauptstadt Tallinn lebt, nahezu komplett online. Mehr als 95 Prozent der Bevölkerung profitieren von schneller Mobilfunktechnologie, die auch in ländlichen Gegenden zuverlässigen Internetzugang ermöglicht. In keinem anderen Land in Europa ist der Breitbandausbau so weit fortgeschritten wie in Estland.

Tallinn

Die 1,4 Millionen Einwohner von Estland profitieren von einer weit fortgeschrittenen Digitalisierung aller Lebensbereiche.


(Foto: AP)

Kostenlose öffentliche Hotspots gehören zum Alltag. Jeder estnische Bürger besitzt einen elektronischen Ausweis, die Chipkarte dient gleichzeitig als Führerschein, als Bahnticket und Versicherungskarte. Sogar bezahlen kann man mit dem Ausweis und natürlich seine Bankgeschäfte abwickeln sowie digital unterschreiben.

Estland ist mittlerweile ein digitaler Staat, der sämtliche Dienstleistungen von der Grundbucheintragung bis zur Adress- oder Namensänderung online anbietet. Nur Hochzeiten und Scheidungen sind noch nicht online möglich.

Schon jetzt legt Estland wert darauf, das Gelernte weiterzugeben. Seit Ende 2014 können auch Ausländer zumindest teilweise an dieser digitalen Revolution teilnehmen. Als Pionier bietet Estland eine virtuelle Staatsbürgerschaft an. Für 100 Euro erhält man nach Prüfung durch Polizei und Grenzschutz einen digitalen Ausweis, der das Eröffnen eines Bankkontos oder die Registrierung einer Firma zu einer Sache von wenigen Minuten macht.

Die Basis für die digitalisierte Gesellschaft bildet die Software-Plattform X-Roads, die private und öffentlichen Datenbanken verschlüsselt zusammenfasst, sodass alle wichtigen Informationen über eine Person oder ein Unternehmen zwischen Behörden und Unternehmen ausgetauscht werden können. Mittlerweile hat sich Finnland dem System angeschlossen, auch Lettland erwägt das.

Deutschland bislang noch ohne klare internationale Digitalstrategie

Deutschland hingegen ist bislang noch ohne klare internationale Digitalstrategie unterwegs, noch befindet sich auch Wissings Vorhaben in einem frühen Stadium. Man habe sich gerade darauf geeinigt, eine Arbeitsgruppe zu gründen, die „der Beginn eines solchen Klubs“ sein könne, so Wissing in Anwesenheit von Skuodis.

Er habe Skuodis gesagt, dass er den anderen baltischen Staaten denselben Vorschlag machen werde –„und wenn ich nach Hause komme, sind wir vielleicht schon zu viert“, so Wissing. Im nächsten Schritt könne man dann mit Frankreich und weiteren gleich gesinnten Partnern über das Vorhaben sprechen.

Bislang hat Deutschland noch keine internationale Digitalstrategie, weiß David Hagebölling, der für das Hasso-Plattner-Institut und die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zu digitaler Außenpolitik forscht. Bis Ende 2023 will Wissings Ministerium einen Plan entwickeln.

Estnische Soldaten bei einer Übung

Durch die Nähe zu Russland sind die baltischen Staaten stärker in den Fokus der Nato gerückt.


(Foto: AP)

Hagebölling zufolge würden sowohl das Baltikum als auch Deutschland von einer engeren Kooperation profitieren. Erstens sei da die wirtschaftliche Komponente: „Die Märkte dort sind ja sehr viel kleiner als der deutsche Markt; gerade Start-ups würden davon profitieren, den deutschen Markt einfacher erschließen zu können.“

Auf der anderen Seite habe internationale Digitalpolitik in den letzten Jahren weltweit unter geopolitischen Gesichtspunkten an Bedeutung gewonnen. Sowohl die Nato als auch die EU haben ihre Maßnahmen zur Cyberabwehr im Baltikum intensiviert. „Wenn die Zusammenarbeit im Digitalbereich mit Deutschland enger wird, würden beide Seiten davon profitieren“, ist Hagebölling überzeugt.

Engere Kooperation hat geopolitische Relevanz

Schon im Vorfeld seiner Reise hatte Wissing betont, gerade die baltischen Staaten hätten „schon früh vor der russischen Bedrohung gewarnt und sind zu lange nicht gehört worden. Wir nehmen ihre Sorgen sehr ernst und wehren uns gemeinsam gegen russische Desinformationskampagnen und Spaltungsversuche.“

Auch die beiden großen Infrastrukturprojekte, die Wissing besucht und an denen deutsche Unternehmen beteiligt sind – das transnationale Schienenprojekt Rail Baltica und den Tallinner Frachthafen Muuga – haben vor allem geopolitische Relevanz. Mit ihnen werden die baltischen Staaten besser an Deutschland und Europa angebunden werden.

Auch militärisch spielen die drei baltischen Staaten durch die direkte Nachbarschaft zu Russland eine immer wichtigere Rolle. Mit dem Nato-Gipfel in Madrid im vergangenen Jahr wurde eine Stärkung der Nato-Ostflanke beschlossen und damit der Ausbau verschiedener Stützpunkte im Baltikum.

>> Lesen Sie hier: Die Leopard-Panzer sollen rollen – aber über welche Straßen und Brücken?

Wissing, der mittlerweile nach Lettland weitergereist ist, trifft sich in allen drei baltischen Staaten mit Ministern, die für Verkehr und Digitalisierung zuständig sind, sowie mit Vertretern der Nato und der EU-Cyberabwehr. In Riga trifft er am Mittwoch außerdem den lettischen Staatspräsidenten Egils Levits.

Mehr: Die Kluft zwischen Deutschland und Osteuropa wächst – das ist ein Alarmsignal



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